Mit einem „Sonnenschirm-Protest“ machen die mächtigen Pächterfamilien der Privatbäder Front gegen Rom und EU. Es geht um sehr viel Geld.
Urlaub am MeerSommer, Sand und Streik – Italiens Strandbäder machen dicht
Der August ist seit jeher der Monat, in dem sie in Ostia das meiste Geld verdienen. Im „Tibidabo“, einem der schönen alten Bäder am Stadtstrand von Rom, eröffnet 1935, hängen sie am Kassenhäuschen oft schon vormittags das Schild „Ombrelloni essauriti“ aus: keine Sonnenschirme mehr zu haben, alles bis zum Abend ausgebucht. In Italien empfiehlt es sich in diesen Tagen, gleich morgens um neun am Meer zu sein. Gut möglich allerdings, dass das an diesem Freitag auch nichts bringt.
Mitten in der Hauptsaison wollen die Pächter von vielen der landesweit 7.200 Strandbäder, den stabilimenti balneari, erstmals in den Streik treten: zunächst einmal nur morgens für zweieinhalb Stunden. Aber wenn sich die Regierung der rechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nicht bewegt, sollen die Bäder Mitte August, immer noch in der Ferienzeit, einen halben Tag geschlossen bleiben und Ende des Monats schließlich einen ganzen. Hintergrund ist eine EU-Richtlinie, um deren Umsetzung sich Italien seit bald 20 Jahren herummogelt.
Auf Ausländer mit Handtüchern blickt man gern herab
Für die Millionen Urlauber an den mehr als 7.500 Kilometern Mittelmeerküste käme solch ein Streik nun nicht unbedingt einer Katastrophe gleich. Aber eine Pein wäre es für viele schon. Die Strandliege (italienisch: lettino) und der Sonnenschirm (ombrellone) gehören gewissermaßen zu den nationalen Kulturgütern. Auf Ausländer, die sich am Strand einfach nur mit einem Handtuch auf Körner oder Steine fallen lassen, blickt man hier gern von oben herab - und wenn es nur aus 20 Zentimetern Höhe ist.
Die bequemere Lage hat allerdings ihren Preis. Im landesweiten Durchschnitt lag die Tagesmiete für zwei Liegen und Sonnenschirm vergangenes Jahr nach Angaben der nationalen Beobachtungsstelle für das Badewesen - die gibt es - bei 30 Euro. Nach oben sind den Tarifen kaum Grenzen gesetzt: In Beach Clubs in der Toskana oder an der Amalfiküste werden auch mehrere Hundert Euro gezahlt. Viele Familien sind mit ihren stabilimenti schwerreich geworden.
Strände gehören eigentlich dem Staat
Dabei gehört Italiens Küste eigentlich dem Staat - also allen. Jedoch ist mehr als die Hälfte der Strände an Privatleute verpachtet, oft schon seit Jahrzehnten, oft unter der Hand und oft auch zu Spottpreisen. Manche nennen das Vetternwirtschaft, andere mafiöse Strukturen.
Im Durchschnitt zahlt ein Pächter für die Konzession etwa 8.200 Euro pro Jahr. Die Einnahmen liegen um ein Vielfaches höher. Das Centrum für Europäische Politik (CEP) ermittelte zuletzt einen Jahresumsatz von durchschnittlich 260.000 Euro pro Bad. Andere Schätzungen reichen weit darüber hinaus - zumal vermutlich einiges von dem Strandgeld an der Steuer vorbeigeschleust wird. Die Zeitung „Corriere della Sera“ schätzt den Jahresumsatz der gesamten Branche auf bis zu 30 Milliarden Euro.
Die meisten Italiener haben sich damit abgefunden, dass man für die Zeit am Meer gehörig bezahlen muss. „Ich kenne das gar nicht anders“, sagt Giulia Toninelli, eine Beamtin aus Rom, auf ihrer Liege im „Tibidabo“. „Hier war ich mit meinen Eltern, jetzt mit meinen Kindern. Das hat halt seinen Preis.“ Allerdings gibt es auch manche, die mit dem althergebrachten System nicht mehr einverstanden sind. Die Schriftstellerin Manuela Salvi wettert über „Strände wie Legebatterien, in denen die Hühner für ihren Aufenthalt auch noch zahlen müssen“. Bislang halten sich die Proteste jedoch in Grenzen.
Pächterfamilien wollen Pfründe gegen EU-Richtlinie verteidigen
Der Status Quo ist auf andere Weise in Gefahr: durch eine Richtlinie der EU, mit deren Umsetzung eigentlich schon 2006 hätte begonnen werden müssen. Demnach müssen die staatlichen Konzessionen für Strandabschnitte regelmäßig neu ausgeschrieben werden, weil es sich um öffentlichen Grund handelt - was von den verschiedensten Regierungen in Rom jedoch immer wieder hinausgeschoben wurde.
Eines der Argumente: Man müsse verhindern, dass künftig am Strand statt italienischer Familien ausländische Konzerne das Sagen haben - wie zum Beispiel im Golf von Triest, wo sich vor zwei Jahren der Energy-Drink-Multi Red Bull den Zuschlag für 120.000 Quadratmeter sicherte. Im Januar 2025 soll jetzt aber doch landesweit mit Ausschreibungen begonnen werden.
Enttäuschung über Ministerpräsidentin Meloni
Zu den größten Kritikern der EU-Richtlinie gehörte, als sie noch in der Opposition saß, die heutige Ministerpräsidentin Meloni. Umso tiefer ist bei den Strandbad-Betreibern jetzt die Enttäuschung. Der Präsident des Branchenverbandes Sindacato Italiano Balneari, Antonio Capacchione, klagt: „Die Regierung hat seit zwei Jahren überhaupt nichts unternommen. Wir haben acht Briefe mit der Bitte um ein Treffen geschickt - ohne Antwort. Was außer Streik können wir sonst noch unternehmen?“
Deshalb nun also der erste „sciopero degli ombrelloni“ („Streik der Sonnenschirme“) in Italiens Geschichte - auch wenn einiges noch im Unklaren liegt. Fest steht, dass die Kassenhäuschen tatsächlich erst später am Vormittag öffnen sollen. Möglicherweise dürfen Stammgäste Liege und Sonnenschirm aber eigenhändig aufklappen.
Zudem kündigten einige Eigentümer, die in einem anderen Verband organisiert sind, am Donnerstag an, beim Streik überhaupt nicht mitzumachen: Man könne die Kundschaft ja nicht für Brüssel oder Rom bestrafen. So oder so: Am Preis für Liege und Sonnenschirm ändert sich an diesem Freitag nichts. Es gilt überall der übliche Tagestarif. (dpa)