Ein ehemaliger Schüler der Albertville-Realschule hatte am 11. März 2009 15 Menschen erschossen, bevor er sich tötete. Die Gefahr solcher Taten wächst.
„Es ist seit 2022 absolut Dampf im Kessel“15 Jahre Amoklauf Winnenden – Die Gefahr wächst
Wenn man mit Britta Bannenberg über Amokläufe spricht, dann sagt sie erst einmal, was man nicht tun sollte. So dürfe man „Täter in keiner Weise glorifizieren“, betont die Kriminologin von der Universität Gießen, die seit 2005 mit einem Team das „Beratungsnetzwerk Amokprävention“ betreibt. Denn eine entsprechende Berichterstattung „triggert diejenigen, die seit langem an so eine Tat denken“.
Bannenberg hat sich mit der Amoktat von Winnenden intensiv beschäftigt, die sich zum 15. Mal jährt. Ein ehemaliger Schüler der dortigen Albertville-Realschule hatte am 11. März 2009 15 Menschen erschossen, bevor er sich tötete. Der 17-Jährige fühlte sich wohl von einer Mitschülerin zurückgewiesen.
Gedenkfeier in Winnenden 15 Jahre nach schrecklicher Tat
In Winnenden wird der Ereignisse am Montag gedacht. Kirchenglocken läuten. Die Namen der Opfer werden verlesen. Am Abend wird eine Lichterkette entzündet. „Für uns spielt das Gedenken stets eine wichtige Rolle, zugleich wollen wir jedoch auch nach vorne schauen“, sagte Schulleiter Sven Kubick der Deutschen Presse-Agentur.
Es gehe besonders um die Frage, wie man achtsamer werden und ein Auge haben könne für Außenseiter in den Klassen. Ziel sei es, die Schülerinnen und Schüler zu einem wertschätzenden Miteinander zu erziehen. Von vermeintlichen oder tatsächlichen Außenseitern können nämlich Risiken ausgehen.
Gefahr wächst
Tatsächlich ist die Gefahr weder in Winnenden noch anderswo gebannt. So gab es sieben Jahre vorher den Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Dort erschoss ein 19-jähriger – ebenfalls ein ehemaliger Schüler - elf Lehrer, eine Referendarin, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizeibeamten und tötete sich anschließend selbst. 2006 stürmte ein 18-Jähriger schwer bewaffnet die Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten. Er verletzte fünf Menschen und brachte sich um. Auch dieser Täter besuchte die Schule einst.
Die Bilder gleichen sich. Und die Gefahr wächst. „Es ist seit 2022 absolut Dampf im Kessel, weil die Drohungen mit Amoktaten ansteigen“, sagt Bannenberg. So gebe es erstmals Amoktaten an Universitäten und Fachhochschulen. „Das hatten wir vorher nie.“ Hinzu komme ein Anstieg von Fast-Taten an Schulen und ein enormer Anstieg von Bedrohungen an anderen Institutionen. „Die Bedrohungen sind insgesamt vielfältiger geworden“, berichtet die Professorin. „Manche Amoktaten vermischen sich mit Terror.“
Allein 2022 mehrere Amoktaten
Beispiele gibt es auch hier viele. Sie werden nur weniger bekannt, vielleicht weil die Zahl der Opfer geringer und die Öffentlichkeit schon etwas abgestumpft ist. Am 24. Januar 2022 tötete ein 18-jähriger Student in der Universität Heidelberg eine 23-jährige Studentin und verletzte acht weitere Studierende – bevor er Suizid beging. Am 13. Mai 2022 sollte ein rechtsextrem motivierter Anschlag auf das Don-Bosco-Gymnasium in Essen stattfinden, geplant von einem damals 16-Jährigen. In seinem Kinderzimmer hatte er Bomben gebaut und Waffen gehortet.
Am 19. Mai 2022 schoss ein junger Mann aus Bremerhaven mit einer Armbrust eine Schulsekretärin im Lloyd Gymnasium nieder. Eigentlich wollte der 21-Jährige eine Lehrerin zur Rede stellen, die er für sein schulisches Scheitern verantwortlich machte. Am 23. August 2023 versuchte ein 16-jähriger Ex-Schüler in Bischofswerda, eine Schule in Brand zu stecken. Man sieht, die Täter sind meist jung, männlich und leiden oft unter einem Mangel an Anerkennung.
Das ist aber nicht alles. „Seit Corona sind viele Menschen unter Druck“, sagt die Kriminologin aus Gießen. „Die Schüler hatten zwei Jahre lang keine guten Sozialkontakte. Die, die ohnehin schon sonderbar drauf waren, haben in Zeiten des Homeschooling gelitten. Viele Erwachsene sind seither ebenfalls unter Druck – durch Corona, den Ukrainekrieg und die Energiekrise. Einzelne drehen dann ab.“ Sie spreche täglich mit Menschen, die dächten, dass jemand aus ihrem Umfeld eine Amoktat begehen könne.
Signale rechtzeitig erkennen
Die Lehren der Expertin sind klar. Die erste Lehre lautet: „Man kann diese sehr speziellen Taten nur verhindern, wenn man im Vorhinein Informationen und Institutionen über Menschen zusammenbringt, von denen es heißt: Oh, da gibt‘s einen, der ist sehr komisch“, sagt sie. „Wir müssen darauf setzen, dass die Signale rechtzeitig erkannt werden. Wenn man auf die Bewältigung der Ernstlage hofft, dann sind immer schon ein paar tot. Alles andere, was so weich wirkt, ist hundertmal wirksamer. Die Lage selbst kann man nicht mehr beherrschen.“ Viele Institutionen hätten das mittlerweile erkannt, manche seien „aber auch beratungsresistent“.
Eine zweite Lehre Britta Bannenbergs betrifft den Zugang zu Waffen. „Alle Freaks dieser Welt, die daran denken, andere zu töten, sollten niemals an Schusswaffen kommen“, mahnt sie. Damit nehme das Risiko um das Achtfache zu. „Mit einem Messer kann man einen Menschen töten oder zwei, aber meistens nicht mehr.“ Mit einem Gewehr oder einer Pistole schon.
In Winnenden war dies neben der empfundenen, aber verkannten Missachtung ein Problem. Die Waffe des Täters befand sich unverschlossen im Schlafzimmer seines Vaters. Der Sohn musste nur zugreifen. Und er tat es.