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Wahlschlacht im WüstenstaatTrump und Harris liefern sich Kopf-an-Kopf-Rennen in Arizona

Lesezeit 8 Minuten
Kamala Harris (l.) und Donald Trump

Für Kamala Harris (l.) und Donald Trump könnte der umkämpfte Swing State in Arizona im US-Wahlkampf von entscheidender Bedeutung sein.

Mit Rodeo, Reden und Radio-Spots werben Demokraten und Republikaner im Swing State Arizona heftig um Stimmen.

Draußen vor der Villa mit Säulengängen, die an einen südländischen Palast erinnert, blühen Bougainvillean und Oleanderbüsche. Zwei Angestellte übernehmen dienstbeflissen das Parken der eintreffenden Autos. Für die Gäste geht es durch eine schwere Holztür und eine Kuppelhalle hinten hinaus in den weitläufigen Garten, wo ein Zeltdach über dem Tennisplatz vor der gnadenlosen Sonne schützen soll. Vier mannshohe Klimamaschinen, die kühlen Wasserdunst ausstoßen, machen die flirrende Hitze von 36 Grad etwas erträglicher.

US-Wahl 2024: Arizona lange fest in republikanischer Hand

„Was für ein großartiger Ort“, eröffnet der Ehrengast seine kurze Ansprache: „Ich würde hier gerne ein paar Bälle schlagen.“ Doch Doug Emhoff steht an diesem Spätnachmittag nicht zum Vergnügen vor den 150 wohlhabenden Unterstützern, die ein Medizintechnik-Investor in sein nobles Domizil in Paradise Valley, einer der reichsten Kommunen der USA am Rande der Millionenmetropole Phoenix, eingeladen hat. Foto- und Filmaufnahmen sind verboten. Mit offenem Hemd unterm förmlichen Sakko wirbt Emhoff eindringlich um Spenden und Stimmen für seine Frau Kamala Harris, die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten.

Lange galt Arizona als republikanisches Kernland. Doch seit der Wüstenstaat vor vier Jahren überraschend Joe Biden zum Wahlsieg verholfen hat, zählt die Region zwischen dem Grand Canyon und der mexikanischen Grenze auch politisch zu den heißesten Pflastern im amerikanischen Wahlkampf. Donald Trump habe sich in eine „noch schlimmere Version“ seiner selbst verwandelt, schlägt Emhoff Alarm: „Das ist wirklich gefährlich.“ In seiner Heimat Kalifornien könne er bei der Wahl wenig ausrichten - der Bundesstaat geht ohnehin an die Demokraten. „Sie hingegen haben eine einmalige Chance“, appelliert der designierte First Gentleman an seine Zuhörern in Paradise Valley: „Sie können über die Zukunft des Landes entscheiden.“

Das ist kaum übertrieben. Mit gerade mal 11.000 Stimmen Vorsprung hat Biden in Arizona beim letzten Mal gewonnen. Aktuelle Umfragen sehen in dem Kopf-an-Kopf-Rennen mal Harris, mal Trump leicht vorne. Entsprechend heftig tobt die Schlacht um die Wähler. An jeder Straßenecke stehen Schilder mit den Namen der unterschiedlichen Kandidaten fürs Weiße Haus, den Kongress und diverse lokale Ämter. Die Fernseh- und Radiosender werden mit Werbespots geflutet. Fast täglich schweben Washingtoner Politikgrößen zu Kundgebungen ein.

Republikaner in Arizona kämpfen für „das Erbe des Westens“

Rund 60 Kilometer nordwestlich von Phoenix erwartet die Besucher von „Arizona's Last Shot Rodeo Rally“ im ländlichen Morristown kein feines Buffet wie bei Emhoffs Spendengala. Gerade mal 186 Einwohner zählt das staubige Kaff am Rande der Wildnis. Die kulinarische und politische Kost auf der Western Trails Ranch ist derb. Zwei Stunden lang beweisen sich Cowboys beim wilden Bullenreiten. Dann stürmt Kari Lake auf die Bühne. Die Zuhörer, die bei Bier und „Mushroom Bonanza“ oder „Arizona Chili“ auf langen Holzbänken sitzen, jubeln der legendären Rechtsaußen-Politikerin begeistert zu.

Ein „Trump Store“ in Arizona

Außerhalb der Städte ist Arizona ein republikanischer Bundesstaat: Trump-Laden auf der Western Trails Ranch in Morristown.

