Der Geophysiker Pall Einarsson von der Universität Island über den aktuellen Vulkanausbruch in Island und mögliche Gefahren.
Isländischer Geologe„Jeder Vulkan hat das Potenzial, zur Katastrophe zu werden“
Am Montag ist es in Island nach monatelangen Erdbeben zu einem Vulkanausbruch auf der Halbinsel Reykjanes gekommen. Der Geophysiker Pall Einarsson von der Universität Island, einer der renommiertesten Vulkan-Experten des Landes, im Interview.
Wie würden Sie den neuen Vulkanausbruch auf Island beschreiben?
Er ist ziemlich kraftvoll. Die Lava tritt aus einem etwa vier Kilometer langen Riss aus. Allerdings lässt die Kraft der Eruption langsam nach.
Wie lange könnte die Eruption andauern?
Es ist unmöglich, das vorauszusagen. Jeder Vulkanausbruch ist sehr unterschiedlich. Wir haben in Island schon Ausbrüche erlebt, die nur ein paar Stunden oder Tage angedauert haben. Dagegen begann der Vulkan-Ausbruch am Fagradalsfjall im Jahr 2021 sehr klein, dauerte dann aber sechs Monate. Hinsichtlich des Lavavolumens handelte es sich am Ende also um einen größeren Ausbruch. Das hat alle überrascht. Die nächsten zwei Eruptionen waren anfangs intensiver, dauerten aber nur einige Wochen. Die jetzige Eruption ist wie gesagt stark und wird sich definitiv noch einige Tage fortsetzen. Aber es ist sehr schwer vorauszusehen, wie der Ausbruch sich entwickelt.
Rund um das gefährdete Kraftwerk Svartsengi sind in den vergangenen Wochen Lava-Schutzwälle aufgebaut worden. Wie optimistisch sind Sie, dass das Kraftwerk unbeschadet bleibt?
Noch ist das unvorhersehbar. Bislang ist die Lava eher nach Osten und Norden geflossen und noch nicht in die Nähe der Schutzwälle gekommen. Aber wenn die Eruption länger anhält, könnte die Lava durchaus noch gefährlich für das Kraftwerk werden.
Das heißt, auch die Gefahr einer Zerstörung weiterer Infrastruktur oder der Touristen-Attraktion Blauen Lagune ist noch nicht gebannt?
Das ist so. Wir beobachten die Situation genau, messen, wie viel Lava an die Oberfläche tritt und versuchen die Physik dahinter zu verstehen, die wirklich faszinierend ist. Und wir versuchen, die Menschen zu schützen. Das Schicksal der Einwohner von Grindavik beschäftigt die Isländer derzeit am meisten.
Ist es in Island schon häufiger vorgekommen, dass Schutzbarriere bei Vulkanausbrüchen errichtet worden sind?
Das erste Mal ist das vor 50 Jahren geschehen, als 1973 auf der Insel Heimaey der Vulkan ausbrach. Damals wurden Schutzmauern gebaut, um den Hafen der Insel zu retten. Am Ende der Eruption war der Hafen wegen der Schutzwälle sogar besser als vorher, die Schiffe konnten sicherer darin einlaufen. Das war also eine erfolgreiche Operation. Schutzwälle sind auf kleinerem Level auch bei weiteren Vulkanausbrüchen errichtet worden. Die Lava floss in diesen Fällen aber nicht in die Nähe.
Das Kraftwerk versorgt rund 30.000 Haushalte. Müssten die im Fall einer Beschädigung des Kraftwerks ebenfalls evakuiert werden?
Der Strom wäre in dem Fall nicht das Problem, sondern das heiße Wasser, das vom Kraftwerk an die Haushalte geht. Damit wird in den Häusern geheizt. Das wäre also in der Tat ein Problem. Der isländische Winter ist kalt.
Der Ausbruch wird seit vielen Wochen vorhergesagt. Warum ist es so schwer, exakt zu bestimmen, wann ein Ausbruch beginnt?
Weil es enorm schwierig ist. Die Tatsache, dass wir schon so früh warnen konnten, halte ich für einen großen Erfolg. Grindavik konnte rechtzeitig evakuiert werden. Vorhersagen zu Vulkanausbrüchen sind ähnlich wie Wettervorhersagen: Da erwartet auch niemand, dass die Vorhersage alle regionalen Details enthält, jeder weiß um die Unsicherheit von Vorhersagen.
Ist Grindavik nach wie vor in Gefahr?
Definitiv. Die Eruption ist nicht weit von der Stadt entfernt. Keiner der evakuierten Bewohner kann derzeit auch nur daran denken, wieder zurückzukehren. Die Stadt ist gesperrt. (Anm. der Red.: Zwischenzeitlich durften Anwohner am 21. Dezember nach Angaben des isländischen Rundfunk-Senders RUV unter strengen Auflagen kurz in ihre Häuser, um Dinge herauszuholen.)
Falls Grindavik von Lava verschont bleibt: Werden die Bewohner wieder zurückkehren können?
Ja, das werden sie. Die meisten Häuser sind heil geblieben. Der größte Schaden ist am 10. November entstanden, wo durch das unterhalb der Stadt in einem unterirdischen Spalt fließende Magma Straßenzüge aufgerissen und einige Häuserwände zerstört worden sind. Die Risse, die sich durch den Ort ziehen, werden auch bei künftigen Neubauten berücksichtigt werden müssen. Das ist eine wichtige Lektion, die wir gelernt haben. Grindavik befindet sich auf einer geographisch betrachtet ziemlich außergewöhnlichen Position.
Ist der Flughafen gefährdet?
Derzeit ist er offen und es ist sehr unwahrscheinlich, dass er gesperrt werden muss. Denn der Flugverkehr wird durch Asche beeinträchtigt – und Asche haben wir nicht. Falls der Ausbruch anhält und der Wind ungünstig steht, könnte es aber zu giftigen Gasen kommen, die eine Schließung des Flughafens nötig machen.
Der Klimawandel führt dazu, dass Gletscher über Vulkanen abschmelzen. Macht das Ausbrüche in Zukunft wahrscheinlicher?
Wenn Gletscher über Vulkanen schmelzen, verringert sich der Druck auf Magmasystem, das könnte die Produktion von Magma stimulieren. Es ist also sehr gut möglich, dass der Klimawandel zu mehr vulkanischer Aktivität führt. Das ist aber ein Langzeit-Effekt und im Detail noch schwer zu verifizieren.
Es hat in Island in den vergangenen Jahrhunderten katastrophale Ausbrüche gegeben, bei denen viele Menschen und Tiere gestorben sind. Nun sind einige isländische Vulkane statistisch betrachtet fällig oder sogar überfällig. Wie groß ist die Sorge, dass es zu einem wirklich großen Ausbruch kommen könnte?
Wir haben rund 30 aktive Vulkane, die meisten Eruptionen bleiben klein. Auf jeden großen Ausbruch folgen in der Regel eine Reihe kleinerer Ausbrüche. Wir haben gelernt, mit diesen kleineren Eruptionen zu leben. Aber jeder Vulkan hat das Potenzial, zur Katastrophe zu werden. Das müssen wir immer in Betracht ziehen. Unsere letzte größere Eruption war 2014: Der sechs Monate andauernde Ausbruch des Bardarbunga-Vulkansystems war der größte seit 200 Jahren. Zum Glück hat der keine größeren Probleme hervorgerufen.