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Das Beste aus 2023Kölner Autorin in Island: „Das ist kein Vulkan für Touristen“

Lesezeit 5 Minuten
Dampf steigt nach seismischer Aktivität aus einer Spalte in einer Straße in Grindavik.

Dampf steigt nach seismischer Aktivität aus einer Spalte in einer Straße in Grindavik. Die Einwohner von Grindavik durften am Montag kurzzeitig in ihre Häuser zurückkehren und das Allernotwendigste in Sicherheit bringen

Der drohende Vulkanausbruch hält Island in Atem. Die Kölner Autorin Anne Siegel ist vor Ort. Ein Gespräch über Erdbeben, Gefahren und Gemeinschaft.

An Vulkanausbrüche sind die Isländer gewohnt. Eine Evakuierung mehrerer Tausend Menschen ist allerdings auch in Island eine Seltenheit. Wie erleben Sie die Stimmung in dem Land?

Anne Siegel: Die Stimmung ist extrem ernst. Dabei bleiben die Isländer normalerweise selbst bei heftigen Natur-Ereignissen ziemlich cool. Zum Beispiel im vergangenen Winter, wo ich im Norden des Landes schwere Schneestürme und Lawinen erlebt habe. Worüber gerade ernst diskutiert wird, ist die Frage, ob sich das Land durch diesen Ausbruch auf eine ganz neue Weise verändern wird, man etwa neu planen muss, wo künftig Häuser gebaut werden.


Dieser Text gehört zu unseren beliebtesten Inhalten des Jahres 2023 und wurde zuerst am 14. November veröffentlicht. Mehr der meistgelesenen Artikel des Jahres finden Sie hier.

Update am 5. Dezember: Der kilometerlange Magmatunnel unter der Reykjanes-Halbinsel ist weiterhin aktiv. Die Sorge vor einer Katastrophe im Süden Islands wächst. Zum vollständigen Artikel geht es hier.


Einige Menschen überlegen, aus besonders von Vulkanausbrüchen gefährdeten Gegenden wegzuziehen. Auf einmal werden die bislang sehr dünn besiedelten Westfjorde im hohen Norden populär, weil es dort vergleichsweise sicher ist. Was ich berührend finde: Die Gemeinschaft ist wahnsinnig groß. Alle Isländer bieten Zimmer oder ihre freistehenden Sommerhäuser jetzt denen an, die obdachlos sind.

Kölner Autorin über Vulkanausbruch auf Island: „Stimmung ist extrem ernst“

Zigtausend leichte bis schwere Erdbeben kündigen den neuen Ausbruch seit Wochen an. Wie viel bekommen Sie davon in der Hauptstadt mit?

Die Erdbeben spürt man bis nach Reykjavik, da wackeln die Wände. Die Halbinsel Reykjanes ist seit Monaten von fürchterlichen Erdbeben betroffen, in vielen Nächten konnten die Menschen nicht mehr richtig schlafen. Durch die Beben waren bereits Schäden im alten Teil von Grindavik entstanden. Dadurch war zum Beispiel das Seniorenheim bereits evakuiert, bevor es richtig ernst wurde. Die Evakuierung musste ziemlich schnell gehen, und die Menschen durften nur das mitnehmen, was sie tragen konnten.

Die Kölner Autorin Anne Siegel

Die Kölner Autorin Anne Siegel ist derzeit in Island.

Das evakuierte Grindavik sieht gespenstisch aus. Überall klaffen Risse im Boden, aus denen Dampf steigt. Trotzdem durften die rund 4000 Einwohner am Montag noch einmal zurück zu ihren Häusern. Ist das nicht gefährlich?

Ja, das ist gefährlich. Am Montag gab es einen Stau Richtung Grindavik, weil mehr als 1000 Autos unterwegs waren. Die Menschen musste an speziellen Parkplätzen umsteigen, wo sie in dicken Jeeps der Rettungswacht in den Ort gebracht wurden und unter Aussicht fünf Minuten in ihre Häuser gehen durften, um weitere Sachen zu holen. Übrigens gibt es in der Nähe auch sehr wichtige Fischgründe. Die vielen in Grindavik lebenden Fischer hatten mit als erstes ihre Boote aus dem Hafen gerettet.

