Der „Werwolf von Hannover“ tötete mindestens 24 Jungen und junge Männer. Vor 100 Jahren wurde er hingerichtet. Eine morbide Faszination bleibt.
Er ermordete 24 Jungen und junge MännerWas fasziniert uns bis heute an dem Serienmörder Fritz Haarmann?

Eine Mappe im Polizeimuseum Niedersachsen gibt Einblick in die Mordsache Fritz Haarmann. (Archivbild)
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In der Nacht starrten ihn aus den Ecken seiner Zelle beleuchtete Totenschädel an, die Augenhöhlen mit rotem Papier zugeklebt. In einer Ecke der Zelle lag ein Sack mit menschlichen Knochen. So mürbe gemacht, gestand Fritz Haarmann schließlich die grausame Wahrheit: Er war es, der als „Werwolf von Hannover“ mindestens 24 Jungen und junge Männer bestialisch ermordet hatte.
Serienkiller Fritz Haarmann ermordete 24 Jungen und junge Männer
Doch so schaurig es war, bald sang man auf der Straße Lieder über den unheimlichen Mörder, zu einer damals populären Schlagermelodie: „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir, mit dem kleinen Hackebeilchen macht er Schabefleisch aus dir“. Vor 100 Jahren am 15. April 1925 wurde der Serienmörder hingerichtet.

Fritz Haarmann ermordete mindestens 24 Jungen und junge Männer. (Archivbild)
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„Dieser Fall ist für mich immer ein gewisses Rätsel geblieben“, sagte der wissenschaftliche Leiter des Polizeimuseums Niedersachsen in Nienburg, Dirk Götting. Es sei eigenartig, dass der Fall des pädophilen Serienmörders „über die Jahre einen solchen Status bekommen“ habe: „Es ist immer ein mediales Großereignis gewesen.“ Eine morbide Faszination bleibt - offensichtlich.
Götz George verkörperte Fritz Haarmann in einem Kinofilm
Denn der beispiellose Fall hat wohl auch Künstler in seinen Bann gezogen – Götz George verkörperte Haarmann 1995 in dem preisgekrönten Kinofilm „Der Totmacher“, der auf den protokollierten Gesprächen des Psychiaters Ernst Schultze mit Haarmann basiert. Es gab ein Musical am Schauspiel Hannover, und der Fall Haarmann wurde auch literarisch verarbeitet, zum Beispiel als Graphic Novel. In Hannover gibt es zudem Stadtführungen auf den Spuren des 1879 geborenen Verbrechers. Und: Der Serienmörder mit dem Hackebeil taucht in Hannover als Figur auf einem Adventskalender auf.

Götz George verkörperte Haarmann 1995 in dem preisgekrönten Kinofilm „Der Totmacher“. (Archivbild)
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Schon früh wurden die unfassbaren Verbrechen Haarmanns auf Ausstellungen präsentiert: 1926 gab es eine große Polizeiausstellung in Berlin - dort zeigte die Polizei Hannover das Haarmann-Zimmer aus der Straße Rote Reihe, wie Götting sagte. Unter anderem an dieser Adresse in Hannover wohnte der Serienmörder.
Was ist über den Fall bekannt? Zwischen 1918 und 1924 ermordete der polizeibekannte Täter männliche Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 22 Jahren. Haarmann erdrosselte seine Opfer oder biss ihnen – möglicherweise im Rausch – die Halsschlagader durch. Viele waren Ausreißer und blieben in den Wirren der Nachkriegszeit zunächst unentdeckt. Die Leichen zerstückelte er und warf sie in die Leine, die Kleidung verkaufte er. Als Kinder im Frühjahr 1924 Knochen an der Leine fanden, waren das die ersten Hinweise auf die Mordserie.
Haarmann war Polizeispitzel
Am 22. Juni 1924 wurde er verhaftet – zunächst nur, weil er mit einem Jugendlichen in Streit geraten war. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fand die Polizei Hinweise auf die Verbrechen, darunter Blutspuren und blutverschmierte Kleidung von Jugendlichen. Doch Hinweise gab es schon lange vorher – der erste Mord an Haarmann soll bereits 1918 geschehen sein. Nur: Hinweise aus der Bevölkerung kannte man im Kaiserreich nicht, sie wurden nicht ernst genommen, wie Götting erklärte.

An der Leine in Hannover fanden Kinder damals Knochen – so kam der Fall Haarmann ins Rollen. (Archivbild)
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Hinzu kam: Der notorische Kleinkriminelle diente der Polizei als Spitzel. Fritz Haarmann versorgte die Behörde nach dem Ersten Weltkrieg mit Informationen aus dem Rotlichtmilieu. Deshalb ging die Polizei Hinweisen auf Haarmann als Täter zunächst nicht nach - man kannte sich schließlich. Als die Beweislage eindeutig war, wurde er verhaftet und sogar gefoltert, so Götting.
Fritz Haarmann wurde enthauptet
Im Polizeimuseum in Nienburg ist unter anderem der Nachbau einer Zelle aus dem Polizeigewahrsam Hannover in der Weimarer Republik zu sehen. Hier wurde Haarmann nach seiner Verhaftung inhaftiert. Gezeigt wird auch ein Beil. Dessen Herkunft sei allerdings zweifelhaft, bei einer kriminaltechnischen Untersuchung vor 25 Jahren seien keine Spuren gefunden worden, sagte der Polizeihistoriker.

Fritz Haarmann hatte vermutlich einen Gehilfen: Hans Grans (1901–1975, rechts) soll auch sein Liebhaber gewesen sein. (Archivbild)
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Nach tagelangen Verhören legte Haarmann schließlich ein Geständnis ab. Der Psychiater Ernst Schultze sollte untersuchen, ob er zurechnungsfähig sei - und kam zu dem Schluss, dass Haarmann für seine Taten verantwortlich sei. Im Dezember 1924 verurteilte das Landgericht Hannover den Serienmörder zum Tode, am 15. April 1925 wurde er enthauptet. Sein in Formalin eingelegter Kopf lagerte lange in der Göttinger Gerichtsmedizin und wurde erst 2014 eingeäschert und anonym beigesetzt.
Serienmörder hat vermutlich mehr Opfer getötet
Prozess und Urteil stießen immer wieder auf Kritik: Die Zurechnungsfähigkeit Haarmanns zum Zeitpunkt der Morde hätte zumindest angezweifelt werden müssen, schrieb die forensisch-psychiatrische Gutachterin Christine Pozsár in „Die Haarmann-Protokolle“. Seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit müsse zumindest erheblich eingeschränkt gewesen sein. Misshandlungen Haarmanns in seiner Kindheit wurden demnach kaum erwähnt, ebenso wenig Krampfanfälle und mögliche Organschäden nach einer Hirnhautentzündung.
Vieles dürfte für immer ungeklärt bleiben: Kannibalismus wurde Haarmann vorgeworfen, aber nie nachgewiesen. Fraglich bleibt auch, wie viele Menschen Haarmann tatsächlich getötet hatte. Götting: „Es spricht sehr viel dafür, dass die Zahl höher ist als die, für die er verurteilt wurde.“ (jag/dpa)