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Mordserie in Klinik bei AachenBeschuldigter arbeitete auch in Köln – Hat er weitere Taten begangen?

Lesezeit 5 Minuten
Das Bild zeigt die Front der Rhein-Maas Klinikum  in Bardenberg in Würselen bei Aachen.

Ein Pfleger steht im Verdacht, in einer Klinik in Würselen neun Palliativ-Patienten ermordet zu haben. 

Ein Pfleger soll neun Patienten einer Palliativstation ermordet haben, indem er ihnen Überdosen spritzte. Der 44-Jährige arbeitete auch in Köln.

Die Aachener Mordkommission (MK) „Fluss“ hatte das Telefon des Beschuldigten angezapft. Die Ermittler überwachten sein Handy. Der Krankenpfleger Roman R. (Name geändert) – so der ungeheuerliche Tatverdacht – soll Patienten auf der Palliativstation im Rhein-Maas-Klinikum in Würselen ermordet haben.

Das Krankenhaus hatte die Polizei am 24. Mai 2024 eingeschaltet, nachdem nicht genehmigte Injektionen aufgefallen waren. Sechs Tage zuvor hatte die Klinik R. von seinen Aufgaben entbunden. Der freigestellte R. war außer sich. Im abgehörten Telefonat mit seinem Bruder behauptete der Pfleger, dass er die Mittel seit drei Jahren ohne das nötige Plazet der Ärzte injizieren würde. Nach seinem Nachtdienst hätten die zuständigen Mediziner die mangelhaften Einträge am nächsten Morgen fraglos abgehakt.

Das Schicksal seiner Patienten soll Roman R. seiner Rede zufolge egal gewesen sein. Dies geht aus Ermittlungsakten hervor, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte. Der Fall ist in seiner Dimension noch ungreifbar. Wenn am 24. März der Prozess vor dem Aachener Schwurgericht gegen den 44-jährigen Krankenpfleger beginnt, muss er sich offenbar wegen neun Mordfällen und 34 versuchten Tötungsdelikten an Patienten allein in der Klinik in Würselen verantworten.

Prozessstart in Aachen: Tatverdächtiger muss sich wegen neun Mordfällen und 34 versuchten Tötungsdelikte verantworten

„Von Januar bis Mai 2024 soll der Angeklagte Patienten auf der Palliativstation des Krankenhauses eigenmächtig stark sedierende Medikamente verabreicht haben, teilweise in Kombination mit Schmerzmitteln“, berichtete Katharina Effert, Sprecherin des Landgerichts Aachen, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Tatverdächtige soll aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben. Laut Anklage wollte er nachts seine Ruhe haben.

Zunächst gingen die Strafverfolger von mutmaßlich fünf Morden und 25 Versuchen aus. Doch vergangenen Freitag reichten die Ermittler eine Nachtragsanklage ein: Durch Untersuchungen fanden sich Hinweise auf vier weitere tödliche Injektionen und neun versuchte Mordanschläge. Wie die „Aachener Zeitung“ berichtet, hat die eigens eingerichtete Mordkommission zunächst 100 Patientenakten beschlagnahmt. Weitere Obduktionen wurden angeordnet.

Beschuldigter arbeitete für die städtischen Kliniken Köln

Folglich könnten noch mehr Fälle zu Tage treten. So etwa in Köln: Nach Informationen dieser Zeitung arbeitete Roman R. bereits 2010 für die städtischen Kliniken in Köln, bevor er zu zwei Aachener Krankenhäusern wechselte. Von 2014 bis Februar 2020 war er erneut als Krankenpfleger in den Kölner Kliniken tätig. Die Ermittler gehen nun dem Verdacht nach, dass Roman R. bereits in dieser Zeit seine todbringenden Injektionen verabreicht haben könnte. „Ein Jahr nach dem anderen werden Fälle aus der Vergangenheit untersucht“, sagte die Aachener Oberstaatsanwältin Katja Schlenkermann-Pitts.

