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Kommentar

Angriff auf die Demokratie
Musk, Zuckerberg und der tech-mediale Wirtschaftskomplex

Lesezeit 6 Minuten
Mark Zuckerberg, Chief Executive Officer von Meta, spricht während der Meta Connect Konferenz.

Mark Zuckerberg, Chief Executive Officer von Meta, spricht während der Meta Connect Konferenz.

Die Meinungsfreiheit wird zum Florett in einem Spiegelfechten, um von der eigenen Macht und Verantwortung sowie den tiefer liegenden Problemen abzulenken.

Von Christiane Woopen

Die Meinungsfreiheit ist dieser Tage in aller Munde. Mark Zuckerberg, CEO der Facebook- und Instagram-Mutter Meta, schafft in den USA die Content Moderation sowie die unabhängige Prüfung von Fakten auf seinen Plattformen ab und will mehr personalisierten politischen Inhalt einführen. Er begründet dies mit der Meinungsfreiheit. Zu viele Nutzer seien frustriert, Meta habe zu viele Fehler bei der Prüfung der Inhalte gemacht, zu viel Harmloses sei zensiert worden, zu viele Leute seien fälschlich im „Facebook Gefängnis“ eingesperrt worden. Externe Experten hätten zu viele Inhalte geprüft und auch zu viele zensiert.

Anstatt die Prüfprogramme zu verbessern, werden sie nun gänzlich abgeschafft und durch sogenannte Community Notes ersetzt. Es ist so, als würde man unter Berufung auf die Bewegungsfreiheit gleich alle Ampeln und Geschwindigkeitsbegrenzungen abschaffen und Freiwillige als freundlich Winkende auf die Straßenkreuzungen stellen.

Auch Ulf Poschardt, bis vor kurzem Chefredakteur von „WeltN24“, bemüht die Meinungsfreiheit. „Was für eine fundamentale, wertvolle Debatte“ schwärmte Poschardt auf X, als Elon Musk sich in seiner Zeitung für die AfD einsetzte und sein Nachfolger Jan Philipp Burgard parallel versuchte, dagegenzuhalten – übrigens nicht, ohne den US-Milliardär trotzdem kräftig zu feiern. In Umwidmung von Arthur Schopenhauers Diktum zur Gesundheit diagnostiziert Poschardt, dass Meinungsfreiheit nicht alles sei, aber ohne Meinungsfreiheit alles nichts.

Die Meinungsfreiheit wird hier zum Florett in einem Spiegelfechten, um von der eigenen Macht und Verantwortung sowie den tiefer liegenden Problemen abzulenken. So heißt es in der Begründung von Meta für die Änderung seiner Moderationspraxis, dass ein Sprechverbot oft nur existierende Machtstrukturen stärke statt Menschen ermächtige. Auf dieser Fechtbahn treten Machteliten gegen alle Menschen an. Mark Zuckerberg kämpft aber nicht auf der Seite aller Menschen, sondern gehört selbst zu den Machteliten. Er braucht allerdings möglichst viele Menschen, um Werbeeinnahmen zu generieren, die mehr als 95 Prozent seines Umsatzes ausmachen.

Auf einer zweiten Fechtbahn kämpfen laut Zuckerberg diejenigen, die meinen, dass Redefreiheit für mehr Menschen zu gesellschaftlicher Spaltung führe, gegen diejenigen, die dies für ein soziales Bindeglied halten. Es ist aber nicht die Anzahl, die verbindet, sondern die Art des Umgangs miteinander. Entscheidend ist nämlich, dass Menschen sich als Gleiche respektieren und dass Tatsachen überhaupt etwas zählen.

Einen dritten Scheingegensatz macht Zuckerberg zu denen auf, denen der Erfolg ihrer eigenen Anliegen wichtiger ist als die Stimme für jeden. Auch hier verortet er sich auf der falschen Seite, denn es sind doch gerade die Plattformbetreiber, die ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen durchsetzen wollen und dafür die Nutzer ihrer sozialen Medien instrumentalisieren.

Wenn Elon Musk sich in einer deutschen Zeitung für die AfD stark macht, geht es auch da nicht um Meinungsfreiheit. Als könnte Musk mit seiner Reichweite von 213 Millionen Followern und algorithmischer Bevorzugung auf X sowie oft kritikloser Rezeption seiner Beiträge in zahllosen weiteren Medien sich nicht jederzeit wirkungsvoll zu Wort melden.

Dies alles sind Spiegelfechtereien mit der Meinungsfreiheit – und damit tragischerweise mit einer der wesentlichen Stützen der Demokratie. Das eigentliche Problem liegt nicht darin, dass Rede- und Meinungsfreiheit durch Regulierung, Tatsachenüberprüfung und Vermeidung von Rassismus, Hassrede und Diskriminierung eingeschränkt würden. Es gibt vielmehr zwei viel tiefer liegende Missstände.

