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Kommentar

Anschlag in Solingen
Über das Grauen legt sich ein tiefschwarzer politischer Schatten

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Lesezeit 3 Minuten
Kerzen und Blumen stehen in Solingen der Nähe des Tatorts. Am Freitag wurden bei einem mutmaßlichen Terroranschlag drei Menschen in der Stadt getötet.

Kerzen und Blumen stehen in Solingen der Nähe des Tatorts. Am Freitag wurden bei einem mutmaßlichen Terroranschlag drei Menschen in der Stadt getötet.

Die Vorstellung, man könne des islamistischen Terrors durch Abschiebung Herr werden, ist politisch und psychologisch eine Form der Verdrängung.

Die Sicherheitspolitik in Deutschland kennt zwei Zustandsbeschreibungen: Zum einen gibt es die „abstrakt hohe Gefährdungslage“, die von Polizei und Verfassungsschutz scharf beobachtet, gut kontrolliert und erfolgreich eingedämmt wird. Und dann gibt es Anschläge wie den von Solingen, begangen von einem Täter, der bei konsequentem Handeln der Behörden längst nicht mehr in Deutschland hätte sein dürfen. Hier haben nicht nur die Anstrengungen von Polizei und Verfassungsschutz zur Verhinderung von grausamem, tödlichem Terror versagt, sondern auch Ämter und Behörden, die das Asylrecht anwenden und die Bestimmungen des Ausländerrechts durchsetzen müssen.

Wo also steht Deutschland in der Terrorbekämpfung? Und welche Sicht stimmt denn nun? Die vom gut gewappneten Sicherheitsapparat oder die vom Staatsversagen? Die Antwort lautet: keine von beiden. Oder noch besser: beide zusammen.

Erleichterung nach der EM und Olympia

Nach der Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land und auch nach den Olympischen Spielen in Frankreich konnten Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) oder ihr NRW-Kollege Herbert Reul (CDU) mit Erleichterung, Genugtuung und berechtigtem Stolz auf eine gelungene Gefahrenabwehr und beachtliche Fahndungserfolge verweisen. Der ungetrübte, friedliche Verlauf beider Großereignisse war nicht nur ein Glück für alle Teilnehmenden, für die Organisatoren und die Sicherheitsverantwortlichen, sondern vermittelte der gesamten Bevölkerung das gute Gefühl: Die Prävention des Staates greift.

Dabei muss allen klar gewesen sein, dass dieses Sicherheitsempfinden mit einer gehörigen Portion Verdrängung einherging – und dementsprechend hoch fragil und auch trügerisch war. In Solingen ist es jäh ins Wanken geraten, wenn nicht ganz zerstoben.

Kein absoluter Schutz

Wieder einmal hat sich auf denkbar schreckliche Weise bewahrheitet, dass es gegen einen solchen Verbrecher und gegen seine todbringende Gewalt keinen absoluten Schutz gibt. Fraglos hätte der Tatverdächtige nach Ablehnung seines Asylantrags abgeschoben werden müssen. Die konsequente Anwendung geltenden Rechts beziehungsweise das Abstellen aller Umstände, die zu Nachlässigkeit, Schlendrian oder einem Gefühl der Vergeblichkeit bei den zuständigen Behörden führen, gehören zu den Konsequenzen, die aus dem Fall Solingen gezogen werden müssen.

Aber die Vorstellung, man könne des islamistischen Terrors durch Abschiebung Herr werden, ist politisch und psychologisch nichts anderes als die Fortsetzung der Verdrängung mit anderen Mitteln. Sie bedient überdies die gefährlich simplifizierende Weltsicht von Populisten und Rechtsradikalen, die sich reflexartig und mit ekelhafter Lust auf den Anschlag von Solingen gestürzt haben.

Tiefschwarzer politischer Schatten

Dass CDU-Chef Friedrich Merz das Spiel mitspielt und einen generellen Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen fordert, ist auch in der größten Not des Wahlkämpfers vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg unentschuldbar. Merz holt gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – vulgo: Rassismus – vom rechten Rand in die demokratische Mitte. Damit legt sich über das Grauen von Solingen zusätzlich ein tiefschwarzer politischer Schatten.

Es gehört zu den Aporien des Terrors, dass die Irrationalität zu seiner Logik gehört. So stärkt die Tat von Solingen alle, die Vorbehalte gegen Muslime bis hin zum Hass schüren. Islamistischer Terror und rechter Radikalismus bilden zusammen eine geistige und ideologische Schraubzwinge. Dazwischen geraten alle gesellschaftlichen Kräfte unter wachsenden Druck, die auf Verständigung bedacht sind, sich gegen Vorurteile wenden, auf Differenzierung dringen, für Demokratie und Rechtsstaat eintreten. Der Anschlag von Solingen zeigt auch, wie wichtig das ist. Es steht nicht weniger auf dem Spiel als unsere Freiheit.