Fischsterben in der OderWarum die Ursachensuche so kompliziert ist
Stettin/Köln – Das massenhafte Fischsterben in der Oder nimmt immer größere Ausmaße an. Eine Woche nach dem Bekanntwerden der Umweltkatastrophe im Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland richten sich die bangen Blicke mehr und mehr auf den Mündungsbereich vor der Ostsee.
Die Tourismusbranche in der Region im östlichen Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich bereits besorgt. „Es ist eben noch eine Situation, in der sehr vieles unklar ist“, sagte der Geschäftsführer des Landestourismusverbands, Tobias Woitendorf. Die Landesregierung in Schwerin rät vorsichtshalber vom Baden im Stettiner Haff ab.
Ursache für Umweltkatastrophe in der Oder weiter ungeklärt
Mehr als eine Woche nach Bekanntwerden des massenhaften Fischsterbens in der Oder ist die Ursache für die größte Umweltkatastrophe in Brandenburg seit Jahrzehnten noch unklar. Das Landesamt für Umwelt und Forschungsinstitute untersuchen mit Hochdruck Wasser und Fische. Ganz im Dunkeln tappen Behörden und Wissenschaftler nicht mehr. Mittlerweile gibt es verschiedene Erklärungen zum Sterben der vielen Fische.
Algen als eine Ursache?
Eine giftige Algenart könnte Wissenschaftlern zufolge ein entscheidender Faktor für das Fischsterben sein. Ein Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei identifizierte die toxische Art als Mikroalge mit dem Namen Prymnesium parvum. Auch in Polen wurde diese Art nachgewiesen.
Nach Worten des Gewässerökologen Christian Wolter ist sie bekannt dafür, dass sie gelegentlich zu Fischsterben führt. Das bestätigt Jörg Oehlmann, Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie an der Universität Frankfurt. Nachgewiesen ist aber noch nicht, das das Gift dieser Alge Grund für das Fischsterben ist, nur ihre Massenentwicklung ist bewiesen.
Schwierige Ursachenforschung
Das Landeslabor Berlin-Brandenburg (LLBB) untersucht weiterhin Wasserproben verschiedener Tage und Messpunkte sowie Fische. Nach Angaben des Brandenburger Umweltministeriums gestaltet sich die Suche nach der Ursache für das Fischsterben auch deshalb schwierig, weil Informationen von polnischer Seite fehlen, etwa zu eventuellen Einleitungen.
Wissenschaftler sagen, die Ursachenforschung durch Analyse der Stoffe in der Oder sei eine wahre Sisyphusarbeit, da etwa 350 000 Substanzen potenziell in einer Wasserprobe vorhanden sein könnten - und auch eine ausführliche Diagnostik nie alle abdecke. Die Untersuchung könne Wochen dauern, so der Ökotoxikologe Oehlmann.
Ergebnisse aus Polen
Polens Umweltministerin Anna Moskwa gab am Donnerstagabend bekannt, dass in Wasserproben toxische Algen entdeckt worden seien. Es waren demnach sogenannte Goldalgen, die für Fische und Muscheln tödlich seien. Es handele sich um die Art Prymnesium parvum, sagte Agnieszka Napiorkowska-Krebietke vom zuständigen Institut für Binnenfischerei in Olsztyn am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.
Suche nach Verantwortlichen
Die polnische Regierung geht von einem Umweltsünder aus. „Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen“, sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki am Freitag vergangener Woche (12.08.).
Die polnische Polizei hat eine Belohnung von umgerechnet 210 000 Euro für Hinweise auf den Täter ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile mehr als 200 Zeugen gehört und zwölf Ortstermine an der Oder absolviert - eine heiße Spur war bislang nicht dabei.
Industrie im Visier
Ermittler überprüfen derzeit auch Industriebetriebe, die in der Nähe des Flusses liegen. In den Tagen nach den ersten Hinweisen auf das Fischsterben wurde in sozialen Medien in Polen eine Papierfabrik im niederschlesischen Olawa südlich von Breslau beschuldigt. Das Unternehmen dementiert. Das Werk habe „weder etwas mit der Umweltkatastrophe an der Oder zu tun noch in irgendeiner Weise dazu beigetragen“, hieß es in einer Erklärung vergangenen Woche.
Experten wie der Chemie-Professor Marcin Drag von der Fachhochschule in Wroclaw (Breslau) vermuten aufgrund des hohen Salzgehaltes, dass der Fluss mit Einleitungen aus dem schlesischen Bergbau verseucht wurde. Nach Angaben des oppositionellen Parlamentsabgeordneten Piotr Borys leitet ein staatliches Bergbau-Unternehmen bei Glogow regelmäßig salzhaltiges Abwasser aus einem riesigen Rückhaltebecken in die Oder ein - es hat dafür allerdings auch die Genehmigung der Wasserbehörde.
