ARD-Ukraine-Korrespondent Vassili Golod im Interview zur politischen Lage der Ukraine und Donald Trumps Täter-Opfer-Umkehr.
Vassili Golod„Die Methoden dieser US-Regierung sind mafiös“

Der Eklat im Weißen Haus zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj hat die Welt erschüttert.
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Bei Verhandlungen in Saudi-Arabien hat die USA angekündigt, die Militärhilfen wieder aufzunehmen, die Ukraine hat dem Vorschlag einer 30-tägigen Waffenruhe zugestimmt. Russland lehnt den Vorschlag bislang ab. Wie bewerten Sie diese Verhandlungen?
Vassili Golod: Das ist ein diplomatischer Erfolg für die Ukraine. Der ukrainischen Delegation ist in Dschidda der notwendige Balanceakt gelungen. Die Ukraine hat den USA klargemacht, dass sie Frieden will und auch zu schmerzhaften Schritten bereit ist. Aber nicht um jeden Preis, sondern in einem fairen Prozess. Jetzt muss Russland beweisen, dass es seinen Krieg beenden will – danach sieht es jedoch nicht aus. Auch deshalb ist es aus ukrainischer Sicht ein wichtiges politisches Zeichen, dass die Militärhilfen – insbesondere die Unterstützung durch Geheimdienstinformationen – direkt wieder aufgenommen wurden.
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Donald Trump droht ja inzwischen auch Russland mit Sanktionen, nachdem er davor die Ukraine unter Druck gesetzt hat. Versucht Trump sich bewusst als unberechenbar für beide Seiten zu inszenieren?
Warum sanktioniert er bislang den eigentlichen Verbündeten, die Ukraine und droht dem Aggressor Russland nur? Das ist die Frage, die ich mir stelle, wenn ich solche Aussagen höre. Die Sanktionen gegen Russland hätten erst einmal keine schnellen Folgen. Es braucht Zeit, bis sie wirken. Umgekehrt bedeutet jeder Tag, den die Ukraine keine Unterstützung aus den USA bekommt, einen Tag, der der Ukraine großes Leid und großen Schmerz zufügt.
Europäische Verteidigungsminister haben sich am Mittwoch getroffen. Zum Zeitpunkt dieses Interviews steht noch nicht fest, was sie beschlossen haben. Australien ist aber auch dabei und hat die Bereitschaft angekündigt, Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden. Gute Nachrichten?
Definitiv. Dass Staaten wie Australien bereit sind, sich zu beteiligen, zeigt das globale Verständnis für diesen Krieg. Denn die globale Sorge muss ja sein: Was heißt das, wenn eine Autokratie mit einem Eroberungskrieg Erfolg hat? Was bedeutet das dann zum Beispiel für China? Was bedeutet das für andere, die Lust haben, ihr Staatsgebiet zu erweitern? Das muss immer zu Ende gedacht werden.
Auf was würde sich die Ukraine in Verhandlungen einlassen?
Die Ukrainer möchten unbedingt Frieden. Sie würden am liebsten sofort, dass die Angriffe aufhören, dass sie normal leben und sich eine Zukunft aufbauen können. Dafür braucht es aber eine Sache: Sicherheitsgarantien.
Was heißt das genau?
Sicherheitsgarantien sind etwas sehr Konkretes aus ukrainischer Sicht. Viele Ukrainer sagen: Wir hatten mal Atomwaffen, das war unsere Sicherheitsgarantie. Damals hat niemand darüber nachgedacht, uns anzugreifen. Nach dem Budapester Memorandum haben sie die abgegeben, weil die Vereinigten Staaten und Russland für ihre Sicherheit garantieren sollten. Das hat nicht wirklich geklappt, wie wir gerade sehen. Deshalb wollen die Ukrainer jetzt etwas, auf das sie sich verlassen können. Deshalb wird über Truppenkontingente diskutiert, die stationiert werden, um Russland zu zeigen: Wir alle meinen das sehr ernst mit dem Frieden! Um diesen Punkt dreht sich aus ukrainischer Sicht alles. Dass besetzte Gebiete besetzt bleiben könnten, wäre schmerzhaft für die Ukraine, aber diese Fragen ließen sich in einem politischen Prozess klären. Die USA haben aber offenkundig keine Lust mehr, etwas zu garantieren. Die wollen nur, dass es schnell zu Ende geht.

