Antisemitismus an Schulen„Sabra“ ist die Anlaufstelle gegen Menschenfeindlichkeit
Düsseldorf – Die Jüdische Gemeinde in Düsseldorf hat ihr Zentrum am Paul-Spiegel-Platz, benannt nach dem früheren Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Hier steht die Synagoge, ein lichter, klarer Rundbau, 1958 eingeweiht. Die alte Synagoge in der Kasernenstraße haben die Nazis 20 Jahre zuvor in der Progromnacht verwüstet und in Brand gesetzt. Heute gliedert sich dem Gotteshaus ein weitläufiger Komplex mit Kindergarten, Schule und Freizeit- und Verwaltungsgebäuden an.
Hier hat Olga Rosow ihr Büro, sie leitet die Sozialabteilung, die auch ein besonderes Angebot für die Schulen zur Verfügung stellt – die Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit und Beratung bei Rassismus und Antisemitismus „Sabra“, deren Kooperationsvereinbarung mit dem Düsseldorfer Bildungsministerium in diesem Jahr für fünf Jahre verlängert wurde.
„‘Sabra‘ gibt es seit 2017, also seit knapp fünf Jahren“, sagt Olga Rosow. „Das Programm der Integrationsagenturen in NRW gibt es ja schon seit 15 Jahren, und es gab bis 2016 nur fünf Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit.“ In der Flüchtlingskrise 2014/15 hat man erkannt, wie sehr der Bedarf stieg, sodass die Politik entschied, die Antidiskriminierungsmaßnahmen zu erweitern. „In diesem Zusammenhang haben wir signalisiert, dass der Bedarf mit Schwerpunkt Antisemitismus groß ist. Und tatsächlich: Nachdem „Sabra“ eingerichtet war, kam es zu vielen Meldungen, wobei die Trägerschaft der jüdischen Gemeinde wichtig ist, weil der Zugang für die Community niedrigschwellig ist“, so Rosow. Es war schnell klar, dass die Schule dabei eine große Rolle spielt. Wobei die Meldungen aus allen Richtungen kamen, wie Rosow sagt: Gerade im Mai 2021 kam es erneut durch den Gaza-Krieg zu einer Welle des israelbezogenen Antisemitismus.
Zum Team von „Sabra“ gehören Florian Beer und Jürko Ufert. Beide arbeiten weiterhin mit halber Stelle als Lehrer an ihren Stammschulen – Beer für die Fächer Geschichte/Sozialwissenschaft und Pädagogik an einem Abendgymnasium und Kolleg, Ufert als Deutsch- und Philosophielehrer an einer Gesamtschule. Es gebe in den einzelnen Kommunen Experten für systemische Extremismusberatung, die sich mit Rechts- und Linksextremismus, Salafismus, Islamismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auseinandersetzen, sagt Beer. „Wir bauen die Zusammenarbeit mit diesen Kräften kontinuierlich aus und schulen sie zum Themenkomplex Antisemitismus.“
Im Fokus: Die Ausbildung
Bei der Aufklärungsarbeit habe man sowohl die Schülerschaft als auch die Lehrkräfte im Blick, wobei die Kooperationsvereinbarung explizit festhält, dass „Sabra“ auch die Schulaufsichtsbehörden beraten. „Auch die Landesstelle für Schulpsychologie spielt eine wichtige Rolle“, so Ufert – und besonderes Augenmerk liegt auf der Ausbildung künftiger Lehrerinnen und Lehrer, die nicht allein für antisemitische Vorfälle sensibilisiert werden, sondern auch angemessen reagieren sollen. Oft ist es die Sprachlosigkeit im Anschluss an eine solche Attacke, ganz gleich, ob sie verbal oder physisch erfolgt, die bei den Betroffenen tiefe Verletzungen und Verstörungen hinterlässt.
