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Fischzucht„Die Zander kommunizieren mit uns – über Fressverhalten und Ausscheidungen“

Lesezeit 9 Minuten
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Meeresbiologe Marco Böer  und Fischwirt Patrick Meyer (r.) setzen die  Zander  in ein

Porta Westfalica – Die Zander von Porta Westfalica hatten auch schon hohen Besuch – die damalige NRW-Landesregierung hatte im Frühjahr eine Delegation entsandt. Im äußersten Nordostzipfel des Landes wachsen mitten im Industriegebiets bis zu 120000 Stück der prachtvollen Raubfische in einer großen Halle der Firma „Glammeier und John Aquakultur“ ihrer Bestimmung als Speise- oder als Besatzfisch entgegen. Ein Staatssekretär überbrachte den Betreibern einen Förderbescheid von EU und Land NRW und erklärte in großen Worten, die „zukunftsweisende Aquakultur“ sei ein „entscheidender Beitrag für eine nachhaltige Fischwirtschaft.“

Doch, die amtliche Würdigung weiß René John durchaus zu schätzen. Er ist studierter Architekt, gemeinsam mit Stefan Glammeier hat er im Jahr 2005 ein Unternehmen für den Bau von Hallen gegründet, das inzwischen europaweit operiert. Seit einigen Jahren arbeitet er zusätzlich an seiner, wie er sagt: „Vision“ – einer modernen Aquakultur in ziemlich großem Stil. Auslöser der Idee war vor zehn Jahren eine TV-Reportage über eine Indoor-Farm für die Zucht von Garnelen, die John gesehen hatte. „Das hat mich inspiriert“, sagt er. In jungen Jahren war er ein leidenschaftlicher Angler und Biochemie-Tüftler gewesen, das passte.

John wusste: Sowas wollte er auch machen – aber anders. Ökologischer und nachhaltiger sollte es werden und am besten klimaneutral. Nach vielem Forschen und Entwickeln wussten er und Glammeier schließlich, dass es eine geschlossene Kreislaufanlage es werden sollte und ja, Zander sollten es sein. Die beiden gründeten das Unternehmen „Kaiserzander“ – Zander wegen der Zander und Kaiser wegen Kaiser Wilhelm, dessen berühmtes Denkmal hoch über Porta Westfalica den Durchbruch der Weser aus dem Bergland in die norddeutsche Tiefebene überwacht.

Fische kommunizieren über Daten und Fressverhalten

Die Anlage zu des Kaisers Füßen ist ein mit RAS (nach dem englischen Begriff Recirculating Aquaculture System/ rezirkulierendes Aquakultursystem) abgekürztes Großprojekt. In den derzeit 22 algengrünen Becken wachsen die Zander tonnenweise heran – nach Größe sortiert und unter optimierten Bedingungen, wie John erklärt: Wasserqualität und Temperatur sind ebenso computerüberwacht wie die Strömung in den Becken und die Futterrationen – all das ist abgestimmt auf die vermutlichen Bedürfnisse der Fische ebenso wie auf die Erfordernisse des Betriebs. Obwohl der Zander ein Raubfisch ist, besteht das Futter zu 80 Prozent aus pflanzlichen Stoffen.

Die Maschinen in der Halle arbeiten extrem leise, die indirekte Beleuchtung soll die Tiere vor Stress bewahren, sie mögen’s still und schummrig, wie sie es auch in ihren natürlichen Umgebungen der Seen und Flüsse vorfinden würden. Beschwert hat sich jedenfalls noch keiner der Zander, sie sagen ja nichts. Fischwirt Patrick Meyer widerspricht: „Dochdoch, sie kommunizieren schon mit uns – über die Daten, über ihr Fressverhalten und die Ausscheidungen.“ Wenn die gemessenen Parameter im Rahmen bleiben, sind die Fische gesund und theoretisch auch zufrieden.

