Der Kölner Handel hat in den Wochen der Corona-Schließungen etliche Millionen Euro Umsatz verloren.
Sollten große Häuser wie Galeria oder Appelrath Cüpper in der Innenstadt schließen müssen, hätte das drastische Auswirkungen.
Die Krise zeigt aber auch: Die Solidarität mit den kleinen, inhabergeführten Geschäften ist groß.
Köln – Vieles ist in diesen Tagen ein wenig anders in der Schildergasse. Die Straßenmusiker tragen Mundschutze um den Hals. Verkäufer bieten Kunden Desinfektionsmittel an wie sonst Kellner das Häppchen. Die Warteschlangen, die früher Konzerthallen und Clubs vorbehalten waren, haben sich jetzt vor Bekleidungsgeschäfte verschoben. Die Lockerungen der Corona-Beschränkungen kommen mit viel schwarz-gelbem Flatterband daher.
Die Krise hat den Handel in der Stadt hart getroffen. Fast fünf Wochen lang waren mit wenigen Ausnahmen alle Geschäfte in Nordrhein-Westfalen geschlossen. Erst seit Montag dürfen auch die mit mehr als 800 Quadratmetern Fläche öffnen. Der Handel hat in den vergangenen Wochen Millionenumsätze verloren, allein beim Essener Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof sollen es während der Komplettschließung mehr als eine halbe Milliarde Euro gewesen sein.Aber auch jetzt ist man von den Geschäften der Vor-Corona-Zeiten noch weit entfernt.
Laut Handelsverband Deutschland (HDE) verbuchten Einzelhändler in Nordrhein-Westfalen zuletzt nur bis zu 40 Prozent der sonst üblichen Umsätze. Die Besucherfrequenz auf Schildergasse und Hohe Straße lag vergangene Woche nach Auswertungen der Kölner Unternehmen Hystreet und Imtargis bei nur 47 beziehungsweise 46 Prozent der Durchschnittswerte aus dem Vorjahr. Einzig die Ehrenstraße stand zuletzt mit rund 81 Prozent der sonst üblichen Frequenz vergleichsweise gut da. Am vergangenen Samstag übertraf sie die Durchschnittsfrequenz gar mit 106 Prozent leicht. Schildergasse und Hohe Straße kamen am vergangenen Samstag auf rund 70 Prozent der sonst üblichen Frequenz.
„Die Konsumzurückhaltung ist in allen Bereichen messbar“, sagt Boris Hedde, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung in Köln (IFH Köln). Erst im vergangenen Jahr stellte er eine Studie vor, die bereits lange vor Corona eine beunruhigende Prognose für den Einzelhandel abgab: Sie besagte, dass bis 2030 bundesweit bis zu 64.000 Einzelhandelsgeschäfte schließen könnten, allein 20.000 von ihnen in Nordrhein-Westfalen. „Wir befürchten, dass diese Entwicklung sich nun im Zeitraffer vollzieht“, sagt Hedde. „Wir machen uns große Sorgen um die Innenstädte.“ Der HDE rechnet gar mit bis zu 50.000 Insolvenzen in Folge der Krise.
Besonders hart hat die Corona-Pandemie die Textilbranche getroffen, die ihre Kollektionen zuletzt in immer kürzeren Abständen herausbrachte. Die bereits bezahlte Osterware füllte die Lager, konnte aber nirgends verkauft werden. Deko-Geschäfte sollen teils gar ihre gesamten Ostersortimente an die eigenen Mitarbeiter verschenkt haben. Andere Branchen, zum Beispiel Händler von Fahrradzubehör, profitieren von neuentdeckten Hobbys in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen. Die Last der Krise ist ungleich verteilt.
Große Häuser in Not
Das Vorurteil, dass dabei große Einzelhandelsketten in der Krise die besseren Überlebenschancen hätten, hält Boris Hedde für falsch. Ihre Kostenstrukturen seien mit denen der kleineren Geschäfte nicht zu vergleichen. Hohe Umsätze gingen mit hohen Kosten einher. „Und wenn die großen Händler die Durststrecke nicht überleben, haben auch die kleinen nicht gewonnen. Die großen Läden sind ihre Frequenzanker.“ Heißt: Sie ziehen Kunden in die Stadt, die dann auch in den übrigen Geschäften einkaufen.
Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erahnen, was das für die Kölner Innenstadt bedeuten könnte. Ausgerechnet die großen Verkaufshäuser sind nicht mit den besten Voraussetzungen in die Krise gestartet. Das Kölner Traditionsunternehmen Appelrath Cüpper hat bereits Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet. Galeria Karstadt Kaufhof hat sich in Folge der Krise unter ein Schutzschirmverfahren begeben; will Standorte schließen und Stellen abbauen. Und auch die Media-Markt-Saturn-Mutter Ceconomy steckt mitten in einer Umstrukturierung und kündigte zuletzt an, Staatshilfe der KfW in Anspruch nehmen zu wollen. „Die Gefahr, dass einige der großen Häuser schließen müssen, ist groß“, sagt auch Jörg Hamel, Geschäftsführer des Regionalverbands Aachen-Düren-Köln des HDE.
