Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller erklärt, warum Staat und Kirche ihr Verhältnis neu ordnen müssen, und warnt vor einem katholischen Ghetto in Köln.
Kirche und StaatKirchenrechtler Schüller: Komplizen in einer unheiligen Allianz
Herr Professor Schüller, als Theologe an einer staatlichen Universität monieren Sie eine „unheilige Allianz“ zwischen Staat und Kirche. Sägen Sie gern an Ästen, auf denen Sie sitzen?
Die Theologie als eine der Gründungsfakultäten europäischer Hochschulen gehört für mich ins Konzert der Wissenschaften. Sie hat beispielsweise im Bereich der Ethik etwas zu sagen. Meine Anfrage zielt auf die massiven Eingriffsrechte, die das gewachsene Staat-Kirche-Verhältnis den Bischöfen und mehr noch den römischen Behörden bei der Berufung auf theologische Lehrstühle gibt. Da können mit wissenschaftsfremden Kriterien und komplett intransparenten Verfahren akademische Karrieren torpediert und zerstört werden.
Und das geschieht?
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Fortwährend. Manches wird bekannt, wie zuletzt der Fall des angesehenen Brixener Moraltheologen Martin Lintner, der nicht Dekan seiner Hochschule werden durfte, weil Rom in seinen Lehren Verstöße gegen die amtliche kirchliche Sexualmoral witterte. Damit kriegen Sie jeden Theologen klein, der etwas auf sich hält. Theologinnen natürlich auch – und erst recht. Dazu kommen die vielen anonymen Fälle, in denen Rom auf die Lebensführung zielt. Eine homosexuelle Partnerschaft als Karrierekiller – das hat mit Wissenschaften nichts zu tun, von Menschenrechten gar nicht zu reden. Und da meine ich: Das darf der Rechtsstaat nicht durchgehen lassen.
Da geht es immer um einzelne Biografien. Gibt es auch institutionelle Verschränkungen, die Sie für falsch halten?
Der Staat räumt Rom weitreichende Befugnisse bei den Studiengängen und den Prüfungsordnungen ein. Ich kann für meinen eigenen Verantwortungsbereich, den Lizentiatsstudiengang Kirchenrecht an der Uni Münster, ein Lied davon singen, wie interessierte kirchliche Kreise in Deutschland die römischen Privilegien ausnutzen wollen, um uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Kardinal Woelki bastelt mit seiner „Kölner Hochschule für Katholische Theologie“ (KHKT) an einer staatsfreien theologischen Ausbildung. Ihre Warnung vor der unheiligen Allianz mit dem Staat kommt seinem Modell doch bestens zupass.
Nur ist Woelkis Pointe das Gegenteil von meiner: Er will Abschottung und Abgrenzung, eine Theologie fernab von allen verderblichen Einflüssen der bösen Welt und des freien Denkens. Er will sich als Großkanzler der Hochschule möglichst uneingeschränkten Zugriff auf Inhalte und Lehrpersonal sichern. Mit Wissenschaftlichkeit hat das nur noch wenig zu tun. Das ist katholisches Ghetto. Kein Wunder also, dass der KHKT nach wie vor die förmliche Akkreditierung durch die Stellen fehlt, die kirchliche Hochschulen auf die Erfüllung qualitativer Standards zu prüfen haben.
Ohne den Einfluss der Kirchen auf die Studiengänge an den Universitäten bräuchte es dort doch gar keine Theologie. Stattdessen könnte man Religionswissenschaft auf höchstem Niveau betreiben.
Der Staat muss schon deshalb eine theologische Ausbildung an Universitäten gewährleisten, weil die deutsche Verfassung – einzigartig in der Welt – den konfessionellen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an den Schulen garantiert. Über dessen Inhalte kann der weltanschaulich neutrale Staat nicht entscheiden. Also braucht es die Mitwirkung der Religionsgemeinschaften, hier konkret der Kirchen.
Zieht da nicht der eine Fehler den anderen nach sich?
Der Religionsunterricht ist ja kein Privileg der Kirchen, wie sich aktuell an den Debatten über islamischen Religionsunterricht zeigt. Es war eine bewusste Werte-Entscheidung der Väter und Mütter des Grundgesetzes, neben dem klassischen Fächerkanon an den Schulen ein Fach zu etablieren, das konfessionell gebundenen Schülerinnen und Schülern religiöse Werte und Haltungen vermittelt – mit den gleichen pädagogischen Standards wie im Deutsch-, Mathe- oder Biologieunterricht.
Also doch eher eine heilige als eine unheilige Allianz.
So wurde es 1949 bei der Entstehung des Grundgesetzes empfunden. Die religionsfreundliche Grundeinstellung unserer Verfassung insgesamt ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem totalitären, menschenverachtenden Regime des Nationalsozialismus. Heute, gut 70 Jahre später hat sich die religiöse Landschaft stark pluralisiert. Die Christen machen nur noch etwa die Hälfte der Bevölkerung aus – Tendenz stark sinkend. Im Zuge dessen hat die starke Rechtsstellung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts in Verbindung mit weitgehenden Privilegien zur eigenständigen Regelung ihrer internen Angelegenheiten an Plausibilität verloren. Und da wird die „heilige Allianz“ zur unheiligen, wenn kirchliche Einflussmöglichkeiten oder Monopolstellungen etwa in der Trägerschaft von Sozialeinrichtungen einfach fortgeschrieben werden. Die reale gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen läuft auf die Nulllinie zu, aber der Staat und hier insbesondere die Bundesländer dealen weiter mit den Kirchen als den großen sozialen Playern. Das ist eine Doppelbödigkeit, die nicht mehr lange tragen wird.
