US-BeteiligungFür den Leverkusener Bayer-Konzern ist die Drohne der neue Traktor
Leverkusen/Boston – „Eigentlich müssten die großen Traktoren-Hersteller hier massiv investieren.“ Doch statt von – zum Beispiel – Massey-Ferguson bekommt Adam Bercu Geld vom Bostoner MIT – und aus dem Bayer-Innovationsfonds „Leaps“. Der Gründer und Vorstand von „Guardian Agriculture“ im Speckgürtel von Boston tüftelt mit seiner 30 Leute starken Truppe an einer Revolution im Luftraum über Äckern. Dort sollen in Zukunft nicht mehr Hubschrauber oder gar kleine Flugzeuge Saatgut, Dünger und Unkrautvernichter oder anderen Pflanzenschutz ausbringen, sondern Drohnen.
Aus Sicht von Adam Bercu haben alle existierenden Systeme erhebliche Nachteile: Trecker verdichten den Boden, wenn sie ihre Bahnen übers Feld ziehen. Den Effekt kann man ausrechnen, sagt Bercu: „Das kostet zwei bis fünf Prozent an Ertrag bei jeder Aussaat.“ Und: Traktoren brauchen Treibstoff. Und der wird nicht nur in Europa immer teurer, sondern auf der ganzen Welt. Und wenn das Getreide oder die Feldfrucht erst einmal ausgesät ist, sei es kaum noch möglich, das Feld mit dem Trecker zu befahren, ohne großen Schaden anzurichten.
Was gegen Flugzeug und Heli spricht
Letzteres spricht für den Zugang aus der Luft. Aber den gängigen Methoden mit dem Flugzeug oder dem Helikopter schreibt der Chef von Guardian Agriculture viele Mängel zu, die den Laien erstaunen. Ein Flugzeug sei normalerweise nicht länger als 30 Minuten im Einsatz. Weil es irgendwo eine Start- und eine Landebahn braucht, kommen selbst in den geräumigen USA längere Anmarschwege hinzu. Außerdem fehlt es an Piloten, weswegen viele Farmer im Nebenberuf Piloten sind. Aber dieses Potenzial ist begrenzt.
Das, sagt Bercu, gelte auch für Helikopter. Die können zwar neben dem Feld starten. Aber dieser Job sei ziemlich gefährlich, wie die jüngsten Zahlen zeigen. Rund 3000 Hubschrauber-Piloten gebe es in den USA, die bei der Aussaat, vor allem aber beim Verspritzen von Pestiziden eingesetzt werden. Davon seien allein in diesem Jahr schon neun bei Unfällen gestorben. Dazu komme: Der gefährliche Job werde ziemlich schlecht bezahlt. Der Vergleich mit dem Gehalt eines Verkehrsflugzeug-Piloten fällt überaus ernüchternd aus. Auch deshalb gebe es kaum Nachwuchs.
Kaum behördliche Beschränkungen
Die unbemannten Drohnen scheinen da sinnvoller zu sein. Sie brauchen keine Anmarschwege, die Akkus können neben dem Feld ausgetauscht werden, ebenso wie die Tanks und die Spritzeinheit. Die Drohnen könne ferngesteuert werden, und die rechtliche Seite sei auch viel weniger schwierig als bei Helis und Flugzeugen, berichtet Bercu: „Wir überfliegen kein bewohntes Gebiet und keine Menschen.“ Das erleichtere Vieles.
Dazu kommt: Im Verein mit guten Feld-Daten – und von denen gibt es zumindest in den USA viel mehr als man ahnt – kann die Drohne viel gezielter säen, vor allem aber düngen und spritzen. Das spare Tonnen an Pestiziden. Bercu hat es kalkuliert: 5000 Drohnen würden rund fünf Millionen Tonnen Pflanzengift einsparen.
Weitere 1,3 Milliarden für Innovationen
Leaps, das sind große Sprünge. Und die sollen die jungen Unternehmen machen, an denen sich Bayer beteiligt. Bisher waren das 54. Und auch wenn nicht jedes so schnell voran kommt, wie man sich das in Leverkusen vorstellt – einen Totalausfall habe es bisher auch nicht gegeben, sagt Jürgen Eckhardt. Der frühere McKinsey-Mann betreut den Beteiligungsfonds des Pharma- und Agrochemie-Konzerns und konnte seit 2015 rund 1,5 Milliarden US-Dollar ausgeben. Denn es sind die USA, und hier insbesondere die Gegend um das Biotech-Mekka Boston, in denen die Bayer-Scouts vielversprechende Firmen unter die Lupe nehmen.
Von „tiefen Taschen“ spricht man bei Bayer, wenn es um „Leaps“ geht. Während Finanzinvestoren nach zehn Jahren aussteigen, engagiert sich Bayer länger – und manchmal kommt es sogar zu einer kompletten Übernahme. Weil man in Leverkusen von dieser Art der Innovationsförderung überzeugt ist, hat Jürgen Eckhardt ein neues Budget bekommen: Bis 2024 kann er weitere 1,3 Milliarden Dollar ausgeben. Rund die Hälfte soll in neue und innovative Unternehmen fließen.
Von den bestehenden Beteiligungen ist eine knappe Hälfte unterwegs, um die Agrochemie zu modernisieren. Eine davon ist Joyn Bio – bei dieser Gründung war Bayer 2017 selbst Geburtshelfer. Dort versucht man, künstlichen Stickstoff-Dünger durch natürlichen zu ersetzen: An den Wurzeln von Lupine und Klee zum Beispiel kommen Knöllchenbakterien vor, die den in der Luft vorhandenen Stickstoff binden und an die Pflanze weitergeben können. Könnte man diese Bakterien in die Saat von Massen-Feldfrüchten wie Weizen bringen – der Verbrauch von künstlich hergestelltem Stickstoff-Dünger würde sich drastisch verringern. Von 30 Prozent spricht man bei Bayer. (tk)
Runter geht’s in die Halle bei Boston: Ein Prototyp der zweiten Generation steht bereit. Das Gestell haben die Guardian-Leute ebenso selbst zusammengeschweißt, wie auch sonst alles selbst gemacht ist. Das Gerät hebt kurz ab, der Lärm ist beträchtlich, aber nicht zu vergleichen mit einem Hubschrauber oder gar einem Flugzeug.
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Das Problem ist auch eher die geringe Kapazität: Während asiatische Felder mit oft nur zwei Hektar Fläche erwiesenermaßen Drohnen-kompatibel sind, wird es auf dem Heimatmarkt schon schwieriger: Das typische Feld in den USA ist 200 Hektar groß – und in Brasilien wird es so richtig gigantisch: 1000 Hektar sind dort keine Seltenheit. Da müssen schon eine Menge Akkus und Tanks herangeschafft werden. Aber die Daten-gestützte und damit sparsame Aufbringung von Dünger oder Pestiziden würde sich auch besonders stark bemerkbar machen. Davon sind nicht nur Bercu und seine Leute überzeugt. Sondern auch Bayer und das MIT.