Videos aus der FlutnachtBlick aus dem Helikopter zeigt das ganze Ausmaß
Mainz – Es sollte ein Befreiungsschlag werden. In seiner Not suchte der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) die Flucht nach vorne. Seit Monaten steht der oberste Katastrophenschützer in der Kritik wegen seines Krisenmanagements in der Flutnacht an der Ahr vom 14. auf den 15. Juli. Lewentz aber wehrte sich gegen die zunehmenden Vorwürfe stets mit dem Hinweis, dass es bis zum Morgen des 15. Juli kein belastbares Lagebild gegeben habe. Folglich habe die Landesregierung auch nicht die Einsatzleitung in den betroffenen Landkreisen übernehmen können. Am Ende verloren mehr als 130 Menschen ihr Leben.
Etwa 14 Monate später fällt diese Version zunehmend in sich zusammen. Brisante Videos aus Polizeihubschraubern von 22.15 bis 22.42 Uhr an jenem 14. Juli 2021 zerstören das Bild der Regierung. Vor zehn Tagen tauchten die Aufnahmen im parlamentarischen Flut-Untersuchungsausschuss im Mainzer Landtag auf. Die Clips zeigten verstörende Szenen von Menschen auf Hausdächern, die verzweifelt die Helikopter mit Taschenlampen anleuchteten. Unterdessen rauschten enorme Wassermassen die Ahr hinunter.
Zunächst hatte die Parlamentsmehrheit aus SPD, Grünen und FDP durch Hinweis der Landesregierung die Videos für die Öffentlichkeit gesperrt. Nur die Abgeordneten im Ausschuss durften sie sehen. Als Grund gaben die Verantwortlichen den Persönlichkeitsschutz der abgebildeten Flutopfer an. Am Dienstag dann lud das Innenministerium eine ausgesuchte Schar von Journalisten ein, um die Videos anzusehen. Die Gesichter der betroffenen Personen am Flutabend wurden verpixelt. Die Bilder belegten eindeutig den Ernst der Lage an der Ahr.
Innenminister Lewentz ist sich keiner Schuld bewusst
Innenminister Lewentz beharrte dennoch weiterhin auf seiner Sicht der Dinge. Es handele sich zwar um „ein Video, das ein unglaubliches Hochwasser zeigt, aber keine Flutkatastrophe und keinen Tsunami." Weder seien eingestürzte Häuser, Tote oder verstopfte Brücken zu sehen, „vielleicht ein Wohnwagen und ein paar Gastanks.“
Tatsächlich hatten Lewentz die Videos damals nicht erreicht, sondern einzig ein paar Fotos aus dem Hubschrauber. Außerdem schilderte man ihm einen alarmierenden Bericht eines Piloten der Polizeistaffel. Dieser Report veranlasste den SPD-Politiker aber nicht, weiter nachzufassen. Vielmehr überließ er die Rettungsarbeiten den lokalen Feuerwehren und Hilfskräften, die damit völlig überfordert waren. Eine landesweite Warnung der Bewohner an der unteren Ahr blieb ebenfalls aus. Dort starben in der Flutnacht die meisten Anwohner.
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Am Dienstag erklärte Lewentz den versammelten Journalisten dennoch: Hätte er in der Nacht die Videos und nicht nur die Fotos gesehen, hätte sich „wahrscheinlich nichts geändert“.
Christian Baldauf, CDU-Fraktionschef in Mainz, warf dem Innenminister ein falsches Amtsverständnis vor. „Seine Worte sind zynisch und ein Schlag ins Gesicht all derer, die Angehörige in der Katastrophe verloren haben.“ Wer solche Videos nicht als Handlungsaufforderung begreife, sei fehl am Platz. „Lewentz hat alles Vertrauen verspielt“, resümierte der CDU-Politiker. Ministerpräsidentin Dreyer forderte er auf, Konsequenzen zu ziehen, sollte ihr Parteifreund nicht selbst zurücktreten.