Oberste NRW-Polizistin im Interview„Tagelang haben wir den Schlamm weggeschafft“
- Dr. Daniela Lesmeister leitet die Polizeiabteilung im Innenministerium NRW und hat 2003 die Hilfsorganisation ISAR Germany gegründet.
- Die 44-Jährige organisiert wöchentliche Hiflstransporte in die Ukraine.
- Im Interview äußert sie sich über Einsätze in Krisengebieten, Gewalt an Feierhotspots in NRW und den neuen Kölner Polizeipräsidenten Falk Schnabel.
Düsseldorf – Frau Lesmeister, Sie leiten die „Koordinationsgruppe Ukraine“ im NRW-Innenministerium. Was genau macht diese Gruppe? Lesmeister: Sie bearbeitet unter anderem Themen wie Strafverfolgung, Cybersicherheit oder Versammlungsschutz in NRW im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Ein besonderer Schwerpunkt liegt allerdings auf den Hilfsmaßnahmen für die Menschen vor Ort.
Wie hilft NRW denn konkret?
Vor allem mit Medikamenten und medizinischen Hilfsmitteln. Über gute Kontakte zu den Brüdern Klitschko und einem Vertrauten der Familie bekommen wir aus Kiew regelmäßig Listen mit konkreten Bedarfsgütern, beispielsweise: Infusionen, Narkotika, Schmerzmittel, oder Zytostatika zur Krebstherapie. Unsere Polizeiärzte prüfen diese Listen und die Unikliniken in Aachen, Köln, Bonn, Düsseldorf, Essen und Münster kaufen die Medikamente ein – im Umfang von ungefähr 150.000 Euro Einkaufswert pro Woche. Zwei Speditionen bringen die Güter an die polnisch-ukrainische Grenze. Dort werden sie auf Militärtransporter umgeladen und in Krankenhäuser nach Kiew gebracht. Man versucht derzeit auch immer wieder, bis nach Mariupol durchzukommen.
Wie können Sie sicher sein, dass alles dort ankommt, wo es hin soll?
Wir verfolgen die Transporte nach. In der ersten Zeit lief das über GPS, aber das ist zu gefährlich, die Gegenseite könnte etwa die Signale abgreifen. Stattdessen bekommen wir jetzt Fotos geschickt, wenn die Güter vor Ort eingetroffen sind. Bisher ist immer alles angekommen.
Wie kam der Kontakt zu den Klitschkos zustande?
Ich kenne sie über meine Arbeit bei I.S.A.R. Germany…
… dem Verein „International Search And Rescue Germany“, eine Hilfsorganisation ehrenamtlicher Rettungsexperten, die weltweit nach Naturkatastrophen hilft und die Sie vor fast 20 Jahren gegründet haben.
Genau. Auch mit I.S.A.R haben wir mittlerweile sieben Hilfstransporte im Wert von rund 1,5 Millionen Euro in die Ukraine gebracht, vor allem in Krankenhäuser und Kinderheime. Medizin, Beatmungsgeräte, Generatoren, Zeltheizungen, Schutzkleidung, Schlafsäcke, Handschuhe, Feuerwehrschutzausrüstung oder Hebekissen – das sind Geräte, die wir auch nach Erdbeben einsetzen, um Trümmer anzuheben und Menschen zu befreien. Die Transporte gehen nach Lemberg und Kiew, durch sichere Korridore. Wir arbeiten auch mit einem ukrainischen Spediteur zusammen, der kennt sich an den Checkpoints aus und kommt mit seinen Transporten durch. I.S.A.R hat aber auch immer wieder eigene Leute vor Ort, die dafür sorgen, dass die Güter ankommen, das sind Spezialisten die wissen, wie man sich in Kriegsgebieten bewegt.
Zur Person
Daniela Lesmeister leitet die Polizeiabteilung im Innenministerium NRW und ist damit oberste Polizistin des Landes. Die gebürtige Essenerin war ab 1996 in Gelsenkrichen als Streifenpolizistin im Einsatz. Daneben hat sie Jura studiert und 2008 promoviert. Die heute 44-Jährige hat in unterschiedlichen Funktionen als Referentin und Referatsleiterin im NRW-Gesundheitsministerium gearbeitet und war Ordnungsdezerntin in Duisburg. 2003 hat Lesmeister mit ihrem Ehemann die Hilfsorganisation I.S.A.R. Germany gegründet. Der Verein ist weltweit in Katastrophengebieten im Einsatz.
Waren Sie auch selbst schon in der Ukraine?
Nein, das ist zu gefährlich. Ich habe einen Sohn, der noch zur Schule geht. Dort, wo das Risiko kalkulierbarer ist, würde ich auch in internationale Einsätze gehen.
Was genau machen Sie in diesen Einsätzen?
Den Menschen schnell und direkt helfen. Bei der Flut im Ahrtal voriges Jahr zum Beispiel waren wir früh da. Ich habe noch am selben Tag meinen Urlaub mit der Familie abgebrochen und bin direkt ins Innenministerium nach Düsseldorf zurück. Dort habe ich in meiner Funktion als Leiterin der Polizeiabteilung gearbeitet. Ein paar Tage später bin ich für die I.S.A.R. an die Ahr gefahren und nach Erftstadt. Ich erinnere mich an ein kleines Örtchen bei Ahrweiler, dort sah es genauso schlimm aus wie nach einem Erdbeben. Wir hatten den Auftrag, einen ganzen Stadtteil zu räumen und sauber zu machen. Tagelang haben wir den Schlamm weggeschafft und mit unseren Spürhunden nach Vermissten und Leichen gesucht – und auch welche gefunden. So konnten wir einigen Familien wenigstens Gewissheit geben.