„Oft gibt es Anlässe wie beispielsweise die Ausschreitungen im Mai des vergangenen Jahres in Gelsenkirchen, aber auch hier in Düsseldorf“, ordnet Beer solche Situationen ein. Die Schulen wollten darauf reagieren und wenden sich an „Sabra“. „Zentral ist aktuell zudem alles, was mit Verschwörungsfantasien zusammenhängt - Stichwort Corona. Und der auf Israel bezogene Antisemitismus ist virulent. Gerade dieser müsste noch stärker ins Bewusstsein gerückt werden, denn oft herrscht immer noch die Vorstellung vor, Antisemitismus sei ein Phänomen, das auf den Nationalsozialismus begrenzt und mit diesem auch untergegangen sei.“ Das sei nach Ansicht vieler mit dem Besuch einer Gedenkstätte erledigt. Doch es gebe aktuelle Formen des Antisemitismus, die man konkret benennen und auch pädagogisch adressieren muss, um sie zu bekämpfen, so Beer.
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„Sabra“ bietet Pädagoginnen und Pädagogen eine Fortbildungsreihe in sechs Modulen unter der Überschrift „Kompetent und konsequent gegen Antisemitismus“ an. Darüber hinaus betreibt die Servicestelle die virtuelle Bildungsplattform „Malmad“ mit einem digitalen Methodenkoffer mit Hintergrundinformationen zu Judentum, Israel, Antisemitismus sowie Demokratie und Menschenrechten. „Malmad“ bietet auch eigens entwickelte Methoden, die zuvor praktisch geprüft und evaluiert wurden. Teil des Methodenkoffers sind außerdem Verweise auf mögliche Exkursionsorte und weitere Bildungspartnerschaften. Auch das Filmprojekt „8x2 Jüdische Perspektiven“ ist Bestandteil des Methodenkoffers und bietet acht Kurzfilme mit umfangreichem methodischem Begleitmaterial.
In Zusammenarbeit mit der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Nordrhein-Westfalen (Rias) bietet „Sabra“ auch die Möglichkeit, antisemitische Vorfälle zu melden. „Mehr als 80 Prozent der Gemeindemitglieder kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, wo Antisemitismus quasi legitim war, und dementsprechend haben sie gelernt, damit zu leben“, sagt Olga Rosow. „Man hat sich ein dickes Fell angeeignet. Die Menschen leben damit und denken, naja gut, ok, dann geh ich vielleicht da und da nicht mehr einkaufen oder gehe diesem Nachbar aus dem Weg.“ Allerdings wachse eine neue Generation heran, die sich antisemitische Beleidigungen nicht mehr so einfach gefallen lasse und auch eine starke jüdische Identität auspräge.
Wenn es in den Schulen Schmierereien an den Wänden gibt, fotografieren Schülerinnen und Schüler diese ab und melden das, „und wenn die Schule nichts unternimmt, bekommen wir ebenfalls davon Kenntnis“, so Rosow. „Es gibt Schülerinnen und Schüler, die tatsächlich körperliche Auseinandersetzungen bezüglich antisemitischer Diskriminierungen nicht gescheut haben, und es gibt andere, deren Eltern sagen, dass man das bitte auf andere Weise klären soll. Das führt zum Teil zu Auseinandersetzungen in den Familien selbst: Der Sohn trägt einen David-Stern um den Hals, und die Mutter oder der Vater wollen das nicht. Das heißt, dass dieses Thema sehr präsent ist und es sozusagen bis an den Abendbrottisch schafft.“
Hemmschwelle ist hoch
Oft sei die Hemmschwelle hoch, antisemitische Vorfälle bei Behörden zu melden, deswegen ist es entscheidend, dass es „Sabra“ als Ansprechpartner gebe, sagen die Mitarbeiter der Servicestelle. „Viele jüdische Eltern berichten uns von ihren Zweifeln, wenn es darum geht, auf welche Schule das Kind gehen soll. Während es bei nichtjüdischen Familien um Dinge wie Fremdsprachenangebot oder das Essen in der Mensa geht, ist die zentrale Frage für jüdische Eltern: Ist mein Kind da sicher?“, sagt Beer. Vertrauen bauen Schulen dadurch auf, dass sie diese Frage ernst nehmen. Vertrauen bauen Schulen dadurch auf, dass sie solche Probleme erkennen und dagegen vorgehen – das ist die Erkenntnis von „Sabra“. „Schulen sind ein Spiegel oder eher sogar noch ein Brennglas der Gesellschaft.“