Bisher scheint sich Roman R. keiner Schuld bewusst zu sein. Als die Mordkommission den Beschuldigten am 26. Juni 2024 zur Vernehmung bat, entwickelte sich den Akten zufolge ein skurriles Frage- und Antwortspiel, in dem sich R. als Bauernopfer gegeben haben soll. Eigentlich hätte er für seine Dienste ein Bundesverdienstkreuz verdient, soll der Beschuldigte demnach gesagt haben. Nach seinen Angaben wollten die Ärzte in Rufbereitschaft nachts bei Komplikationen nicht unbedingt angerufen werden. Folglich habe er die Mittel selbst verabreicht, ohne die nötige ärztliche Anordnung. Auf der Palliativstation sei die Sterberate nun einmal ziemlich hoch, soll R. gesagt haben. Danach soll er Erläuterungen zur Sterbehilfe angeschlossen haben, etwa zu Patienten, die sich den Tod wünschen würden. Nachts habe er sich auf der Station allein gelassen empfunden, soll Roman R. weiter ausgeführt haben. Seine Frau hat einen Verteidiger engagiert, seither schweigt der Pfleger. Trotz Anfragen dieser Zeitung war der Verteidiger des Angeklagten nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Wie konnte der Angeklagte die Kontrollmechanismen der Würseler Klinik umgehen?

Wie konnte der Angeklagte so einfach die Kontrollmechanismen in der Würseler Klinik umgehen? Christoph Schmischke, Anwalt des Rhein-Maas-Klinikums, erklärte auf Anfrage: „Nach derzeitigem Erkenntnis- und Ermittlungsstand ist der mutmaßliche Täter mit hoher krimineller Energie vorgegangen und konnte die Taten nur unter absichtlicher Missachtung der Dokumentationspflichten und entgegen klarer dienstlicher Anweisungen begehen.“ Alle vorhandenen und relevanten Erkenntnisse, Informationen und Unterlagen seien der Staatsanwaltschaft „jeweils umfassend und kurzfristig übermittelt worden, um eine reibungslose Ermittlungsarbeit der Behörden zu unterstützen.

Bislang wurden zudem Patientenakten aus den Jahren 2023 und 2024 beschlagnahmt.“ Üblicherweise gebe es Dokumentationspflichten in den Patientenakten. Der mutmaßliche Täter sei diesen Pflichten „offenbar schlicht durch falsche Mengenangaben“ nicht ordnungsgemäß nachgekommen. „Zwischen dem Aufkommen des ersten Verdachts und der Konfrontation des ehemaligen Mitarbeiters, die in seiner Freistellung mündete, vergingen deshalb nur wenige Stunden“, führte der Anwalt aus. In der Palliativabteilung sei es trauriger Alltag, „dass die Patienten während ihres Aufenthalts versterben, und zwar im Normalfall auch nach eher kurzen Aufenthaltszeiten. Vor diesem Hintergrund sind sowohl „Auffälligkeiten“ bei den Todeszahlen als auch die Kausalzusammenhänge zwischen Medikamentengabe und Todeseintritt naturgemäß schwieriger festzustellen als in anderen Abteilungen“, so Schmischke.

In zwei Nächten soll der Tatverdächtige 18 Ampullen Beruhigungsmittel verbraucht

Die Erkenntnisse der Ermittler lassen Zweifel zu. „Bezüglich möglicher Verantwortlicher im Klinikbereich gehen die Ermittlungen in alle Richtungen, zu gegebener Zeit wird ein Anfangsverdacht geprüft“, so Oberstaatsanwältin Schlenkermann-Pitts. Nach den bisherigen Erkenntnissen soll Roman R. den Patienten unter anderem das Beruhigungsmedikament Midazolam gespritzt haben: Ein Mittel, das auch bei Narkosen eingesetzt wird. Allein in zwei Nächten soll der Tatverdächtige 18 Ampullen verbraucht haben. Ferner soll der Pfleger den Nachforschungen zufolge Morphium sowie in einigen Fällen ein nicht genehmigtes Diabetesmittel gespritzt haben.

Um den Gebrauch zu verschleiern, soll R. im Betäubungsmittel-Buch die benutzten Arzneien als abgelaufen ausgetragen haben. Üblicherweise müssen diese Mittel dem zuständigen Apotheker zur Vernichtung zurückgegeben werden. Das aber sei hier nicht erfolgt. Bei den Nachforschungen stellte sich heraus, dass der Angeklagte offenbar das Medikament Zopiclon wegen Schlafstörungen eingenommen hat – ein schweres Medikament, das spätestens nach drei Wochen süchtig macht. R. soll einen Entzug durchlaufen haben. Kaum genesen, durfte er wieder im Gesundheitsbetrieb arbeiten.