Loch in die Fußgängerzone reißen
Sollten sie die Krise nicht überstehen, könnte das ein Loch in die Fußgängerzonen reißen. Schon heute ist es schwer, Häuser in dieser Größe zu vermitteln. In anderen Städten gibt es bereits Überlegungen, große leerstehende Immobilien in Büroflächen und Wohnungen umzuwandeln, oder sogenannte Urban Entertainment Center hineinzubauen, in denen verschiedene Unterhaltungs- und Freizeitangebote angesiedelt werden.
„Die Krise kann das Gesicht der Stadt nachhaltig verändern“, sagt Hamel. Nicht nur im Handel – auch weit darüber hinaus. Veranstaltungsorte und Gastronomie kämpfen schließlich mit der gleichen Krise. Große Sorgen macht den Unternehmen dabei zurzeit vor allem eines: Dass die Neuinfektionen in Köln über den als kritisch festgelegten Wert von 50 pro 100 000 Einwohner steigen könnten – ab denen Lockerungen wie die Ladenöffnungen zurückgenommen werden könnten. Das ein oder andere Unternehmen werde sich mit den KfW-Krediten und Stundungen über Wasser halten können, sagt Jörg Hamel. Aber für die Unternehmen, die bereits mit Problemen in die Krise starteten, sei so ein Kredit nicht mehr als Sterbehilfe.
Große Solidarität
In der Krise zeigt sich aber auch: Die Solidarität mit den lokalen Händlern und der Gastronomen ist groß. Über die Initiative „Veedelsretter“ der Kölner Wirtschaftsförderung und der Digitalagentur „Railslove“ sind über den Verkauf von Gutscheinen bislang rund 500 000 Euro für 930 Firmen und Selbstständige zusammengekommen. Und was auch eigene Initiative und Kreativität bewirken können, zeigt die Schuhhändlerin Marion Kappes. Für sie war der 18. März ein harter Tag. Nach Tagen der Unsicherheit musste in Nordrhein-Westfalen fast der gesamte Einzelhandel schließen – und damit auch „Girls& Boys Kinderschuhe“, ihr Geschäft in Köln-Weiden. „Es gibt Menschen, die machen so einen Laden als Zubrot – aber für mich ist er meine Existenz“, sagt Kappes. Sie betreibt das Geschäft seit 14 Jahren, ist alleinerziehend, der Vater ihrer Kinder gestorben. Einen Onlineshop hat sie nicht.
Dafür aber einen gut gepflegten Kundenverteiler: Noch am selben Tag schickte sie eine E-Mail an die 2500 Kontakte und veröffentlichte eine Nachricht auf Facebook. Dort bot sie ihren Kunden an, ihr Zeichnungen der Kinderfüße zu schicken – und so einen passenden Schuh für sie zu finden. In den sozialen Netzwerken erreichte dies laut Kappes rund 18 000 Menschen. „Die Leute waren so dankbar“, sagt sie. Die Umsätze, die sie verloren hat, wird sie nicht mehr aufholen können. Kappes hat Soforthilfe beantragen müssen, wie viele andere Unternehmen benötigt sie einen Kredit. „Aber die Aktion war ein Lichtblick. Ich schaue nach vorn.“ Die Wertschätzung der Geschäfte, davon ist sie überzeugt, steige in der Krise. Vor der Wiedereröffnung des Ladens habe sie noch schlecht geschlafen, zu groß sei die Sorge gewesen, dass niemand kommen werde. Der Zuspruch aber sei extrem gewesen.
Jörg Hamel befürchtet, dass diese spürbare Solidarität mit der Zeit abnehmen wird. „Wir kennen das aus der Historie: Wenn die Krise vorbei ist, vergessen Menschen sie schnell.“ Die lang ersehnte Rückkehr zur Normalität könnte der Solidarität eine Delle verpassen. IFH-Geschäftsführer Hedde dagegen sieht für die kleinen, inhabergeführten Geschäfte aber durchaus eine Chance, auch längerfristig von der aktuellen Stimmung zu profitieren: „Bislang ging es im Handel viel um die Perfektionierung der Prozesse: Alles musste immer noch schneller geliefert werden. Jetzt aber sehen wir einen Perspektivwechsel.“ Emotionalisierung und persönlicher Kontakt gewännen an Bedeutung, sagt er. Auch das ist eine Folge der Krise.