Hana Abdel Nabi, 37, kam als Schauspielerin mit einem Künstlerstipendium nach Deutschland, als der Krieg in Gaza ausbrach. Nun kann sie seit einem Jahr nicht zurück zu ihren Söhnen.
Künstlerin aus Gaza in Deutschland„Ich frage mich jeden Tag: Was mache ich hier? Überleben meine Kinder?“
Ich kam am 15. September 2023 als Künstlerin nach Frankfurt. Ich hatte ein Visum für ein Schauspiel-Förderprogramm. Meine 16 und 17 Jahre alten Söhne blieben in der Zeit bei meinem Bruder und meinem Onkel in Gaza. Meine Söhne hatten mich gebeten, ihnen coole Jacken aus Deutschland mitzubringen. Ich hatte die schon gekauft, ich hatte mein Rückflugticket, unsere Aufführung stand kurz bevor. Und dann kam der 7. Oktober und unsere Welt ist explodiert. Wir Menschen in Gaza sind Kriege gewohnt, aber ich wusste sofort, dass es diesmal viel schlimmer sein wird. Diesmal ging die Attacke von uns aus, mir war also klar: Die Strafe wird unermesslich sein. Ich war geschockt. Was wird aus meinen Kindern? Was wird aus mir? Die Grenzen sind zu, ich kann nicht zurück. Meine Kinder können nicht raus. Ich kann aber auch nicht einfach in Deutschland bleiben, mein Visum lief ja ab.
Ich habe also einen Asylantrag gestellt, obwohl ich nie Flüchtling sein wollte. Ich habe mein Leben lang dafür gekämpft, als Künstlerin und Lehrerin arbeiten zu dürfen. Ich hatte deshalb viele Probleme mit meiner Familie und mit meinem Exmann. Aber plötzlich war meine einzige Chance, ein Flüchtling in Deutschland zu sein. Meine Hoffnung war auch, dass ich damit meinen Kindern helfen und sie aus Gaza befreien kann.
Ein Fotoalbum voller Erinnerungen
Jetzt lebe ich seit vielen Monaten im Flüchtlingsheim in Wolfsburg. Ich habe keine Arbeit, ich habe keine Privatsphäre. Ich frage mich jeden Tag: Was mache ich hier? Überleben meine Kinder? Meine Welt ist zusammengebrochen. Mein Haus in Chan Junis in Gaza ist zerbombt, ich habe Freunde gebeten, in den Trümmern wenigstens nach meinem Fotoalbum zu suchen. Darin ist die Geschichte meiner Familie, die Bilder meiner Eltern, meiner Kinder als Babys. Aber man sagte mir: Die Trümmer wurden abtransportiert. Da, wo dein Haus stand, ist nichts mehr.
Es ist schwer, den Kontakt zu meinen Söhnen aufrecht zu erhalten. Es gibt kein Internet im al-Schati-Flüchtlingslager am Mittelmeer, wo sie nun gelandet sind, immer wieder scheitert die Verbindung. Meine Söhne waren gute Schüler, sprachen gutes Englisch, träumten von einem Studium im Ausland. Jetzt sitzen sie im Lager und ihre einzige Beschäftigung ist, genug Wasser und Lebensmittel zu finden, damit sie ohne Hunger einschlafen können. Mein jüngerer Sohn spielte Fußball, er erzählt mir, dass viele seiner Mannschaftsfreunde tot sind. Mustafa ist tot, vielleicht bin ich auch bald tot, Mama. Sie strahlen eine sehr schlechte Energie aus. Sie frieren und fragen mich nach den Jacken, die ich ihnen gekauft habe. Ich kann aber nichts zu ihnen schicken. Weder Kleidung noch Geld. Ich habe die Jacken mittlerweile verschenkt, ich kann ihren Anblick nicht mehr ertragen.
„Meine Kinder sagen mir, dass Gott mich sehr lieben muss, schließlich habe er mich gerettet“
Jetzt, wo ich ein Flüchtling sein muss, will ich wenigstens ein guter sein. Wenn man mir sagt, dass ich warten soll, dann warte ich. Wenn man mir sagt, ich soll die Regeln einhalten, dann halte ich die Regeln ein. Ich habe angefangen deutsch zu lernen, aber bis ich die Erlaubnis für den Kurs bekam, dauerte es mehr als ein halbes Jahr. Vorher bestand mein Leben ausschließlich aus: Warten, nachdenken, Regeln befolgen. Aber ich fühle mich alleingelassen. Jemand muss mir zuhören. Jemand muss mir die Möglichkeit geben, mein Problem zu lösen. Im Moment bin ich ein Fall in den Akten. Die Regierungen entscheiden, was mit mir und meinen Kindern passiert. Die palästinensische, die israelische, die amerikanische, die deutsche. Aber das, was für die Behörden und Regierungen ein Fall ist, ist doch unser Leben.
Meine Kinder sagen mir, dass Gott mich sehr lieben muss, schließlich habe er mich gerettet. Das bringt mich fast um den Verstand. Ich weiß das zu schätzen, ich will diese Chance nutzen, aber ich kann doch meine Familie nicht vergessen. Ich will meine Kinder nicht verlieren.
Dieser Krieg ist nicht mein Krieg. Wir sind doch alle Menschen, wir müssen doch alle zusammen in dieser Welt in Frieden leben können. Es muss doch für alle einen Platz geben.