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Gastbeitrag von Stephan GrünewaldWarum das archaische Bild von Männlichkeit eine Renaissance feiert

Lesezeit 4 Minuten
athlete on a treadmill in the gym

Klassische Männerbilder leben wieder auf (Symbolbild).

Der Psychologe Stephan Grünewald erklärt im Gastbeitrag, wie es zur Wiederbelebung traditioneller Vorstellungen von Männlichkeit gekommen ist.

Jüngere Männer sehen sich als Versorger. Sie zeigen ihre Gefühle nicht, und ein Drittel von ihnen finden Handgreiflichkeiten gegen Frauen in Ordnung. Mit diesen Ergebnissen löste eine aktuelle Befragung der Organisation „Plan International“ vorige Woche in Deutschland Debatten aus. Ungeachtet möglicher methodischer Schwächen der Untersuchung sind die grundlegenden Erkenntnisse alarmierend. Sie decken sich mit unseren Forschungsbefunden.

Faszination für autoritäre Strukturen und mehr oder minder offenen Sexismus
Stephan Grünewald

Wir beobachten bereits seit zehn Jahren einen konservativen Rollback in Sachen Männlichkeit, die sich zunehmend durch eine Faszination für autoritäre Strukturen, mehr oder minder offenen Sexismus und die Rückkehr zu vermeintlich überholten Rollenmustern manifestiert.

Vollbart als Zeichen authentischer Männlichkeit

Erste Anzeichen dieser Entwicklung waren die Rückkehr des wuchernden Vollbarts, der ursprüngliche, authentische Männlichkeit demonstrieren soll. Der Trend zum Craft-Bier markierte eine Rückkehr zu urwüchsigem, originärem und starkem Gebräu mit unverwechselbarer eigener Note und Markanz – nachdem seit den 1990er Jahren das früher so männlich markante Pils immer sektähnlicher serviert worden war: gepflegt, kultiviert, nivelliert.

Was als Spiel mit Männlichkeitsattributen begann, wird mittlerweile mehr und mehr auf die Spitze getrieben.
Stephan Grünewald

Starke Männer wurden auch auf der Fußball-EM 2016 gefeiert – mit dem Island-Hype und der Auferstehung des Wikingers, der sich in dumpfen Lauten artikuliert und am Spielfeldrand wilde, archaische Tänze vollführt. Was als Spiel mit Männlichkeitsattributen begann, wird mittlerweile mehr und mehr auf die Spitze getrieben, zum Beispiel in der sehr populären Deutsch-Rap-Kultur, die toxische Männlichkeit in ihren Songtexten feiert.

Michel Houellebecq beschreibt islamisch geprägtes Patriarchat

In der Literatur beschrieb der französische Autor Michel Houellebecq in seinem Roman „Unterwerfung“ bereits 2015 mit fasziniertem Grausen den Siegeszug des – islamisch geprägten – Patriarchats: Ein charismatischer muslimischer Politiker gewinnt in Frankreich überraschend die Wahl. Er führt ohne großen Widerstand in der Bevölkerung wieder die Theokratie, das Patriarchat und die Polygamie ein. Den Männern ist die Vielweiberei erlaubt, und im Berufsleben wird ihnen per Gesetz die lästige Konkurrenz der Frauen vom Hals geschafft.

Als Politiker verkörpert Donald Trump - nicht nur in den USA - den Rollback zur alten Männlichkeit.
Stephan Grünewald

Als Politiker verkörpert Donald Trump – nicht nur in den USA – den Rollback zur alten Männlichkeit. Mit Trumps Wahlsieg 2016, den seine sexistischen Ausfälle nicht aufhalten konnten, ist der alte Typ Mann buchstäblich wieder zur Weltmacht gelangt.

AfD mit altem Familienbegriff und Männlichkeitsbild

In der deutschen Politik wiederum arbeitet die AfD seit vielen Jahren mit ihrem traditionellen Familienbegriff eifrig an einer Restauration des alten Männerbilds. Auch die Zeiten der Corona-Lockdowns haben teilweise alte Rollenmuster reaktiviert, und mancher Mann erlangte die Herd-Immunität schneller als die Herden-Immunität.

Seit den 1970er Jahren wurde ein postmodernes Bild vom Mann bestimmend.
Stephan Grünewald

Zurzeit wird das Männerbild vor allem durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine umgewertet. Der kämpferische, todesmutige Mann, der sein Land und seine Familie verteidigt, gilt angesichts der russischen Invasion als vorbildlich. Präsident Wolodymyr Selenskyj wird international so zu einer Ikone unbeugsamer Führerschaft. Mit seiner Durchsetzungsstärke und Kompromisslosigkeit, seinen klaren Positionen und seiner Autorität werden Qualitäten des traditionellen, alten Männerbildes wieder hoffähig, die im Zuge der 68er-Revolte zunehmend diskreditiert worden waren.

Seit den 1970er Jahren wurde ein postmodernes Bild vom Mann bestimmend, das ihn als weich, reflektiert, empfindsam, nachgiebig, kommunikativ und aufgeschlossen für die Bedürfnisse seiner Partnerin zeichnet. Viele Männer sind diesem Leitbild vor allem in den privaten Kontexten gefolgt, während in den beruflichen Feldern oft die alten Rollenvorstellungen und Machtstrukturen konserviert wurden.

Auch der 'neue Mann' geriet in eine Rollendiffusion zwischen pflegeleichtem Frauenversteher und Kerl mit klarer Kante.
Stephan Grünewald

Auch der „neue Mann“ geriet in diesem Wandel immer wieder in eine Rollendiffusion zwischen pflegeleichtem Frauenversteher und Kerl mit klarer Kante. Durch die zunehmende Relevanz der Gender- und Feminismus-Debatten fühlen sich nicht wenige Männer im Kulturwandel zerrieben und mitsamt ihren Potenzsymbolen (Auto, Chefsessel, Fleischkonsum) diskreditiert.

Der Sturm von Trumps archaisch auftretenden Anhängern auf das Kapitol in Washington 2021 ist nicht zuletzt Ausdruck eines Kulturkampfs, der auch hierzulande immer stärker bemerkbar wird. In Leipzig beispielsweise zeigt sich das studentische Milieu überwiegend woke, kämpft gegen jede Form von Diskriminierung, macht sich für Frauenrechte und die LGBTQ+-Bewegung stark, ernährt sich vegan und gendert stolperfrei, während das nicht-studentische Milieu in weiten Teilen AfD-nah ist.

Diese Art Spaltung zieht sich mitten durch die Gesellschaft. Es überrascht daher auch nicht, wenn in der „Plan-International“-Studie 52 Prozent der Männer unter 35 Jahren angeben, dass sie ihre Rolle darin sehen, im Beruf Geld zu verdienen, während sich die Frau um den Haushalt zu kümmern hat.

Stephan Grünewald ist Geschäftsführer des Kölner „rheingold“-Instituts. Er schreibt auf ksta.de aus psychologischer Sicht über gesellschaftlich relevante Themen.