Und was dann?
Dem Staat empfehle ich mehr Pluralität in der Trägerlandschaft, den Kirchen empfehle ich eine stärkere Konzentration auf Bereiche der christlichen Nächstenliebe, in denen das soziale Netz des Staates Lücken hat: Obdachlosenhilfe, Hospize.
Dafür braucht es nicht zuletzt eines: Geld. Die offensichtlichste Kooperation zwischen Kirche und Staat ist das System des Kirchensteuereinzugs durch die Finanzämter. Auch eine „unheilige Allianz“, die Sie beenden wollen?
Wer immer dieses System angreifen will, muss wissen: Es gibt keine heilige Kuh, die verfassungs- und staatskirchenrechtlich so gut geschützt ist wie die Kirchensteuer. Aber, und das ist mein Ansatz: Angesichts der Mitgliederentwicklung bei den Kirchen wird es spätestens mit der Verrentung und dem Ableben der Babyboomer zu dramatischen Einnahme-Einbußen aus der Kirchensteuer kommen. Darauf müssen sich die Kirchen schon jetzt einstellen – einschließlich der Erschließung alternativer Finanzierungsquellen.
Die aber niemals an die Milliarden heranreichen werden, die derzeit über die Kirchensteuer in die Kirchenkassen sprudeln.
Richtig. Wir werden in Deutschland einen massiven Einbruch bei allem erleben, was bisher aus der Kirchensteuer finanziert war. Auch das muss jeder wissen, der das System infrage stellt.
Die Bischöfe versuchen, es auch dadurch zu schützen, dass der Kirchenaustritt – und das heißt ja faktisch: das Ende der Kirchensteuerzahlung – de facto zur Exkommunikation führt, also religiös sanktioniert wird.
Das ist eine deutsche Spezialität, die in der Weltkirche kaum verständlich zu machen ist. Sie können in Frankreich Sonntag für Sonntag in die Kirche gehen und bei der Kollekte jedes Mal einen Hosenknopf ins Kollektenkörbchen werfen – passieren wird Ihnen deshalb nichts. Nur in Deutschland gibt es eine Strafnorm für Gläubige, die der Kirche ihren Finanzierungsbeitrag verweigern. Aber ehrlich gesagt: Mehr als eine Drohkulisse ist das heutzutage nicht mehr. Kaum einer glaubt noch an die Macht der Kirche über das Seelenheil. Und für die kirchlichen Riten zur Geburt, zur Hochzeit oder im Todesfall gibt es heute längst einen großen Markt säkularer Alternativangebote.
Was kommt nach dem von Ihnen propagierten Ende der Allianz von Kirche und Staat?
Ich erwarte nicht das Ende jedes Zusammenwirkens, das vom Grundgesetz ermöglicht und sogar für gesellschaftsdienlich erachtet wird. Im Gegensatz zu laizistischen Pressure-Groups wie der Giordano-Bruno-Stiftung begrüße ich die religiöse Geneigtheit unserer Verfassung. Religion gehört für viele Bürgerinnen und Bürger im säkularen Staat zum Leben als Einzelne und in Gemeinschaft. Der Staat sollte sich aber von der faktischen Alleinkonzentration auf die christlichen Kirchen verabschieden und so dem verfassungsrechtlichen Gebot der Neutralität und Parität zum Durchbruch verhelfen.
Trotz eines Ungleichgewichts sowohl was die historische und kulturelle Prägung des Landes angeht, als auch was die Zahlen betrifft? 50 Prozent Christen, das ist immer noch ein großer Bevölkerungsanteil.
Ihre Frage zielt auf ein tiefer liegendes Problem, für das ich selbst noch keine Lösung anbieten kann: Kann aus der Mitte der Gesellschaft ein zivilgesellschaftliches Engagement mit genügend Power kommen, um dauerhaft, verlässlich und kompetent die Aufgaben zu übernehmen, die derzeit noch mehr oder weniger flächendeckend von den Kirchen und kirchlichen Trägern erfüllt werden? Und wenn nein, kann der Staat dann überhaupt anders, als sich weiter zum Komplizen in einer unheiligen Allianz zu machen?
Zur Person
Thomas Schüller, geb. 1961, ist seit 2009 Professor für Kirchenrecht und Direktor des Instituts für kanonisches Recht an der Universität Münster. Schüller hat in Tübingen, Innsbruck und Bonn katholische Theologie studiert. Bekannt wurde er unter anderem durch seine kritischen Stellungnahmen zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche, zu den Kontroversen um den Kölner Kardinal Rainer Woelki sowie zum „Synodalen Weg“, dem Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland. Im März wurde Schüller in den Synodalen Ausschuss gewählt, der die Arbeiten des Synodalen Wegs fortsetzen soll. (jf)
Im Oktober erschien im Hanser Verlag sein Buch „Unheilige Allianz. Warum sich Staat und Kirche trennen müssen“, 208 Seiten, 22 Euro.