„Das ist unsere uramerikanische Western-Tradition“, kommentiert die glühende Trump-Anhängerin die Rodeo-Darbietung. Sie selbst trägt Jeans und hochhackige Cowboy-Stiefel: „Dafür kämpfen wir: unsere amerikanische Geschichte, das Erbe des Westens!“ Ihre Stimme wird ernst: „Das ist es, was die wegnehmen wollen“, ruft die radikale Republikanerin aufgebracht ins Publikum: „Über Nacht werden sie alles wegnehmen!“ Sie - das sind die Demokraten, die in der Verschwörungserzählung heimlich Hunderttausende Migranten in die USA locken. Das heitere Volksfest bekommt einen apokalyptischen Unterton: „Wenn wir dieses Land nicht retten, können wir nirgendwoanders hingehen“, raunt die Wahlleugnerin, die bis heute ihre Niederlage beim Rennen um das Gouverneursamt vor zwei Jahren bestreitet und nun als republikanische Senatorin nach Washington gehen will.

Rund ein Drittel der Amerikaner in Arizona parteilos

Sorgen um die Demokratie und Panik vor dem nationalen Untergang - schärfer könnten die Kontraste kaum sein. „Arizona verändert sich“, sagt Doug Cole von der PR-Firma Highground in Phoenix: „Aber im Kern ist das Land immer noch rot.“ Rot ist die Farbe der Republikaner. Die dominieren in der Fläche, während die Städte zu den Demokraten tendieren. Cole gilt als einer der führenden Politikberater in der Region. Der moderate Republikaner hat in den 1980er Jahren im Kongress für den Vietnamkriegshelden John McCain gearbeitet, doch mit Trump will er nichts zu tun haben.

„Mein Bauchgefühl sagt mir im Moment: Trump wird es am Ende doch reißen.“ Politikberater Doug Cole ist skeptisch.

Zum Gespräch hat Cole eine interessante Präsentation mitgebracht, die ein paar  unangenehme Erkenntnisse für Kamala Harris enthält. Arizona ist im US-Wahlkampf auch deswegen so interessant, weil es mit 34 Prozent einen ungewöhnlich hohen Anteil von unabhängigen Wählern hat. Rund 35 Prozent sind als Republikaner, nur 29 Prozent als Demokraten registriert. „Jede Kampagne muss sich auf die Unabhängigen konzentrieren“, schlussfolgert Cole. Doch eine weitere Grafik zeigt, dass die Parteilosen deutlich seltener zur Wahl gehen als die eingefleischten Republikaner. „Die bleiben unter ihren Möglichkeiten“, analysiert Cole. Für Harris hänge deshalb alles davon ab, diese Gruppe zu mobilisieren.

Kritisch ist auch die Unterstützung durch die „Latinos“. Ein Drittel der Menschen in Arizona haben lateinamerikanische Wurzeln. Traditionell stimmten sie für die Demokraten. Doch Umfragen zeigen: Die Bindung bröckelt. „Viel zu lange haben die Demokraten die Latino-Stimmen als selbstverständlich angenommen“, sagt Lea Marquez Peterson. Die Vorfahren der erfolgreichen Geschäftsfrau kamen aus Mexiko, starteten in Arizona eine Tortilla-Bäckerei und wählten die Demokraten. Marquez Peterson aber ist Republikanerin und hat eine Organisation gegründet, die gezielt konservative Latino-Politiker fördert.

„Viel zu lange haben die Demokraten die Latino-Stimmen als selbstverständlich angenommen.“ Die Geschäftsfrau Lea Marquez Peterson will für Donald Trump stimmen.

„Ich finde, die Republikaner machen einfach die bessere Wirtschaftspolitik“, begründet sie  ihre politische Präferenz. Viele Einwanderer betrieben kleine Betriebe, oft in der Baubranche. Die litten derzeit stark unter den steigenden Preisen für Lebensmittel und Baumaterialien: „Die sind gerade so über die Corona-Pandemie gekommen, und nun bedroht die Inflation ihre Existenz“, sagt die Republikanerin. Auch könnten sich viele  junge Familien kaum ein Haus leisten. Und dann sei da noch das Reizthema Migration. Marquez Peterson mag Trumps ausländerfeindliche Rhetorik gar nicht. Aber auch sie argumentiert:  „Wir haben die Regeln befolgt, als wir ins Land kamen. Andere betrügen oder kommen illegal über die Grenze. Das ist nicht fair.“