Manche Vorzüge in diesem Kreislaufsystem sind ziemlich offenkundig: Die Gefahr, dass Keime, Parasiten, Chemikalien oder Schwermetalle von außen in die Fischzucht gelangen, geht gegen Null – fischfressende Räuber, Krankheitserreger und die Unwägbarkeiten vom Wind und Wetter haben keinen Zutritt zu der Halle.

Kaiserzander erzeugt Strom für Produktion selbst

Per Definition gelangen in einem geschlossenen Kreislauf auch keine belasteten Stoffe nach draußen – und da werden die Dinge komplexer. Wenn René John das System der Wasserreinigung und Wiederaufbereitung erläutert, rächt es sich beim Zuhörer schnell, wenn man im Chemie- und Bio-Unterricht nicht besser aufgepasst hat. Wenn da von den biochemischen Vorgängen und Denitrifikation die Rede ist und berichtet wird von der gezielten Unterstützung bestimmter Bakterien, die Stickstoff komplett aus dem Wasser zu entfernen in der Lage sind – dann ist klar: Das ist nichts, was man mal eben für die Angelschein-Prüfung lernt – das ist angewandte Wissenschaft.

„Ja“, sagt John, „ich habe mich da auch ganz schön reingefuchst.“ Und ein Team aus Experten hatte er zusammengestellt, die die ganze Anlage auf dem neuesten Stand der Techniken fertig stellen und in Betrieb nehmen konnten. Das gereinigte Wasser wird – das ist der Kreislauf – immer wieder zurück in die Fischbecken gepumpt. Aber „ganz am Ende“, erklärt John, „leiten wir erneut aufbereitetes Wasser zurück in den natürlichen Kreislauf – in Trinkwasserqualität.“ Ambition und Expertise sind gleichermaßen anspruchsvoll und entscheidend für das Funktionieren des Systems – Experten wie Meeresbiologe Marco Böer und Fischwirt Meyer sorgen für möglichst reibungslosen Ablauf.

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Computergesteuert  geben diese Apparate Futterpellets  in die Becken –  bis zu 

Die notwendige Energie für ihre Anlage erzeugen Glammeier und John „zu 100 Prozent“selbst: „Durch unsere Photovoltaik- und Windenergieanlagen erzeugen wir ein Mehrfaches an Strom, wie wir selbst verbrauchen.“ Am Ende sei die Bilanz klimaneutral.

Die Kosten für solch eine Anlage sind erwartbar hoch. Auch daher war der Zander eine geeignete Wahl als Zielfisch. „Der Zander ist beim Verbraucher akzeptiert als heimischer und wohlschmeckender Fisch“, sagt John, „es ist auch akzeptiert, dass Zander ein hochpreisiger Fisch ist.“ Mit preiswerteren Fischen ließe sich das Projekt kaum finanzieren.

Insekten: In vielen Ländern eine Delikatesse, in Europa verpöhnt

Die Anlage ist kein Selbstzweck. Worum es bei Aquakultur allgemein und in Porta Westfalica im speziellen geht: „Fische verbrauchen bei ihrem Wachstum im Vergleich zu allen anderen Lebewesen die geringste Menge an Futter und erzeugen gleichzeitig die geringste Menge an Ausscheidungen“, sagt René John und kommt dann aufs große Ganze: „Um die Menschheit mit hochwertigen tierischen Proteinen zu versorgen, kommen – wenn wir davon ausgehen, dass nicht jeder vegan leben wird – perspektivisch nur Fische in Frage. Oder Insekten.“

Ja, Insekten. Die Krabbeltiere sind eine exzellente Quelle von Omega-3-Fettsäuren, B-Vitaminen und wichtigen Mineralstoffen. Käfer, Raupen, Ameisen, Mehlwürmer – sie alle verfügen über einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, sie sind proteinreich und die Zucht von Insekten gilt als relativ klimafreundlich: Sie brauchen wenig Platz, wenig Wasser und verursachen kaum Treibhausgase.

