25.000 Tests, alle negativIst der Teststellen-Betrug größer als bisher vermutet?
Das Netz an privaten Corona-Teststellen in Deutschland ist immer dichter geworden - darunter scheint es aber auch „schwarze Schafe“ zu geben. Ein möglicher Abrechnungsbetrug bei Bürgertests zieht immer weitere Kreise, die Justiz ermittelt. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte am Wochenende „stichprobenartig mehr Kontrollen“ an.
„Egal ob bei Masken oder beim Testen - jeder, der die Pandemie nutzt, um sich kriminell zu bereichern, sollte sich schämen“, schrieb der Minister im Kurznachrichtendienst Twitter. Die SPD attackierte Spahn, die Grünen verlangten die Nachbesserung der Testverordnung, die FDP sogar einen Sonderermittler. Auch der Deutsche Städtetag dringt auf Konsequenzen.
In den vergangenen Monaten sind Testzentren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Getestet wird unbürokratisch. Seit Anfang März sieht die Corona-Testverordnung der Bundesregierung solche Bürgertests vor. Der Bund übernimmt die Kosten für mindestens einen Schnelltest pro Bürger und Woche. Die Teststellen erhalten 18 Euro pro Test.
Fehlt es an Kontrolle?
Eine mangelnde Kontrolle könnte ein Einfallstor für Abrechnungsbetrug bieten, wie Recherchen von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ (SZ) ergeben hatten. Stichproben hätten etwa an einer Teststelle in Köln ergeben, dass statt 70 wirklich genommener Proben fast 1000 abgerechnet worden seien. Ähnliches hätten Stichproben unter anderem in Essen und in Münster zutage gefördert. Der Bericht verweist auf mangelnde Kontrollmöglichkeiten seitens der Behörden.
Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Bochum nahm Ermittlungen auf wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs bei Corona-Bürgertests. Das bestätigte am Samstag ein Sprecher der Behörde in Düsseldorf. Ermittelt werde gegen zwei Verantwortliche eines in Bochum ansässigen Unternehmens, das an mehreren Standorten Teststellen betreibe. Anlass der Ermittlungen waren demnach die Recherchen von WDR, NDR und SZ.
Wie die Staatsanwaltschaft bestätigte, wurden im Ruhrgebiet bereits Geschäftsräume und Privatwohnungen durchsucht. Dabei seien auch Unterlagen beschlagnahmt worden. Den Namen des verdächtigen Unternehmens wollte die Behörde nicht nennen.
Kölner Gesundheitsamt fürchtet weitere Fälle
Das Kölner Gesundheitsamt befürchtet, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Man habe die große Sorge, dass dies nicht der einzige Fall sei, „sondern dass noch weitere Fälle uns in Zukunft beschäftigen werden“, sagte Behördenleiter Johannes Nießen in der ARD. Laut „Tagesschau“ befürchten Gesundheitsämter zudem, dass falsche Testmeldungen die Datenlage über den Pandemieverlauf verfälschen könnten. So seien von drei Test-Standorten, an denen WDR, NDR und SZ recherchiert hätten, innerhalb von einer Woche 25.000 Tests gemeldet worden, darunter aber kein einziger positiver Fall.
Spahn wies darauf hin, dass die allermeisten Anbieter von Teststellen „das mit großen Engagement, sehr professionell und auch sehr ordentlich machen“. Die Bürgertests seien sehr pragmatisch in einer Situation möglich gemacht worden, in der ein schneller Aufbau gewollt gewesen sei, sagte der Minister am Samstag in Pretoria während eines Südafrika-Besuchs. Dabei entschieden die Behörden am Ort über Betreiber von Teststellen wie Ärzte, Apotheker, Rotes Kreuz oder auch private Anbieter.
Die SPD sieht Spahn in der Verantwortung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte der dpa: „Nach den Masken jetzt die Schnelltests. Das Managementversagen im Gesundheitsministerium hat inakzeptable Ausmaße angenommen.“ Spahn habe Warnungen und Hinweise von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen für die Testbedingungen ignoriert. „Er trägt die Verantwortung für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler und muss die Selbstbedienung unverzüglich beenden.“
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, sagte dem „Handelsblatt“, Spahn müsse „unverzüglich die Testverordnung nachbessern und die Lücken schließen“. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer, forderte die Einsetzung eines Sonderermittlers, um den mutmaßlichen Abrechnungsbetrug aufzuklären.
„Jedem Betrugsverdacht muss nachgegangen werden“
Der CDU-Gesundheitspolitiker Erwin Rüddel wies im „Handelsblatt“ darauf hin, dass aus Datenschutzgründen keinen Daten von Getesteten erhoben würden, „so dass die abgerechnete Anzahl an Tests kaum kontrolliert werden kann.“ Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, sagte der dpa: „Es muss rasch geklärt werden, wie Kontrollen verstärkt und ob Abrechnungsverfahren verändert werden müssen.“ Ein dichtes Netz an Testmöglichkeiten sei wichtig, weil es in der aktuellen Phase der Pandemie mehr Normalität ermögliche. „Die Testzentren leisten gute Arbeit. Klar ist aber auch: Jedem Betrugsverdacht muss nachgegangen werden.“
Dedy sagte weiter: „Die Abrechnung der Tests, die der Bund finanziert, organisieren die Kassenärztlichen Vereinigungen. Bund und Länder müssen sich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen darüber verständigen, in welcher Form die Abrechnungen geprüft werden.“ Die Gesundheitsämter beauftragten die Testzentren mit der Aufgabe des Testens und kontrollierten stichprobenartig die Einhaltung von Hygienestandards. „In die Abwicklung von Zahlungen sind sie dagegen nicht eingebunden. Sie können daher dazu keine Prüfungen vornehmen.“
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Spahn sagte dazu, dass eine nachträgliche Kontrolle bereits vorgesehen sei. Anbieter müssten damit rechnen, dass Unterlagen bis Ende 2024 überprüft werden können. Ohnehin geplant gewesen sei, die Vergütung angesichts des größeren Angebots auf dem Markt demnächst zu senken.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht als das größte Problem bei „kriminell organisierten“ Corona-Teststellen die mangelnde Qualität. Vorstand Eugen Brysch sagte der dpa: „Wo solche Strukturen herrschen, ist in der Regel auch die Qualität der Tests schlecht.“
Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagte am Samstag auf Anfrage: „Bei Betrugsverdacht bedarf es konsequenter strafrechtlicher Ermittlungen.“ Gewerbsmäßiger Betrug könne nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. (dpa)