Man setze alles daran, dass kein toter Fisch im Stettiner Haff ankomme, hatte der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), gesagt. Mit Stand Dienstag seien im deutschen Teil des Haffs keine toten Fische gesichtet worden. Die Oder fließt in das Stettiner Haff, durch das die Grenze von Deutschland und Polen verläuft, und von dort aus in die Ostsee.
Auf der Suche nach der Ursache für das massenhafte Fischsterben in der Oder haben die Forscher weiter eine giftige Algenart im Blick, die sich im Fluss rasant entwickelt hat. Mittlerweile sei die Mikroalge mit dem Namen Prymnesium parvum identifiziert worden, sagte der Gewässerökologe Christian Wolter der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch. „Die Art ist bekannt dafür, dass es gelegentlich zu Fischsterben kommt“.
Giftige Algenart könnte der Auslöser der Giftwelle sein
Unklar sei nach wie vor, ob das Toxin der Alge der Grund für das Fischsterben in der Oder sei. Ob sie in diesem Fall Giftstoffe produziert hat, müsse noch nachgewiesen werden, betonte der Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Er sprach von einer massiven Algenblüte mit 200 Mikrogramm pro Liter und mehr als 100.000 Zellen pro Milliliter Wasser. Für den Menschen sei das Toxin der Alge aber ungefährlich.
Was wissen wir über die giftige Algenart in der Oder?
Eigentlich lebe die Algenart im Brackwasser, beschrieb Wolter. Das entsteht typischerweise an Flussmündungen, wo sich Süß- und Salzwasser vermischen. Doch in einem salzhaltigen Milieu könne sie gut wachsen, sagte der Gewässerökologe. Zudem brauche die Alge hohe PH-Werte. „Als Brackwasserart würde sie ansonsten in der Oder keine Massenentwicklung bilden“.
Für den Fachmann besteht damit ein klarer Zusammenhang zwischen einer Salzeinleitung und der Algenentwicklung. Er persönlich glaube nicht an einen Unfall, sagte Wolter. Zunächst hatten mehrere Medien über die Alge berichtet, darunter der rbb und t-online.
Drei Hypothesen zur Ursache
Die erste Hypothese ist das mögliche Eindringen eines giftigen Stoffes ins Wasser, entweder beim Produktionsprozess in einem an der Oder ansässigen Industriebetrieb oder durch eine illegale Einleitung in den Fluss.
Die zweite Hypothese besagt, dass die Ursachen natürlicher Natur waren: hohe Temperaturen, niedrige Wasserstände und erhöhte Schadstoffkonzentrationen. Die dritte Hypothese sei die Einleitung einer großen Menge chlorhaltigen Brauchwassers in die Oder.
Versuchte Wassermassen bewegen sich auf die Ostsee zu
Auch südlich der Hafenstadt Stettin sind mittlerweile nach Angaben polnischer Behörden in Kanälen, die mit der Oder verbunden sind, tote Fische gefunden worden. Dies bedeute, dass sich die verseuchten Wassermassen auf Stettin zubewegten, sagte der Chef der Gebietsadministration für die Woiwodschaft Westpommern, Zbigniew Bogucki, am Dienstag.
Verendete Tiere werden in speziellen Verbrennungsanlagen vernichtet
Gesundheitliche Risiken könnten bislang nicht ausgeschlossen werden. Auch vom Angeln, Fischen und der Wasserentnahme haben Behörden abgeraten.
Allein die polnische Feuerwehr hat nach eigenen Angaben bislang fast hundert Tonnen toter Fische aus dem Grenzfluss und einem kleineren Fluss geborgen, der keine Verbindung zur Oder hat. Auch in Brandenburg sammelten Helfer die Fischkadaver an der Oder ein.
Polnische Zeitung geht mit polnischer Regierung hart ins Gericht
Die polnische Öffentlichkeit geht derweil nicht mehr davon aus, dass die Ursache geklärt und die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. „Die Oder ist tot, und das wird sie auch in den nächsten Jahren bleiben. Es ist nicht klar, inwieweit die staatlichen Stellen dafür verantwortlich sind. Und die Behörden werden alles tun, um sicherzustellen, dass diese Verantwortung niemals genau geklärt wird“, schreibt die polnische Tageszeitung „Rzeczpospolita“.
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Die verendeten Tiere werden in speziellen Verbrennungsanlagen vernichtet. Über die in Deutschland eingesammelten Mengen gab es vorerst keine Angaben. (mbr/dpa)