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Blick in die Produktionshalle von Porta Westfalica – die Becken fassen je nach Besatzmenge 35, 55 oder 100 Kubikmeter Wasser.  

Zwei Milliarden Menschen nutzen weltweit laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) Insekten als Nahrung; in Deutschland und Umgebung aber lösen die Krabbler eher Ekel aus als Appetit – einige viel beachtete Vorstöße von Sterneköchen vor einigen Jahren blieben beinahe folgenlos. Gegrillte Heuschrecken sind eher ein Party-Gag denn ernsthafte Ernährungs-Alternative.

In der Hitliste der ökologisch vertretbaren tierischen Protein-Lieferanten belegen die Fische einen guten zweiten Platz. Eigentlich. Das Problem: Die weltweite Fischwirtschaft ist aus den Fugen geraten. „Wir haben in den letzten 30 Jahren gelernt, dass die Meere keine unerschöpfliche Proteinreserve darstellen“, sagt der Meeresbiologe Kim Detloff, Leiter der Abteilung Meeresschutz beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die Erträge im weltweiten Fischfang waren von 1950 bis etwa 1990 von jährlich 20 Millionen Tonnen auf etwa 80 Millionen Tonnen pro Jahr gestiegen – und stagnieren seither. Viele Bestände sind gefährdet.

Produktionsbedingungen in einigen asiatischen Aquakulturen katastrophal

„Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre haben wir gemerkt, dass das System kippt“, sagt Detloff, „trotz immer weiter steigendem Fischereidruck konnten die Erträge nicht mehr gesteigert werden.“ Der steigende Fischverbrauch der wachsenden Weltbevölkerung war nicht mehr abzudecken. „Damit begann der Durchmarsch der Aquakultur“, sagt Detloff. Inzwischen übertrifft der Anteil der Aquakulturen am weltweiten Fischverbrauch die Wildfischfänge.

Das klingt wie ein Ausweg, ist aber keiner. Gut 80 Prozent der Aquakultur-Fische und -Meeresfrüchte kommen aus Asien, die Produktionsbedingungen dort gelten als oft katastrophal, vor allem in ökologischer Hinsicht. Detloff verweist auf die Garnelen-Farmen: „In den Lagunen im Meer werden die Mangrovenbestände abgeholzt, Dämme gebaut und künstliche Teichanlagen eingerichtet – die Garnelen schwimmen in ihrer eigenen, Verzeihung, Scheiße.“ Und landen nach einer Reise um die halbe Welt auf deutschen Tellern.

Vergleichbar war die Situation – Überbesatz, extremer Medikamenteneinsatz, stark überhöhte Konzentration von Nahrungs- und Ausscheidungsresten – auch in den offenen Aquakulturen für Lachse an den Küsten von Chile und Norwegen. Immerhin: Vor allem in Europa haben die Betreiber dieser Gehege-Aquakulturen aus den Fehlern gelernt – der Einsatz von Medikamenten sei drastisch zurückgegangen, die Belastung des Wassers wurde stark gesenkt, sagt Detloff. Allerdings: Je weiter weg die Produktionsstätten vom Geltungsbereich der EU-Regularien liegen, desto weniger Rücksicht auf Tiere und Umwelt kann vorausgesetzt werden.

89 Prozent der Fische in Deutschland sind importiert

Zudem: „Die weiten Transportwege machen ökologisch natürlich gar keinen Sinn“, sagt Detloff. Für Beispiele muss man nicht weit schauen: „Das machen wir bei der Nordseekrabbe im übrigen ja auch – wir schicken die nach Marokko zum Pulen, von dort kommen die zurück und werden verarbeitet. Davon müssen wir weg.“ Seine Forderung: „Wir müssen auch bei der Aquakultur zu Selbstversorgern werden. Regional produzieren ist der richtige Weg.“

