Dass besonders oft Inseln von Waldbränden betroffen sind, ist kein Zufall, meint der Feuerökologe Alexander Held.
Teneriffa, Rhodos, SizilienFeuerökologe Alexander Held: Warum brennt es so oft auf Inseln?
Feuerwehrleute weltweit kämpfen in diesem Sommer mit Waldbränden – auffallend viele Inseln sind von den Feuern betroffen, wie aktuell Teneriffa und in den vergangenen Wochen etwa Rhodos, Sizilien, Hawaii, Maui und Zypern. Alles Zufall? Eher nicht, sagt Alexander Held. Er arbeitet beim European Forest Institute (EFI). 2001 startete er als Feuerökologe bei der Max-Planck-Gesellschaft, wechselte später zum Feuermanagement und war mit dem Global Fire Monitoring Center GFMC in Europa und im südlichen Afrika unterwegs. Er ist Fachexperte in nationalen und internationalen Gremien.
Herr Held, warum brennt es gerade auf so vielen Inseln?
Die Inseln sind in gewisser Weise ein Brennglas, das uns Entwicklungen vor Augen führt, die das Festland auch schon betreffen, aber die Inseln noch heftiger. Auf den Inseln spielen die Komponenten, die zur Waldbrandentwicklung führen, noch mal in einer anderen Liga. Natürlich liegen die Inseln auch feuermäßig ungünstig – voll in der Sonne, voll im Wind, oft gibt es schwieriges Gelände wie jetzt auf Teneriffa. Zudem ist auch die Tragfähigkeit der Insel, was die Bevölkerung angeht, zu Tourismuszeiten um ein Vielfaches erhöht. Da merken wir viele Effekte, die zusammenkommen – den Tourismus, die Bebauung der Insel meist im Übergangsbereich zwischen Stadt und Wildnis, der sehr feueranfällig ist, die sehr alte Infrastruktur und zudem sehr viel Bevölkerung und sehr viele Autos. Kein Mensch arbeitet mehr in der Landwirtschaft. Es gibt keine Beweidung mehr, keine Ziegen, alle arbeiten im Tourismus.
Wozu führt das?
In diesen Landschaften, die überwuchern, zuwachsen, zu viel Verkehr, zu viele Menschen, zu viel Abfall und zu wenig Landwirtschaft ertragen müssen, kommen die durch den Klimawandel verstärkten Feuerfaktoren noch mal ganz anders zur Wirkung als auf dem Festland. Auf dem Festland haben wir auch den Exodus des ländlichen Raumes und die Aufgabe der Landwirtschaft.
Aber auf den Inseln bekommen wir das noch extremer als auf dem Präsentierteller vor Augen geführt: einerseits diese Perversion an Überbevölkerung, vor allem in der Hochsaison, und andererseits, dass nichts von dem, was konsumiert wird, auch produziert wird auf der Insel. Die Touristen essen keine Ziegen, die wollen ihr Schweinesteak. Eigentlich müssten auf kroatischen Inseln auch kroatische Schafe und Ziegen gegessen werden. Das passiert aber nicht. Es wird nicht die lokale Landwirtschaft gefördert durch den Tourismus, sondern das Gegenteil passiert. Deswegen wundert es eigentlich nicht, dass die Inseln jetzt verstärkt brennen. Dazu kommt, dass es auf den Inseln weniger Feuerlöschkapazität gibt. Wenn man dort Prävention betreiben will, würde das eigentlich beinhalten, milde, kontrollierte Feuer zu legen.
Warum wird das mit den kontrollierten Feuern nicht gemacht?
Dummerweise sind genau die Leute, die dort ihre Ferienhäuser haben, sowie die ganze Tourismusbranche oft die lautesten Gegner von kontrollierten Feuern, denn Rauch am Himmel stört natürlich die Tourismusidylle. Dann wartet man lieber und hofft, dass einen die Katastrophe nicht trifft. Dieses Jahr ist es jetzt tatsächlich gehäuft aufgetreten: Gefühlt sind es gerade nur die Inseln, die brennen. Dieses Jahr ist das Fass am Überlaufen.
Also ist das ein inselübergreifendes Phänomen?
Wir haben Kollegen, die leben und forschen auf Zypern, auf den kroatischen Inseln, auf Gran Canaria. Alle beschreiben genau die gleichen Phänomene, nämlich diese aussterbende Landnutzung. Die Landschaft wird immer überwachsener, niemand arbeitet im Land, alle nur noch punktuell im Tourismus.
Wie ließe sich die Situation verbessern?
Wenn wir mal 3000 bis 4000 Jahre zurückgehen, da gab es im Mittelmeerraum noch Naturwald, der nicht wie heute aus Kiefern besteht, sondern – von Portugal bis Griechenland – durchaus auch aus Eiche, Buchen etc., die weniger brennbar sind. Dann hat es sehr früh begonnen mit der Abholzung und jetzt sind wir heute in einer Situation, die äußerst weit entfernt von einem natürlichen Ökosystem ist.