Mit Spürhunden im Schlamm nach Leichen zu suchen und am Schreibtisch die Abteilung in einer großen Behörde zu leiten – das ist ein krasser Gegensatz. Wie erleben Sie diesen Unterschied?
An der Bürokratie in einer Behörde verzweifelt man tatsächlich manchmal. Das ist so – auch wenn wir hier schon viel geschafft haben, solche Hürden abzubauen. Meine Tätigkeit bei I.S.A.R. erdet mich.
Prägen Ihre Erfahrungen bei I.S.A.R. auch Ihre Arbeit im Innenministerium? Ihren Führungsstil womöglich?
Ja, die Mitarbeiterführung von Ehrenamtlern und Ehrenamtlerinnen ist etwas ganz anderes. Freiwillige führt man hauptsächlich über Motivation. Und Menschen über Motivation zu führen ist viel schwieriger, als wenn Sie ein klares Über- und Unterordnungsverhältnis haben wie in einer Behörde. Im Ehrenamt müssen Sie überzeugen, sonst schmeißen Ihnen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alles vor die Füße. Diesen Aspekt der Menschenführung habe ich bei I.S.A.R. besonders gelernt. Ich versuche natürlich auch in der Polizeiabteilung im Ministerium vor allem mit Motivation zu führen. Ich lege großen Wert darauf, nahbar für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sein. Die vielen Polizistinnen und Polizisten leisten Tag für Tag hervorragende Arbeit in teils sehr schweren Situationen. Sie verdienen daher meinen größten Respekt.
Die Corona-Pandemie, die Flut im vorigen Sommer und auch der gegenwärtige Krieg in der Ukraine verdeutlichen, wie wichtig ein guter Zivil- und Katastrophenschutz ist. Deutschland ist da vergleichsweise schwach aufgestellt. Muss in dem Bereich präventiv mehr getan werden?
Aufgrund meiner Erfahrung bei I.S.A.R. habe ich es immer kritisch gesehen, dass in diesem Bereich vieles zurückgebaut wurde, dass zum Beispiel die Zivil- und Katastrophenschutzämter auf kommunaler Ebene aufgelöst wurden. Dabei habe ich mir nie einen Krieg mitten in Europa vorgestellt, aber ich habe kommunal gedacht, an Naturkatastrophen oder Feuer. In Duisburg war ich Beigeordnete für Sicherheit und Recht – sprich Ordnungsdezernentin. Wir hatten beispielsweise große Brände in Duisburg, einen mit Asbest-Niederschlag in mehreren Ortsteilen. Als eine meiner ersten Amtshandlungen habe ich damals eine eigene Dienststelle für Katstrophen- und Bevölkerungsschutz gegründet und ein Sirenenwarnsystem für die ganze Stadt errichtet. Ich wurde dafür belächelt. 2015 müsste das gewesen sein. Ich glaube, heute lächelt darüber keiner mehr.
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Als oberste Polizistin in NRW kennen Sie sehr genau das wachsende Problem mit Gruppen junger Männer, die – oft alkoholisiert – an Feierhotspots provozieren und Gewalt suchen. In Köln haben solche Täter kürzlich auf der Deutzer Kirmes sogar einen Vater mit Kleinkind angepöbelt. Kann man als normaler Besucher noch unbeschwert solche Feste besuchen?
Ich kann nachvollziehen, dass man unsicher ist, wenn man solchen Problemgruppen begegnet. Das kenne ich auch, wenn ich mit meinem Sohn unterwegs bin. Wir waren mal im Dunkeln auf dem Weihnachtsmarkt, da wurden wir auch angepöbelt. Da fühle ich mich dann auch nicht sicher, daher müssen wir alles tun, um Hotspots noch sicherer zu machen. Das Schlüsselwort heißt Vernetzung. Wir als Polizei müssen mit den Akteuren der Kommunen, den Jugendämtern, Streetworkern und Ordnungsämtern gemeinsame Konzepte aufstellen. Da geht es zum Beispiel um bessere Beleuchtung, oder mobile Videobeobachtung. Wir müssen es diesen Gruppen so unangenehm wie möglich machen. Aber ich möchte nochmal betonen, dass hier nicht nur die Polizei gefragt ist. Denn nur gemeinsam mit den Netzwerkpartnern kommen wir bei dem Thema voran.
Als Juristin haben Sie über junge Intensivtäter promoviert. Woher kommt diese Lust am Provozieren, diese Gewaltbereitschaft?
Da gibt es viele Faktoren. Die Familie gibt nicht mehr den Halt wie früher, soziale und ökonomische Faktoren spielen eine Rolle. Dazu kommt das normale pubertäre Gehabe, das es auch früher schon gab. Es ist aber auch ein hausgemachtes Problem. Als ich als junge Polizistin nach Gelsenkirchen kam, dachte ich: Hier ist einiges falsch gelaufen. Damals hatte man besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund in einer einzigen Siedlung untergebracht und sich vorgestellt, das sei Integration. Das sind Fehler der Vergangenheit, die wir jetzt korrigieren müssen. Eine vernünftige Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Die Polizei Köln hat seit dieser Woche mit Falk Schnabel einen neuen Präsidenten. Im NRW-Gesundheitsministerium war er eine Zeitlang Ihr Chef, jetzt sind Sie seine Vorgesetzte. Welche Erwartungen haben Sie an ihn als Leiter der größten Polizeibehörde im Land?
Dass er dort genauso arbeitet, wie ich ihn als Chef kennen gelernt habe. Er ist hochmotiviert, hat ein wahnsinniges Fachwissen, ein korrektes Auftreten, und er pflegt einen sehr guten Umgang mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Er ist einfach ein feiner Typ. Den Menschen in Köln und Leverkusen kann ich nur sagen: Ich glaube, das wird gut. Nein: Ich bin mir sicher, das wird gut.