Diese Erkenntnis hat sich bislang nicht durchgesetzt. Der Verbrauch an Fischerei- und Aquakulturerzeugnissen in Deutschland betrug im Jahr 2020 2,1 Millionen Tonnen. Der Anteil der Importe lag mit einem Volumen von 1,9 Millionen Tonnen bei 89 Prozent. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung stellte dazu fest: „Es ist ethisch und politisch zunehmend weniger vertretbar, dass Deutschland inländische Aquakulturproduktion kaum zulässt und entwickelt, aber Aquakultur-Produkte aus Herkunftsländern mit oft schlechterem Umwelt- und Sozialmanagement in großer Zahl nachfragt, obwohl aus produktionstechnischer und ökonomischer Sicht geeignete Standorte für die inländische Erzeugung zur Verfügung stehen.“

Geeignete Standorte – da sind wir zurück in Porta Westfalica. Wenn die RAS-Anlage sich am Markt behauptet, dann ist das nicht nur schön für die Betreiber; es wird zugleich der Nachweis erbracht, dass die Produktion von hochwertigem Fisch überall und sogar unabhängig von einer direkten Anbindung an ein Gewässer technisch möglich und wirtschaftlich rentabel sein kann.

Fischaufzucht im Emsland gebaut

Zum Modell Porta Westfalica gehört, dass der Zandernachwuchs selbst produziert wird, was wegen physiologischer Besonderheiten dieses Fisches als äußert anspruchsvolle Aufgabe gilt. In 2015 hatten John und Glammeier eine Kreislaufanlage für Zander in Niederlangen/Emsland erworben – seit 2019/ 2020 sitzt dort die Besatzfischaufzucht für die Setzlingsversorgung für Porta Westfalica und – das ist Teil des Geschäfts – weit darüber hinaus.

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Der Transport der Zander erfolgt durch spezialisierte Fachleute in Behältern mit eigens auf die Fische abgepasste Wassertemperatur.  

Zu den Abnehmern der Zander gehört „Mohnen Aquaculture“ in Stolberg – einer der größten deutschen Fischzuchtbetriebe. In der Voreifel werden bevorzugt Forellen in weitgehend natürlich gehaltenen Durchfluss- und Beckenanlagen produziert. Die Tiere werden lebend oder verarbeitet verkauft, an Großabnehmer, an Angelparks oder auch im Hofladen direkt an die Kunden. Gut 200 bis 220 Tonnen Fisch pro Jahr produziert Mohnen selbst, 1100 Tonnen werden jährlich umgesetzt. „Wir kaufen viel Fisch zu, vor allem Karpfen und vermehrt auch Störe“, sagt Philipp Mohnen. Und ja, Zander.

Das Projekt in Porta Westfalica verfolgt er mit großem Interesse: „Zander sind ein schwieriges Metier. Es gab schon Versuche in der Schweiz oder Dänemark – das ist schon öfter schief gegangen“, sagt Mohnen. Er zeigt sich beeindruckt vom „unternehmerischen Mut“: „Es ist gut, dass jemand im großen Stil an das Thema herangeht – von der Aufmerksamkeit, die so ein Leuchtturmprojekt in der Öffentlichkeit und in der politischen Arena auf sich zieht, können wir in NRW nur profitieren.“

Zweite Produktionsstraße in Porta Westfalica angelegt

Aktuell produzieren John und Glammeier etwa 100 Tonnen Zander im Jahr – bislang wurden in ganz Deutschland nur etwa 55 Tonnen jährlich in Aquakulturen gezüchtet, ein dreistelliger Tonnenbetrag stammt aus inländischer Fischerei, der übergroße Rest kommt tiefgefroren aus dem Ausland, gerne aus Kasachstan.

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In Porta Westfalica ist eine zweite Produktionsstraße schon angelegt, ein zügiger Ausbau auf 200 Tonnen jährlich ist möglich. Insgesamt ist Platz für sechs Produktionsstraßen, möglich wäre zeitnah eine Steigerung des Ertrags auf 600 Tonnen Zander pro Jahr. Das Erreichen der Gewinnzone setzt John an bei einem Produktionsvolumen von 150 bis 200 Tonnen im Jahr.