Falls Grindavik unter Lava verschwinden sollte, wird ein Prozent der isländischen Bevölkerung heimatlos. Außerdem ist ein Geothermie-Kraftwerk bedroht, das 30.000 Haushalte mit Wärme und Strom versorgt. Weitere Häuser könnte im Winter also mindestens vorübergehend unbewohnbar werden. Was unternimmt die isländische Politik derzeit?

Sie kümmert sich jetzt vorrangig um die Menschen von Grindavik. Am Montagabend haben sie im Parlament eine Steuer-Erhebung beschlossen, um den Neubau der Häuser in Grindavik finanzieren zu können. Grundsätzlich denkt die Politik auch über den Bau von Lava-Schutzwällen nach. In der Bevölkerung wird viel darüber diskutiert, ob es nicht unvorsichtig war, das Kraftwerk Svartsengi an eine derart gefährdete Stelle zu bauen.

Blue Lagoon Iceland/dpa

Das Geothermalbad Blaue Lagune ist wegen des möglicherweise bevorstehenden Vulkanausbruchs geschlossen worden.

„Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, aber unsere Stadt wird nicht wieder die gleiche sein“, hat der Bürgermeister von Grindavik gesagt. Werden die Einwohner jemals wieder zurückkehren können, selbst wenn der Vulkan die Stadt nicht zerstört?

Man hat gerade entdeckt, dass der große Riss, der jetzt mitten durch den Ort geht, bereits in Grundzügen auf einer alten Karte eingezeichnet war. Man hat ihn allerdings nicht ernst genommen und trotzdem Häuser darauf gebaut. Jetzt reißt die Erde dort auf. Ein Geologe der Universität Island hat gesagt, dass ihn die Risse im Boden an das schwere Christchurch-Beben 2011 in Neuseeland erinnern.

Bereits in den vergangenen Jahren hat es immer wieder Vulkanausbrüche auf dem Gebiet der Reykjanes-Halbinsel gegeben, nah an der Hauptstadt Reykjavik und sehr dicht am internationalen Flughafen Keflavik. Wie wird über diese Verwundbarkeit in Island derzeit diskutiert?

Tatsächlich fragen sich die Isländer im Moment, ob es sinnvoll ist, dass der Flughafen in dieses Gebiet gebaut worden ist. Im Moment geht für ihn keine Gefahr aus. Das einzige Szenario, bei dem er betroffen sein würde, wäre ein Ausbruch im Wasser. Dann käme es im Wasser zu einer chemischen Reaktion und einer ziemlich fetten Aschewolke.

Die letzten, vergleichsweise harmlosen Vulkanausbrüche haben sich zu wahren Touristenmagneten entwickelt. Wovon ist bei diesem Vulkanausbruch auszugehen?

Einer der lustigen Sätze, die ich von einer Isländerin gehört habe, lautetet: „Das ist kein Vulkan für die Touristen.“ Das sagt man bei den harmloseren Ausbrüchen in Island nämlich scherzhaft. Im Moment versuchen die Behörden, diese schrecklichen Influencer fernzuhalten, die trotzdem filmen wollen und verbieten Drohnenaufnahmen. Bei den vergangenen Vulkanausbrüchen gab es einen riesigen Katastrophen-Tourismus. Gleichzeitig diskutiert man aber auch über Auswüchse von Geldgier im eigenen Land. Ein Beispiel: Die Touristen-Attraktion Blaue Lagune liegt in der Gefahrenzone und hat noch Touristen abgefertigt, als das eigentlich schon gar nicht mehr zu gar nicht rechtfertigen war. Erst in letzter Sekunde wurde der Betrieb eingestellt. Und es sind auch noch Touristen in einem Airbnb in Grindavik untergebracht worden, denen niemand von der Gefahrenlage erzählt hat.

Anne Siegel: Zur Person

Anne Siegel war als Journalistin und Filmemacherin für internationale öffentlich-rechtliche Medienhäuser an vielen Orten der Welt tätig. Sie hat zahlreiche Bücher über Island geschrieben, unter anderem „Wo die wilden Frauen wohnen“, „Frauen, Fische, Fjorde“ und „Nordbräute.“ Sie pendelt zwischen Köln und Reykjavik und schreibt Bücher und Hörspiele.