Nicht einmal jeder Zweite in Deutschland will seine politische Meinung frei sagen

Der erste Missstand liegt darin, dass allzu viele Menschen den Eindruck haben, sie sollten ihre Meinung besser für sich behalten. Das Institut für Demoskopie Allensbach und Media Tenor stellten die Frage: „Haben Sie das Gefühl, dass man heute in Deutschland seine politische Meinung frei sagen kann, oder ist es besser vorsichtig zu sein?“ 40 Prozent der Befragten gaben an, vorsichtig zu sein, und nur 47 Prozent – also nicht einmal jeder Zweite – meinten, frei reden zu können.

Wenn es aber keinen vernünftigen Streit mehr in einer freien Gesellschaft gibt, die notwendig eine Gesellschaft der Vielfalt und damit des Konflikts ist, schafft sie ihre Meinungsfreiheit selbst ab. Einstehen für das, was man für richtig hält; anderen Meinungen zuhören und dann miteinander sprechen – nur das nährt unsere Freiheit. Das Bindeglied ist der gute Streit, nicht aber das beliebige Hinausposaunen unbegründeter Verurteilungen, Unterstellungen und Anmaßungen, die Plattformbetreiber nach ihren eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen sortieren.

Das zweite eigentliche Problem liegt in dem tech-medialen Wirtschaftskomplex, der in den letzten Jahren entstand. Wer sich jetzt an den „militärisch-industriellen Komplex“ erinnert fühlt, den Präsident Eisenhower in seiner Abschiedsrede 1961 einführte und damit an ein Konzept des amerikanischen Soziologen Charles Wright Mills in dem Buch The Power Elite 1956 anknüpfte, liegt richtig. Mills wie Eisenhower kritisierten die enge Verbindung zwischen Militär, Wirtschaft und politischen Entscheidungsträgern. Diese enge Verbindung sahen sie als Gefahr für die Grundstruktur der Demokratie an, Eisenhower nannte es das „Potential für einen zerstörerischen Aufstieg fehlplatzierter Macht“. Treffender kann man es auch für den Aufstieg der Tech-Oligarchen kaum formulieren. In den Händen Weniger – nicht der Vielen – liegt eine Verbindung von technologischer, wirtschaftlicher und medialer Macht in einem bislang ungekannten Ausmaß. In China ist diese Macht traditionell mit politischer Macht verknüpft, in den USA mit Donald Trump nun auch. Und Elon Musk ist Teil von Trumps politischem Apparat.

Das Prinzip der Gewaltenteilung zur Begrenzung staatlicher Macht durch gegenseitige Kontrolle wird im tech-medialen Wirtschaftskomplex ausgehöhlt durch die faktische Konzentration technologischer, wirtschaftlicher, medialer und politischer Macht in den Händen demokratisch nicht gewählter Unternehmer. Die Kräfte, die dem wirksam entgegentreten können, sind das Recht, unabhängige Medien und selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger.

Kein Wunder, dass die Tech-Oligarchen gegen Regulierung kämpfen und mit ihren medialen Mitteln die Gesellschaft steuern wollen. US-Präsident Joe Biden hat in seiner Abschiedsrede vor wenigen Tagen zu Recht auf Eisenhower verwiesen und eine deutliche Warnung ausgesprochen: „Heute nimmt in Amerika eine Oligarchie Gestalt an, die über extremen Reichtum, Macht und Einfluss verfügt und unsere gesamte Demokratie, unsere Grundrechte und -freiheiten sowie die faire Chance für jeden, voranzukommen, bedroht.“

Es ist gut, dass die Europäische Kommission diese Gefahr schon vor Jahren erkannt hat und ihr mit den Mitteln des Rechts entgegentritt. Diese mögen im Detail nicht perfekt sein und können nachjustiert werden, aber sie verfolgen im Grundsatz das richtige Ziel der Verteidigung und Sicherung unserer Grundrechte und Freiheiten. Hinzukommen sollte eine kraftvolle Förderung des unabhängigen Journalismus, der nicht in die Hände von Tech-Oligarchen geraten darf, die dann – wie Amazon-Boss Jeff Bezos bei der Washington Post – bestimmen, was gedruckt werden darf. Wenn dann auch noch wir alle als Bürgerinnen und Bürger von unseren Freiheiten tatsächlich Gebrauch machen und im vernünftigen Streit unsere Gesellschaft zusammenhalten, haben wir eine Chance auf die Bewahrung unserer Demokratie.


Christiane Woopen, geb. 1962, ist Direktorin des „Center for Life Ethics“ an der Universität Bonn. Die Ethikerin war Vorsitzende des Deutschen und des Europäischen Ethikrats sowie Co-Sprecherin der Datenethik-Kommission der Bundesregierung. Ihr Beitrag für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ beruht auf einem Vortrag, den sie zum Neujahrsfest der Karl-Rahner-Akademie am 11. Januar 2025 in Köln gehalten hat. (jf)