AboAbonnieren

„Orcas for Future“-Memes kursieren„Sie haben direkt angegriffen“ – Orca-Attacken vor Spanien bleiben rätselhaft

Lesezeit 4 Minuten
Ein Orca in der Nähe eines Schiffs vor der Küste von Kalifornien. Die Orcas in spanischen Gewässern sind kleiner als ihre nordamerikanischen Verwandten. In den letzten Jahren ist es zu hunderten Angriffen auf Boote gekommen. (Archivbild)

Ein Orca in der Nähe eines Schiffs vor der Küste von Kalifornien. Die Orcas in spanischen Gewässern sind kleiner als ihre nordamerikanischen Verwandten. In den letzten Jahren ist es zu hunderten Angriffen auf Boote gekommen. (Archivbild)

Forscher äußern Vermutungen über die Gründe der Angriffe, die an „Der Schwarm“ erinnern. Die Wale werden derweil zum Internet-Hit.

Orcas, die unter Anleitung eines Leittieres Segelboote angreifen: Das klingt wie eine Szene aus dem düsteren Roman „Der Schwarm“ von Frank Schätzing über die Revolte der Meerestiere gegen die Menschheit. Vor der südspanischen Küste sind solche Attacken aber offenbar schon seit einigen Jahren Realität. In diesem Jahr häufen sich die tierischen Attacken.

Die spanische Organisation Salvamento Marítimo zählte bereits 28 „Interaktionen“ zwischen Orcas und Booten. Menschen kamen dabei bisher nicht zu Schaden. Die Tierschutzorganisation GT Orca Atlantica (GTOA) spricht sogar von rund 500 Attacken von 2020 bis 2022.

Orcas vor Spaniens Küste: Rund 500 Attacken von 2020 bis 2022

Die Zählung der Website Orcas.pt fällt ähnlich hoch aus, im Juni sei es nahezu täglich zu Angriffen gekommen. „Im Durchschnitt haben wir jeden Tag einen Vorfall“, erklärte Website-Betreiber Rui Alves nun im Gespräch mit der US-Senderkette PBS. „Es gibt Tage, da haben wir auch zwei oder drei“.

Alves will mit seiner Website Daten zu den unliebsamen Begegnungen mit den Orcas sammeln. So könnten Seeleute sich informieren, wo zuletzt Attacken von Orcas verzeichnet wurden – und ihren Kurs daran anpassen, erläuterte Alves. Menschen sind bisher bei den Angriffen nicht zu Schaden gekommen, einige Boote wurden von den Walen jedoch derartig beschädigt, dass sie sanken.

Orca-Angriffe vor spanischer Küste: „Sie haben direkt das Ruder angegriffen“

Für die Seefahrer an Bord sind die Attacken trotzdem ein beängstigendes Erlebnis. „Sie haben direkt das Ruder angegriffen“, erzählte Friedrich Sommer, der deutsche Besitzer eines Segelboots mit dem Namen „Muffet“, das von einer Gruppe aus drei oder vier Orcas beschädigt wurde, der Nachrichtenagentur AFP. „Sie sind gar nicht ums Boot gekreist, haben nicht versucht zu spielen … nichts!“, fügte Sommer hinzu.

Jetzt liegt sein Boot laut AFP zur Reparatur im spanischen Örtchen Barbate an der andalusischen Küste. Es ist nicht das einzige. „Dieses hier hat sein ganzes Ruder verloren“, erklärte Schiffbauer Rafael Pecci der Nachrichtenagentur und zeigte auf ein anderes Boot.

Gründe für Orca-Angriffe sind unklar: „Wir wissen sehr wenig über diese Interaktionen“

Die „Interaktionen“, wie die Begegnungen von Orcas und Schiffen offiziell genannt werden, haben 2020 entlang der spanischen Atlantikküste begonnen, vor allem zwischen Cádiz und dem marokkanischen Tanger. Dort halten sich besonders viele Schwertwale auf, weil ihr Lieblingsfutter, der Blauflossen-Thunfisch, im Frühling zum Laichen ins Mittelmeer schwimmt.