Was wir heute haben, ist ein anthropogen-überprägter Mittelmeerraum mit Baumarten wie Kiefer und Eukalyptus. Und das, was an Buschland nachwächst, ist auch nicht der Eichenwald aus der Antike, sondern sehr brennbar. Bei diesem Mix ist nicht die Frage, ob es brennt, sondern nur noch, wann. Da man die Zeit nicht zurückschrauben und den Naturwald zurückbekommen kann, muss man heute etwas dafür tun, damit dieses Feuer auf eine Landschaft trifft, die relativ feuerresilient ist, und die Feuer nicht so katastrophal brennen wie jetzt in Teneriffa.
Wie geht das?
Dafür braucht man Landwirtschaft, mosaikartige Landnutzung, Beweidung, Ziegen, Schafe, Agrar- und Forstwirtschaft. Das macht aber keiner und es wird auch nicht gefördert. Der Tourismus könnte, wenn er wollte, Stellschrauben ziehen. Wenn man es aber nicht schafft, die Art, Menge und Struktur des verfügbaren Brennmaterials durch nachhaltige Landnutzung so zu ändern, dass es weniger brennbar ist, bleibt einem eigentlich nur, die Landschaft mit dem geplanten Feuer zu „impfen“.
Entweder wird also kontrolliert entschieden, wann es brennt – vorzugsweise Anfang März, wenn alles noch schön grün und winterfeucht ist. Dann brennt nämlich nur das alte, trockene Material vom letzten Jahr und man hat dann eine Landschaft, der viel feines Brennmaterial entzogen wurde. Dann kann es eigentlich kein katastrophales Feuer mehr geben später. Dafür muss man an einem Tag des Jahres Rauch und kontrolliertes Brennen akzeptieren und auch eine gewisse Zeit lang schwarze Landschaft, die aber sehr schnell wieder grünt. Oder man muss, wenn man nicht mutig genug ist, das zu tun, auf die Katastrophe warten und akzeptieren, dass Häuser verbrennen und Feuerwehrleute ums Leben kommen.
Das klingt ziemlich unvernünftig.
Das ist das Merkwürdige: Diesen Mut oder diese Feigheit haben wir als Gesellschaft. Wir sind nicht mutig genug, unter milden Bedingungen ein „impfendes“ Feuer zu legen, weil wir Angst oder Bedenken haben, dass der Tourist sich gestört fühlen könnte. Aber wir sind mutig oder eben feige genug, auf die Katastrophe zu warten und richtig heftige Verluste und richtig heftige Waldbrände zu akzeptieren.
Gibt es Inseln, die Vorbild sein könnten?
Es gibt tatsächlich auf Gran Canaria ein ausgeprägtes Brennprogramm, wo kontrolliert in den Kiefernwäldern gebrannt wird. Das ist so bekannt und groß, dass sogar ein gewisser „Feuertourismus“ stattfindet. Also wir schicken Leute zur Ausbildung nach Gran Canaria, um die Technik des milden kontrollierten Feuers zu lernen. Aber das ist weit und breit die Ausnahme. Wir müssen uns auch eingestehen, dass kontrolliertes Brennen nur ein Teil der Lösung sein kann. Wir können nicht nachhaltig, vernünftig und glaubwürdig alle nicht mehr bewirtschafteten Flächen kontrolliert brennen. Die müssten wir alle drei Jahre anzünden, das ist allein von der Größenordnung her unrealistisch. Das kontrollierte Brennen kann nur ein Teil der Toolbox sein.
Was müsste außer kalkuliertem Brennen noch gemacht werden bei der Waldbrandprävention?
Es bräuchte Konzepte, um die kritische Infrastruktur zu schützen, durch landwirtschaftliche Nutzung zum Beispiel, durch ein Beweidungskonzept. Wenn der Tourismus dann auch noch die Ziegen und Schafe dem Eigentümer abkauft, um die Landschaftspflege zu unterstützen, könnte ein Schuh draus werden. Aber ich habe da meine Bedenken, ob unsere Touristen würziges, zähes Ziegenfleisch essen, dann die Augen verdrehen und sagen: „Ich tu‘ was für die Landschaftspflege.“
Aber das wäre eigentlich der Hebel, dass der Tourismus sich mehr bei der Prävention einbringt?
Ja. Solange wir nur in die Hotels investieren und die Gewinne aus den Hotels aus dem Land tragen und nicht in die Landschaft, in denen die Hotels funktionieren, kann es kein nachhaltiges Geschäftsmodell sein. Das ist eine Landschaft, die früher oder später in Flammen aufgeht. Der Tourismus ist ein wahnsinniger Wirtschaftsfaktor, der in die Pflicht genommen werden oder die Eigenverantwortung erkennen müsste. Wenn die Tourismusbranche sagen würde, dass ein bestimmter Anteil der Produkte, die im Tourismus konsumiert werden, lokal erzeugt werden müsste, gäbe es einen wirtschaftlichen Anreiz, wieder Landwirtschaft zu betreiben. Wenn wir aber die Landschaft nur als Kulisse benutzen für unsere Hotels, zahlen wir früher oder später den Preis dafür.