Phoenix: Republikaner unterstützt Kamala Harris

Es ist kein Zufall, dass sich Kamala Harris von einem Latino vorstellen lässt, als sie zwei Tage nach ihrem Ehemann bei einer großen Kundgebung südlich von Phoenix auftritt. Rund 7000 Menschen füllen die brütend heiße Veranstaltungshalle, von draußen drängen immer neue Besucher nach. Auffällig viele Frauen und hispanische Amerikaner sind darunter. Auf der Bühne kündigt Gerardo Ramirez die Kandidatin an: „Ich bin hier, um Kamala Harris zu unterstützen“, sagt der 32-jährige Enkel eines Farmarbeiters aus Mexiko, wobei er den Vornamen der prominenten Politikerin fälschlich auf der zweiten statt auf der ersten Silbe betont. „K-A-mala, K-A-mala!“, ruft das Publikum. Harris lächelt den Lapsus weg, denn der Auftritt von Ramirez hat für sie einen hohen symbolischen Wert: Der Mann ist als Republikaner registriert.

Nicht nur klimatisch ist es mit Tagestemperaturen um 40 Grad heiß: Wahlplakate bei Phoenix.

Für einen Wahlsieg in Arizona ist Harris auf solche „Überläufer“ angewiesen. Nicht zuletzt deshalb hat die 59-Jährige frühere linke Positionen aufgegeben und ist programmatisch deutlich in die Mitte gerückt. Demonstrativ präsentiert sie sich in Phoenix als Anwältin der Mittelschicht und stimmt eine Eloge auf den verstorbenen republikanischen Senator McCain an, der 2017 mit seiner Stimme im Kongress die von Trump betriebene Zerstörung der Krankenversicherung Obamacare verhinderte: „John McCain stand zu seinen Prinzipien“, lobt Harris den stramm konservativen Vietnamhelden: „Er stand zu dem, was unser Land ausmacht.“ Die Menge jubelt.

Arizona: Politikberater sieht Donald Trump vorne

Wer sich über eine der sechssspurigen Stadtautobahnen durch die wuchernde Metropolregion um Phoenix quält, dem können die großen Leuchttafeln mit dem Schriftzug „Republicans for Harris“ kaum entgehen. Finanziert worden sind sie von einer privaten Initiative, hinter der rund 800 traditionell-konservative Republikaner stehen, die die Wahlleugnerin Kari Lake für durchgeknallt und Donald Trump für gefährlich halten: Leute wie Clint Smith. Der Mitt-Sechziger hat sein Leben lang für die Republikaner gestimmt - bis zum Kapitolsturm vom Januar 2021. Der Versuch, das rechtmäßige Wahlergebnis zu kippen, war zu viel für den Erbrechts-Anwalt: „Ich kann diese Partei nicht mehr ertragen“, gesteht er.

„Es ist schon etwas anderes, zu sagen: 'Ich kann Trump nicht ausstehen' - oder ein Harris-Schild in den Vorgarten zu stellen.“ Der Republikaner Clint Smith hat sich von seiner Partei abgewandt.

Vergeblich trat Smith bei den Midterms vor zwei Jahren als Unabhängiger gegen den örtlichen ultrarechten Kongresskandidaten an. Bei dieser Wahl versucht er nun, gemeinsam mit Gleichgesinnten die entscheidenden Stimmen für die Demokratin Harris zu organisieren. „Für mich persönlich war das ein großer Schritt“, gesteht der Republikaner: „Es ist schon etwas anderes, zu sagen: ‚Ich kann Trump nicht ausstehen‘ - oder ein Harris-Schild in den Vorgarten zu stellen.“ Inhaltlich stimmt Smith in der Einwanderungs- und Wirtschaftspolitik nicht immer mit den Demokraten überein. Doch Trump wolle nach eigenem Bekunden ein „Diktator für einen Tag“ sein. „Es wird nicht bei einem Tag bleiben“, ist Smith überzeugt: „Und das macht alles andere irrelevant.“

Ein Harris-Sieg in Arizona könnte für die Demokraten einen möglichen Einbruch in einem der traditionellen Swing States abpuffern. Doch ob das gelingt, ist offen. „Wir sind die Underdogs“, stapelt die Kandidatin bei ihrem Auftritt tief. Helfen könnte ihr, dass hier am 5. November nicht nur über das Weiße Haus, sondern auch über ein Volksbegehren zur Sicherung des Rechts auf Abtreibung abgestimmt wird. „Das dürfte junge Wähler mobilisieren“, glaubt Politikberater Cole. Aber ob das reicht? Der erfahrene Experte zögert. Dann gesteht er: „Mein Bauchgefühl sagt mir im Moment: Trump wird es am Ende doch reissen.“ Eilig schiebt er hinterher: „Aber das kann sich noch ändern.“