ARD-Ukraine-Korrespondent Vassili Golod
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Welche Rolle spielt das Rohstoff-Abkommen?
Das war Bestandteil des sogenannten Siegesplans, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Herbst 2024 präsentiert hat. Damals wurde sein Plan im Westen zerrissen und von vielen belächelt. Ich würde sagen: Immerhin hat er einen Plan vorgelegt. Dass ein Unterstützer-Staat etwas zurückhaben möchte, versteht jeder in der Ukraine. Trump hat aber jetzt die völlige Ausbeutung versucht: Er wollte den Vertrag ohne jegliche Gegenleistung unterschrieben haben. Das hat Selenskyj natürlich abgelehnt. Das zeigt, wie mafiös die Methoden dieser US-Regierung sind.
Wie haben Sie die öffentliche Demütigung von Selenskyj im Weißen Haus wahrgenommen?
Als ich die Szene zum ersten Mal gesehen habe, war das wie ein Autounfall, bei dem man nicht weggucken kann. Beim zweiten Anschauen habe ich mich gefragt, ob Selenskyj anders hätte agieren können. Mittlerweile finde ich es gut, dass es so abgelaufen ist. Die Art, wie die Ukraine vom wichtigsten Verbündeten behandelt wird, ist respektlos und ohne jede Augenhöhe. Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit das gesehen hat, auch in Deutschland. Wenn das Opfer in einem brutalen Angriffskrieg so behandelt wird, wirft das große Fragen auf. Wird ein deutscher Bundeskanzler im Oval Office auch eines Tages so behandelt werden?
Selenskyj wurde vorgeworfen, er sei nicht diplomatisch genug gewesen. Sehen Sie das auch so?
Er war nicht besonders diplomatisch. Aber ich finde es richtig, dass er Fakten gerade rückt. Wenn jemand behauptet, der Krieg sei erst 2022 und nicht bereits 2014 ausgebrochen, ist das falsch. In Trumps erster Amtszeit hatte Russland die Krim und Teile des Donbas besetzt, Krieg im Osten der Ukraine geführt. Den Menschen ist eine Sache wichtig: Ihre Würde. Wenn klare Fakten verfälscht werden, erwarten sie von ihrem Präsidenten, dass er das richtig stellt. Das ist natürlich ein Balanceakt.
Donald Trump hat darauf gesetzt, den Staat, auf den er Einfluss hat, unter Druck zu setzen: Das ist die Ukraine
War der ganze Eklat inszeniert?
Der Angriff auf Selenskyj macht definitiv den Umgang dieser US-Administration mit der Ukraine sichtbar, die Grundhaltung von J.D. Vance und Donald Trump, die schon im Wahlkampf deutlich wurde. Denen ist Europa ziemlich egal, die wollen ausschließlich kurzfristige Erfolge für sich selbst.
Eigentlich war der Besuch in den USA mit großen Hoffnungen verbunden.
Das Team Selenskyj hatte den Besuch intensiv geplant. Wie geht man auf Trump zu, was gibt man ihm für seine Eitelkeit? Selenskyj hat Bilder von ukrainischen Kriegsgefangenen gezeigt, die ausgehungert aus russischer Kriegsgefangenschaft freigekommen sind. Das war Trump aber völlig egal. Dieser Mann hat keine Empathie. Das Selenskyj-Team hat sich da leider verkalkuliert.
Die USA haben nach dem Eklat ihre militärische Unterstützung und Geheimdienstinformationen ausgesetzt. Eine spontane Reaktion?
Nein. Das muss lange gereift sein. Mit dem klaren Ziel, die angegriffene Ukraine massiv unter Druck zu setzen. Das Opfer, nicht Täter Russland.
