Tat in MeckenheimWitwe von Amokschütze soll Schmerzensgeld an Polizisten zahlen
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Meckenheim – Viktor G. feuerte wild um sich. An jenem Abend des 22. November 2020 schlugen die Projektile seiner beiden Schusswaffen in die Fassaden der Häuser in der Nachbarschaft, Fenster zersplitterten, Autos wurden beschädigt. Als die ersten Streifenwagen eintrafen, eröffnete der Stukkateurmeister erneut das Feuer, ein Geschoss durchschlug die Hand eines 60 Jahre alten Polizeibeamten.
Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) stellte den Sportschützen an einem Hauseingang. Erneut fielen Schüsse, als Viktor G. eine seiner Waffen hob. Offenbar hielt sich der Täter anschließend die Pistole an den Kopf und drückte ab, regungslos sackte er zusammen.
Die Gerichtsmediziner stellten später 2,4 Promille Alkohol im Blut fest. Von den drei Treffern galt der aufgesetzte Kopfschuss als Todesursache.
Die Folgen des Amoklaufs von Meckenheim beschäftigen noch heute die Justiz: Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, fordert der verletzte Polizist über seinen Anwalt Christoph Arnold nun mehrere Zehntausend Euro Schmerzensgeld von der Witwe des toten Schützen. „Mein Mandant leidet immer noch unter den Nachwirkungen des Geschehens, der Schuss durch seine Hand wird ihn Zeit seines Lebens beeinträchtigen“, erklärte der Bonner Jurist.
Erben müssen für Schmerzensgeld aufkommen
Die Gesetzeslage ist in solchen Fällen eindeutig: Verletzt ein Täter bei einem Einsatz einen Polizisten und stirbt, müssen die Erben für den erlittenen Schaden aufkommen. Reicht der Nachlass nicht aus, übernimmt der Staat die Entschädigungsleistungen.
Darauf läuft es etwa auch in dem Fall eines Beamten der Antiterroreinheit GSG 9 aus Sankt Augustin hinaus. Das Dresdner Landgericht hat dem Bundespolizisten Ende März 50.000 Euro Schadenersatz zugesprochen. Dies berichtete Justizsprecher Thomas Ziegler dieser Zeitung auf Anfrage.
Auch Polizeihund wurde schwer verletzt
Der Elite-Polizist war drei Jahre zuvor bei einem Einsatz gegen den Mörder einer Rentnerin am Arm schwer verletzt worden. Bei dem ersten Angriff auf sein Versteck in einem ehemaligen Kasernengelände in Königsbrück nahe Dresden hatte der 33 Jahre alte Ex-Soldat Robert K. nicht nur den GSG 9-Mann schwer getroffen, sondern auch einen Polizeihund namens Enzo.
Das Einsatzkommando hatte den Hund in den Unterschlupf des Schützen geschickt, um ihn auszuschalten. Robert K. schoss und streckte den belgischen Schäferhund nieder. Nur durch Bluttransfusionen anderer Hunde konnte Enzos Leben gerettet werden.
Bundespolizei muss Schmerzensgeld übernehmen
Während Enzo in den Ruhestand ging, versieht der verletzte GSG9-Beamte mittlerweile wieder seinen Dienst. Nun muss die Bundespolizei das gerichtlich zugesprochene Schmerzensgeld begleichen, weil Robert K. keine entsprechenden Mittel hinterlässt.
Land zahlte 686.000 Euro in zwei Jahren
In NRW springt die Landeskasse in solchen Fällen ein. Laut einer Sprecherin Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) übernimmt die öffentliche Hand „die Schmerzensgeldforderung dann, wenn der Anspruch rechtskräftig zuerkannt wurde und nicht vollstreckt werden kann“. Den Angaben zufolge wurden in den Jahren 2018 bis 2020 durch das LZPD 296 Anträge zur Übernahme der Schmerzensgeldansprüche genehmigt. Gezahlt wurden insgesamt rund 686.000 Euro.
Im Falle des Amoklaufs von Meckenheim ist noch offen, ob die Erben für die Verletzung des angeschossenen Polizeihauptkommissars aufkommen werden. Für eine Anfrage war die Witwe des Amokschützen nicht zu erreichen.
Kurz nach der Tat hatte die Ehefrau der Polizei die Geschehnisse an jenem Abend geschildert. Ein Freund hatte ihren Mann nach einer längeren Tour zu Hause abgeliefert. Der Stukkateurmeister Viktor G. wirkte sichtlich betrunken, sei völlig außer sich gewesen.
Viktor G. redete sich in Rage und ging zum Waffentresor
Der Vernehmung zufolge schimpfte der Deutsch-Russe über seine Mutter, soll gebrüllt haben, dass er sie hasse. Am liebsten würde er seine Eltern töten. Nach Aussage der Witwe habe es seit Jahren Spannungen mit seinen Eltern gegeben. Viktor G. soll demnach der ungeliebte Sohn gewesen sein.
An jenem Novemberabend war Viktor G. den Angaben zufolge nicht zu beruhigen. Er redete sich zunehmend in Rage, zerschlug sein Handy. Schließlich bugsierte der begeisterte Sportschütze seine Frau ins Schlafzimmer und schloss ab. Zum Abschied habe er ihr versichert, wie sehr er sie liebe, gab seine Frau zu Protokoll. Dennoch dürfe sie ihm nicht im Wege stehen.
Anschließend stieg Viktor G. zum Waffentresor im Keller hinab. Bald darauf entschwand er durchs Gartentor. Kurz darauf fielen auf der Straße die ersten Schüsse.
Mit dem Selbstmord des Amokläufers endete das Verfahren für die Strafverfolger. Somit bleiben die Hintergründe der Familientragödie als Tatmotiv weiterhin unklar. Die Frau des Amokschützen glaubte zumindest rückblickend, dass ihr Mann die Schießerei mit der Polizei und den tödlichen Ausgang des Abends genau so beabsichtigt habe.