Die Gründe für das Verhalten sind unklar: Wissenschaftler und Meeresbehörden fragen sich, was die Tiere bewegt, sich so untypisch zu verhalten. „Wir wissen sehr wenig über diese Interaktionen“, betonte José Luis García Varas, der das Meeresschutz-Programm der Umweltorganisation WWF in Spanien leitet, im Gespräch mit AFP. Das fördere die Legendenbildung.

Hat Orca-Anführerin Gladis ihren Angehörigen beigebracht, wie man Boote angreift?

Die Angriffe werden derweil vor allem einem Clan von Orcas zugeschrieben, der von einer Matriarchin namens Gladis angeführt wird oder wurde. Vielleicht habe Gladis eine schmerzhafte Begegnung mit einem Boot gehabt und ihren Angehörigen deswegen beigebracht, die Boote zu attackieren, heißt es.

Zerstörtes Ruder eines Schiffes im Hafen von Barbate in der Nähe von Cadiz. Hunderte Boote wurden in den letzten Jahren von Orcas vor der spanischen Küste attackiert. (Archivbild)

Zerstörtes Ruder eines Schiffes im Hafen von Barbate in der Nähe von Cadiz. Hunderte Boote wurden in den letzten Jahren von Orcas vor der spanischen Küste attackiert. (Archivbild)

Orcas „bilden Familien und Gruppen. Sie sind sehr intelligent und es gibt eine Art mündlicher Verständigung zwischen ihnen“, erklärt García Varas. María Dolores Iglesias, Leiterin einer örtlichen Naturschutzorganisation, glaubt unterdessen, dass Gladis schon gestorben sei und ihr Clan weitermache, weil sie ihm ihre Ressentiments vermittelt habe. Eine „Enkelin von Gladis“ greife „voller Wut“ Boote an, berichtete Iglesias.

Keine Angriffe auf Menschen: Spanische Orcas sind kleiner als ihre arktischen Verwandten

Die Tiere in den spanischen Gewässern sind eine Untergruppe der Orcas und mit bis zu 6,5 Metern deutlich kleiner als ihre arktischen Verwandten, die bis zu neun Meter lang werden können. Die Bezeichnung als „Killerwale“ ist laut Meeresbiologen „völlig falsch“, die spanischen Orcas würden weder Menschen noch andere Säugetiere fressen.

Unter Fachleuten gibt es unterdessen auch andere Erklärungsansätze für die Angriffe: Wal-Experte Renaud de Stephanis hält es für möglich, dass die Orcas nur spielen wollten. Aber auch „Animositäten“ will er nicht ausschließen.

„Bis jetzt haben wir noch keine abschließende Erklärung“, erklärte unterdessen der Präsident der Organisation Circe, die Wale erforscht und schützt. Im Auftrag der spanischen Regierung versieht de Stephanis Orcas mit Ortungsgeräten und folgt ihnen mithilfe von Satellitentechnologie, um die Begegnungen zwischen Tier und Boot zu minimieren.

Orca-Angriffe vor spanischer Küste werden zum Meme: „Orcas for Future“

Ob Spiel oder Animosität: Zum Glück für die Segler vor der spanischen Küste können Orcas nur mit ihresgleichen reden. So werden sie sich immerhin nicht mit anderen Meeresbewohnern zusammentun wie in „Der Schwarm“.

Populär geworden sind die angriffslustigen Meeresbewohner in den letzten Wochen jedoch auch ohne Bezüge zu Frank Schätzings Roman-Hit. In politisch linken Kreisen und bei Klimaschützern sind die Orca-Attacken eine beliebte Vorlage für sarkastische Witze.

In sozialen Netzwerken kursieren dementsprechend einige Memes, in denen die Wale für ihre Angriffe auf „Reichtum“ gefeiert werden – versehen mit Schriftzügen wie „Kiss, Kiss – Fuck your Boat“ oder „Orcas for Future“. (mit afp)