Trump hatte ja erklärt, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Sucht er einen Sündenbock für sein Scheitern?
Solche Absichtserklärungen sind zutiefst unseriös und aus der Ukraine betrachtet absolut zynisch. Donald Trump hat darauf gesetzt, den Staat, auf den er Einfluss hat, unter Druck zu setzen: Das ist die Ukraine. Doch nun dürfte die Trump-Administration langsam verstehen, dass dieser Krieg komplexer ist, als sie geglaubt haben und dass nicht die Ukraine das Problem ist, sondern Russland, das von den eigenen zerstörerischen Zielen nicht abrückt.
Warum betont Trump eigentlich so oft, dass es bald Neuwahlen in der Ukraine geben muss?
Er übernimmt damit Putins großen Wunsch. Aus russischer Sicht wäre es das Beste, was passieren kann. Man räumt einen Präsidenten beiseite, der dieses Land repräsentiert, den jeder auf der Welt kennt, der kein einfacher Charakter ist und der am Ende für die Interessen des Landes einsteht. Dann stellt man irgendjemanden dahin, den man einfach wegbuttern kann. Die USA arbeiten gerade daran, dieses Interesse Russlands durchzusetzen. Trump und Putin lassen dabei völlig außer Acht, dass diese Entscheidung allein vom ukrainischen Volk getroffen wird.
Ex-Außenminister Joschka Fischer sagte in der „Zeit", die Szene im Weißen Haus sei für ihn das Ende des Westens gewesen, wie wir ihn kennen. Stimmen Sie zu?
Das Ende des Westens, wie wir ihn kennen, ist mit der zweiten Amtszeit Donald Trumps eingetreten. Greifbar war es auch bei der Rede von J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Das war schon ein ziemlicher Tiefpunkt. Als vor drei Jahren russische Truppen an der Grenze zur Ukraine standen, wollten das viele ja erst auch nicht wahrhaben. Ähnlich ist das mit den USA: Viele erkennen jetzt erst, dass sie leider wirklich so handeln, wie sie es Wahlkampf angekündigt haben.
Könnte Europa sich zur Not ohne die USA selbst verteidigen – und auch die Ukraine?
Nein. Das ist die bittere Realität. Aber Europa kann jetzt große Schritte einleiten, um künftig dazu in der Lage zu sein. Europa muss geschlossen sein, das ist jetzt das Wichtigste. Wenn wir endlich aufhören, darüber zu reden, dass wir unsere eigene Sicherheit in die Hand nehmen müssen, sondern einfach mal machen, dann traue ich diesem Land und diesem Kontinent extrem viel zu. Gerade kommt viel in Bewegung. Ich hoffe, dass wir jetzt eine echte Zeitenwende erleben.
Wie lange könnte die Ukraine noch durchhalten?
Jeder weitere Tag wird hart. Die Ukraine hat die höchste Sterblichkeitsrate und die niedrigste Geburtenrate weltweit. Grund dafür ist der russische Angriffskrieg. Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es, Soldaten zu mobilisieren. Wovor Ukrainerinnen und Ukrainer die größte Sorge haben, ist ein Waffenstillstand, bei dem unklar bleibt, wann Russland weiter töten wird. Es wäre den Menschen zu wünschen, dass alle, die Einfluss haben, jetzt alles in ihrer Macht Stehende tun, damit es in diesem Jahr einen dauerhaften Frieden gibt.
Sie sind gerade in Köln, wo der Karneval gerade erst vorbei ist. In den nächsten Tagen werden Sie wieder nach Kyjiw fahren. Wie fühlt sich dieser Wechsel an?
Ich weiß dadurch sehr zu schätzen, was es heißt, einschlafen zu können ohne Sorge vor Luftalarm und Explosionen. Ich weiß zu schätzen, was Freiheit und Sicherheit bedeuten. Aber das hat auch einen Preis. Dass wir in Deutschland Debatten über sehr große Milliardensummen für Verteidigung und Sicherheit führen, zeigt doch: Alles, was uns mal selbstverständlich schien, ist es nicht mehr.