Leverkusener KonzernBayers Experimentier-Bauer braucht Frost – oder Glyphosat
Leverkusen – Für Frank Terhorst ist es gerade die spannendste Geschichte, für Bernd Olligs im Prinzip ein alter Hut. Terhorst, der in Bayers Agrochemie-Sparte für „Strategie und Nachhaltigkeit“ verantwortlich ist, und Olligs, der einer von Bayers 30 Experimentier-Bauern ist, meinen Zwischenfrüchte auf dem Feld.
Damianshof: In sechster Generation bei Rommerskirchen
Die halten den Boden bedeckt, was eine ganze Menge Vorteile bietet. Olligs experimentiert auf seinem Damianshof gerade mit einer Mischung, die nicht nur grün ist, sondern auch Blüten hat. Die eine oder andere Sonnenblume lugt aus dem Feld – „das sieht auch schön aus“, sagt Olligs, der für die sechste Generation auf dem Hof bei Rommerskirchen steht. Das mit den immergrünen Feldern, das habe übrigens schon seit Vater so gemacht, „da muss ich gar nicht drüber diskutieren“, sagt er.
Allerdings muss er mit sich ausmachen, wie er den üppigen Bodendecker wieder vom Feld bekommt, wenn die nächste Aussaat ansteht. Die natürlichste Methode sind „vier, fünf Tage Frost“: Dann muss er mit dem Trecker nicht mehr viel machen. Bleibt die Kälte aus, was im Schatten des Kraftwerks Neurath keine Seltenheit ist, hat Olligs ein Problem.
Pflug soll nicht mehr aufs Feld
Er könnte das Grünzeug unterpflügen, was drei Durchgänge bedeuten und den eigentlichen Zweck der Zwischenbepflanzung weitgehend ad absurdum führen würde: Der Boden würde mit schwerem Gerät aufgebrochen, „das kostet auch jede Menge Sprit“. Bleibt eine Möglichkeit, die pikant klingt, für einen Landwirt, dessen Vater schon mit Bayer zusammengearbeitet hat, aber sehr naheliegend ist: Glyphosat. Billig und leicht in der Verarbeitung. Man wird also sehen, was der Winter bringt.
Für Bauern im mittleren Westen der USA sind Zwischenfrüchte Neuland. Wenn Ende September der Mais abgeerntet sei, lägen die Felder bis Ende März brach, berichtet Terhorst, der gerade ein paar Jahre dort verbracht hat. Das will Bayer ändern. Der Konzern hat im Sommer seine Beteiligung an „Covercress“ auf 65 Prozent erhöht.
Ein umgebautes Kraut
Das Start-up aus Missouri hat Ackerhellerkraut zu einer Winterölsaat umgebaut. Aus der Pflanze lasse sich ziemlich leicht Diesel-Kraftstoff herstellen, berichtet Terhorst. Deshalb gehört auch der Energiekonzern Chevron zu den Teilhabern von Covercress Inc. „In rund fünf Jahren“, schätzt Terhorst, könne sich das weiterentwickelte Ackerhellerkraut als dritte Frucht- und Einnahmequelle für Mais- und Sojabauern etablieren.
Ein Feld, das im Winter nicht Wind und Regen ausgeliefert ist, hat für die Umwelt erhebliche Vorteile: Kohlenstoff bleibt im Boden, es gibt weniger Stickstoffverlust. Das heißt auch: weniger Dünger. „Der Preis hat sich in den letzten zwei, drei Jahren verfünffacht“, berichtet Landwirt Olligs. Deshalb seien winterliche Zwischenfrüchte auf dem Feld ganz einfach auch eine wirtschaftliche Frage.
Weniger Düngen ist Pflicht
Dazu kommt: „Wir müssen 20 Prozent weniger düngen.“ Der Nitratgehalt sei auch im Grundwasser bei Rommerskirchen zu hoch, „da müssen wir was machen“. Am besten ohne Ertragsverluste. Um das hinzubekommen, hat der experimentierfreudige Olligs mit Bayers Hilfe eine Menge Technik am Start. Teile des Hofs mit seinen 110 Hektar Fläche haben etwas von einem Labor.
Was alles gemacht werden kann – in Bayers und Frank Terhorsts Vokabular läuft das unter „Digital Farming“. Und bedeutet in Teilen nur die konsequente Nutzung von Daten, die sowieso erhoben werden. „Seit vier, fünf Jahren hat jede neue Landmaschine die Technik“, so Terhorst, um Saatgut besser zu verteilen, vor allem aber Dünger und Chemie, die Feldfrüchte vor Schädlingen und Unkraut schützen soll. Die Frage sei also nicht, wo man die Daten herbekommt, sondern: „Wie kann man sie zusammenbringen und nutzen?“
Beispiele dafür gibt es auf Bernd Olligs Damianshof zur Genüge. Tilman Puls von Bayer steht neben einem Bildschirm. Dort sieht man bearbeitete Luftaufnahmen des Feldes hinter ihm. Etwa, wie der Ertrag ist: erstaunlich unterschiedlich. Landwirt Olligs hilft die von Bayer unter dem Titel „Field View“ vermarktete Technik dabei, sich mit dem Gedanken zu versöhnen, Blühstreifen und Fenster in den Feldern freizuhalten, in denen Feldlerchen landen können. Auf dass sie nebenan im Schutz der Ackerpflanzen brüten können. Dafür opfert er Bereiche, die relativ wenig Ertrag bringen.
Wieder an die 30 Bienenarten
Weil Bayer diese Aktion vom Spezialisten Olaf Diestelhorst begleiten lässt, sieht der Landwirt auch die Erfolge: So finde man in dem Bereich jetzt um die 30 Wildbienenarten, sagt Diestelhorst. Dreimal so viele, wie in diesem landwirtschaftlich extrem genutzten Gebiet üblich. „Field View“, das zeigt Tilman Puls, ermöglicht relativ engmaschige Überwachung der Felder. So kann Landwirt Olligs schnell reagieren, wenn etwas nicht so läuft wie erwartet. Und das geschehe oft genug.
Das Problem: Er ist auf Satelliten-Aufnahmen angewiesen. Und die gibt es in der notwendigen Auflösung nur bei klarem Wetter. Im September wurde kaum ein Foto gemacht.
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Besser wäre, die Felder mit Drohnen zu überfliegen. Abstandsgebote und sonstige Regeln verhindern das. Für Olligs ist das eine Enttäuschung. Für Frank Terhorst, der solche Regeln aus den USA nicht kennt, dürfte so etwas nur ein Detail sein, das am Trend nichts ändert: „Digital Farming wird den Sektor stärker verändern als jede andere Technologie.“