Jermak ist seit 2020 der Mann an Selenskyjs Seite, beide kommen aus der Filmbranche. Manche befürchten, dass er selbst nach der Macht greifen könnte.
Strippenzieher in KiewSelenskyjs engster Berater Andrij Jermak ist mächtiger denn je
Eigentlich, scherzte Andrij Jermak dieser Tage, wäre es doch mal Zeit für ein paar unkomplizierte Werbegeschenke der Rüstungsindustrie. Seine Zuhörer zogen anfangs ungläubig die Augenbrauen hoch. Werbegeschenke von Lockheed Martin oder Diehl Defence?
Der Leiter des ukrainischen Präsidialamts saß in kleiner Runde zusammen mit westlichen Gesprächspartnern und beschrieb die Tücken der mitunter komplizierten Dreiecksbeziehung zwischen Kiew, westlichen Staaten und westlichen Firmen. Inzwischen, sagte er, habe die ukrainische Armee aller Welt eindrucksvoll gezeigt, wie nützlich etwa das amerikanische Langstreckenartilleriesystem Himars sei und die deutsche Flugabwehr Iris-T SLM. „Sportler, die immer ein bestimmtes Mineralwasser trinken und dann auf dem Platz erfolgreich sind, bekommen doch auch schon mal vom Hersteller einen Kasten geschenkt, oder?“ Jetzt fiel der Groschen, und es gab Gelächter.
Andrij Jermak: Selenskyjs Berater aus der Filmbranche
Jermak findet, ein bisschen Spaß muss sein. Auch und gerade in schwierigen Zeiten. Darin weiß sich der 51-Jährige einig mit seinem Freund und Chef Wolodymyr Selenskyj (45). Beide waren mal in der Filmbranche unterwegs, im Fach Comedy, Selenskyi vor der Kamera, der Jurist und Unternehmer Jermak als Produzent.
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Wie sehr die Welt ringsum sich eintrüben würde, ahnten beide nicht, als sie ihre Jobs an der Staatsspitze der Ukraine antraten. Jermak übernahm im Februar 2020 die Leitung des Präsidialamts in Kiew. Sein Freund, der neue Staatschef, hatte ihn darum gebeten. Selenskyj wollte einen loyalen Helfer an seiner Seite, einen Experten fürs Generelle, mit einer Zuständigkeit für alles. Jermaks Job in Kiew entspricht in etwa dem, was in Berlin der Chef des Bundeskanzleramts, Wolfgang Schmidt, macht.
Der oberste Politikmanager von Olaf Scholz allerdings bleibt bewusst im Hintergrund. Jermak dagegen drängt dieser Tage auffallend nach vorn. Am 30. Juli versendete Jermak eine Textbotschaft mit dem Hinweis: „Wir bereiten das nächste Treffen zur Umsetzung der Selenskyj-Friedensformel vor.“ Dazu veröffentlichte Jermak ein Foto, das ihn im Mittelpunkt zeigt. Auf den zweiten Blick ist auch Selenskyj erkennbar, teils verdeckt durch einen anderen Teilnehmer.
Selenskyjs Berater Andrij Jermark: „Er ist kein Politiker oder Bürokrat“
Ein solches Bild hätte kein deutscher Kanzleramtschef je gepostet. In Kiew geht es rustikaler zu. Aber ist das ein Zeichen von llloyalität? „Jermak ist kein Politiker“, sagt ein Insider. „Er ist auch kein Bürokrat.“ Um Rangzeichen schere sich Jermak nicht, alles Höfische gehe ihm ab. „Selenskyj hat ihn dennoch genommen – oder gerade deswegen.“ Jermaks unkonventionelle Art habe, das sei klar, auch Nachteile.
Bislang, so scheint es, überwiegen die Vorteile. Jermak genießt das Vertrauen des Präsidenten, er darf in seinem Namen nicht nur Botschaften überbringen, sondern auch verhandeln. Auf drei wichtigen Feldern spielt Jermak eine Schlüsselrolle:
Die Ukraine beginnt in den kommenden Tagen Gespräche mit den USA über Sicherheitsgarantien. Dabei gehe es um konkrete Zusagen Washingtons, langfristig die Fähigkeit der Ukraine sicherzustellen, russische Aggressionen auch in Zukunft niederzuschlagen, schrieb Jermak im Netzwerk Telegram. Gedacht ist an jährliche Militärhilfen in beträchtlicher Höhe.
Jermak stellt außerdem ein internationales Treffen in Saudi-Arabien in Aussicht, in dessen Mittelpunkt die „Selenskyj-Friedensformel“ stehen werde. Das Treffen soll am 5. und 6. August in Dschidda stattfinden. Erwartet werden Repräsentanten aus 30 Staaten, darunter Indien, Brasilien und Indonesien. Russland wird nicht vertreten sein.
Bereits mehrfach organisierte Jermak im Auftrag Selenskyjs direkte Gespräche mit Russland, zum Thema Gefangenenaustausch. Immer wieder kamen auf diese Weise Kriegsgefangene beider Seiten frei, mitunter in dreistelliger Zahl.
Andrij Jermak: Zu mächtig für seinen Job in Kiew?
Vielen in Kiew ist die Machtfülle Jermaks mittlerweile unheimlich. Der Chef des Präsidialamts, betonen Kritiker, sei von niemandem gewählt worden. Man müsse fürchten, dass Jermak, der doch eigentlich nur Selenskyjs Manager sein soll, sich eines Tages über seinen Chef erhebt und ihn vor vollendete Tatsachen stellt – womöglich gar in Schicksalsfragen der Nation.
Selenskyi selbst hat solche Sorgen nicht. Ihm imponieren Jermaks Tempo und seine Effizienz. Im Juni, bei einer internationalen Konferenz in Kopenhagen, schuf Jermak eine Art Ukraine-Netzwerk auf der Ebene der nationalen Sicherheitsberater von zwei Dutzend Regierungen – vorbei an den oft etwas behäbigen Apparaten der Auswärtigen Ämter. Zum Lohn blickt Jermak jetzt auf ein neues Netzwerk mit extrem kurzen Drähten auf allerhöchster Ebene.
Manche in Kiew glauben, Jermak werde früher oder später selbst nach dem Amt des Präsidenten greifen. Andere sagen, er werde dies niemals an Selenskyi vorbei tun. Denkbar sei aber, dass Jermak antritt, falls Selenksyi nicht wieder kandidiert. Oder dass er sich für den Fall bereithält, dass Selenskyj aus anderen Gründen plötzlich nicht mehr zur Verfügung steht. Für diesen Fall sei es doch gut, „zwei zu haben, die ähnlich ticken“. (RND)