AboAbonnieren

Internationale Suche im Wirecard-SkandalErste Passagen aus geheimem Marsalek-Brief sickern durch

Lesezeit 3 Minuten
Fahndungsfotos von Jan Marsalek stehen auf einem Aktenordner. Nach drei Jahren internationaler Fahndung ist nun ein Brief seines Anwalts eingegangen. (Archivbild)

Fahndungsfotos von Jan Marsalek stehen auf einem Aktenordner. Nach drei Jahren internationaler Fahndung ist nun ein Brief seines Anwalts eingegangen. (Archivbild)

Der mutmaßliche Drahtzieher Jan Marsalek war drei Jahre untergetaucht und wird weiterhin gesucht. Vor Kurzem tauchte ein Anwaltsbrief auf.

Erst wurden Partikel des Briefs im Landgericht München verlesen. Nun veröffentlicht die „Süddeutsche Zeitung“ etliche Passagen daraus. Es handelt sich um ein achtseitiges Schreiben des Rechtsanwalts Frank Eckstein im Auftrag seines Mandanten Jan Marsalek. Das ist der seit drei Jahren flüchtige, frühere Wirecard-Vorstand und mutmaßliche Drahtzieher des Wirecard-Skandals, an dessen Ende 1,9 Milliarden Euro Treuhandgelder nicht mehr auffindbar waren.

Insofern ist Marsalek der Insider schlechthin. Was er aber von sich gibt ist in Teilen bizarr bis kaum nachvollziehbar. Harte Fakten und Belege fehlen komplett. Vielmehr wird auf Gerüchte verwiesen, die erkennbar vor allem den Kronzeugenstatus des im Wirecard-Prozess mitangeklagten und geständigen Oliver Bellenhaus untergraben sollen.

Jan Marsalek belastet mitangeklagten Oliver Bellenhaus schwer

Er, Marsalek, habe „zu keinem Zeitpunkt Herrn Bellenhaus erlaubt, Firmen- oder Kundengelder zu seinen Gunsten unrechtmäßig einzubehalten“, heißt es an einer Stelle. Auch könne Marsalek „mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass andere Vorstandsmitglieder Herrn Bellenhaus eine solche Erlaubnis gegeben haben“.

Marsalek suggeriert hier, dass Bellenhaus in Eigenregie Wirecard-Gelder veruntreut hat, ohne dass er oder ein anderer Vorstand davon wusste. Das schließt den in München auf der Anklagebank sitzenden Markus Braun als Ex-Chef des Skandalkonzerns ein. Marsalek deutet hier zumindest an, dass nicht nur er selbst, sondern auch Braun unschuldig sind und Bellenhaus der wahre Täter ist. Der hat sich allerdings vor drei Jahren deutschen Behörden gestellt und ist dazu aus dem arabischen Dubai angereist.

Marsalek-Brief stellt Bellenhaus als Bösewicht dar

Nimmt man andere Passagen des Marsalek-Briefs dazu, wird Bellenhaus zum extrem gerissenen Bösewicht, wie man sie sonst nur aus James Bond-Filmen kennt. Bellenhaus habe sich „als anpassungsfähiger Zeuge der Staatsanwaltschaft angedient, mit dem Ziel, Ermittlungsmaßnahmen gegen seine Person zu reduzieren, um sich dann in Freiheit mit veruntreuten Firmengeldern in Millionenhöhe als geläuterter Büßer zurückziehen zu können“. So hat Braun-Anwalt Nico Werning aus dem Brief zitiert.

An anderer Stelle werden Verdächtigungen gegen Bellenhaus extrem dünn. Es sei „für Herrn Marsalek durchaus wahrscheinlich“, dass Bellenhaus „möglicherweise Gelder“ für sich abgezweigt habe. „Herr Marsalek hält es darüber hinaus für wahrscheinlich, dass Herr Bellenhaus sich über Jahre hinweg weitere Zugangsmöglichkeiten zu weiteren Kundenkonten verschafft und weitere Gelder zu eigenen Gunsten beiseite geschafft hat“, steht laut Süddeutscher im Brief.

Zwischenstrukturen mit eigenständiger Abrechnungsstruktur

Dessen zweite Stoßrichtung ist die These der Staatsanwaltschaft, dass Drittkundengeschäft (TPA) von Wirecard in Asien nie exitiert hat und als Grundelement des Milliardenbetrugs reine Fiktion war. Das ist laut Marsalek falsch. „Das TPA-Geschäft beruhte auf einem branchenüblich strukturierten internationalen Firmengeschäft“, behauptet er beleglos. Ab dann wird es unverständlich bis bizarr.

Die TPA-Partner seien „hunderte unabhängige Einzelunternehmen“ gewesen, die „allerdings im Hintergrund de facto ein einziger Kunde waren“. Das TPA-Geschäft habe „über mehr als ein Jahrzehnt große Transaktionsvolumina“ abgewickelt – wiederum ohne Beleg. Auch warum Staatsanwaltschaft und Wirecard-Insolvenzverwalter davon keine Spur finden konnten, versucht Marsalek zu erklären.

Das TPA-Geschäft, das beim Kollaps laut Bilanzen den kompletten Konzerngewinn und große Teile des Umsatzes beigesteuert hatte, sei „zunehmend vom Konzern entkoppelt“ sowie „vertrieblich, finanziell und auch technisch nicht wirklich auf den Konzern Wirecard angewiesen“ gewesen. Marsalek faselt von „Zwischenstrukturen, hinter denen es dann nochmals eine eigenständige Abrechnungsstruktur gab“.

Das TPA-Geschäft existiere heute noch, „entkoppelt und auf externe Strukturen verschoben“, da sich „die Struktur des TPA-Geschäfts schlussendlich als widerstandsfähiger und auch krisenresistenter erwiesen hat, als der eigentliche Mutterkonzern“, behauptet der Flüchtige.

Bei solchen Passagen wird klar, warum Richter Markus Födisch den Marsalek-Brief als kaum gerichtsverwertbar einstuft. In seinen bekannten Teilen ist er substanzlos, ohne harte Fakten und an einigen Stellen weniger als unplausibel. Für den Prozess bringt er keine Zeitenwende, auch wenn Marsalek eine „ergänzende Stellungnahme zu einem späteren Zeitpunkt“ ankündigt.