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Scharfe Töne gegen EinwandererWie die Messerattacke in Aschaffenburg den Wahlkampf verändert

Lesezeit 4 Minuten
Nach der Messerattacke in Aschaffenburg. Am Tatort liegen Trauerkerzen, Blumen und Kuscheltiere, nachdem am Donnerstag in Aschaffenburg zwei Menschen, darunter ein Kind, bei einem Messerangriff getötet wurden. /-Pressefoto/Florian Wiegand

Nach der Messerattacke in Aschaffenburg. Am Tatort liegen Trauerkerzen, Blumen und Kuscheltiere, nachdem am Donnerstag in Aschaffenburg zwei Menschen, darunter ein Kind, bei einem Messerangriff getötet wurden. /-Pressefoto/Florian Wiegand

Nach dem Mord durch einen 28-jährigen Afghanen in Aschaffenburg kocht die politische Debatte hoch. Durch den Bundestagswahlkampf wird sie noch schärfer geführt als zuvor.

Sie hätte selbst das Opfer sein können, das ahnt die junge Mutter, die an diesem Mittag den Kinderwagen durch den Schöntal-Park im Zentrum Aschaffenburgs schiebt. Vorbei an jener Stelle, an der ein 28-jähriger Afghane am Tag zuvor zwei Menschen getötet hat, vorbei an den Blumen, Kerzen und Teddys, die Menschen hier seitdem ablegen, verharren, trauern. Sie wohne ganz in der Nähe, jeden Tag gehe sie durch den Park. Ja, auch gestern, sagt sie, eine halbe Stunde, bevor es geschah. „Als ich zurückkam, war hier gerade alles abgesperrt.“ Dann versagt ihre Stimme, und ihre Augen füllen sich mit Tränen.

Aschaffenburg, eine Stadt von 70.000 Einwohnern in Unterfranken, steht unter Schock. „Es fühlt sich an, als sei mein eigenes Kind gestorben“, so sagt es der SPD-Oberbürgermeister Jürgen Herzing am Morgen ebenfalls hier, an dieser Stelle, und drückt damit aus, was viele an diesem Tag in der Stadt fühlen. Einen zweijährigen Jungen und einen 41-jährigen Mann hatte der Täter hier erstochen.

Der Tatort in Aschaffenburg - und eine trauernde Bürgerin.

Der Tatort in Aschaffenburg - und eine trauernde Bürgerin.

Jetzt strömen viele zu dieser Stelle, an der es geschah. Nur müssen die Menschen in Aschaffenburg auch mit ansehen, wie die Trauer im Rest der Welt doch rasch verdrängt wird vom politischen Streit. „Ich verstehe, dass man über die Konsequenzen spricht, ich finde es auch richtig“, sagt die junge Mutter. „Ich finde nur, dass es zu früh ist.“ Aber es sieht nicht so aus, als würde auf diesen Satz in München und Berlin jemand hören.

Denn die politische Debatte ist längst im Gange – und man merkt ihr an, dass in einem Monat ein neuer Bundestag gewählt wird. Bei einer Pressekonferenz in der bayerischen Landeshauptstadt sagt Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder, es werde unter einer unionsgeführten Bundesregierung faktisch einen Aufnahmestopp und eine „Grenzschließung für illegale Migration“ geben. Die migrationspolitische Leitlinie werde „null Toleranz, null Kompromiss“ sein.

Merz will an Tag eins seiner Kanzlerschaft die Grenzen schließen

In Berlin sagt Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz, er werde gleich an seinem ersten Tag als Bundeskanzler das Bundesinnenministerium anweisen, alle deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen. Auch Asylbewerber mit Schutzanspruch würden dann an der Grenze abgewiesen. „Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich“, sagt Merz mit Blick auf die potenziellen Koalitionspartner der Union.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hält am Donnerstagnachmittag dagegen. „Die bayerischen Behörden müssen erklären, warum der Täter trotz mehrerer Gewaltdelikte noch auf freiem Fuß war. Offenbar sind in Bayern dort auch einige Dinge schiefgelaufen“, sagt sie. „Deshalb finde ich jetzt auch die Reaktion der Bayern befremdlich.“ Friedrich Merz’ Ankündigung zur Grenzschließung an Tag eins seiner möglichen Kanzlerschaft stehe ihrer Ansicht nach nicht mit europäischem Recht in Einklang.

Faeser warnt vor Populismus

Faeser betont stattdessen die zuletzt von der Bundesregierung beschlossenen und im Bundestag verabschiedeten Gesetzesverschärfungen. Die Bundesregierung arbeite zudem intensiv daran, weitere Straftäter nach Afghanistan abzuschieben. Ohne Merz und Söder namentlich zu nennen, sagt sie doch deutlich an beide adressiert: „Ich kann nur sehr davor warnen, eine solch furchtbare Tat für Populismus zu missbrauchen. Das nutzt nur den Rechtspopulisten mit ihrer Menschenverachtung.“

Über den seit Dezember ausreisepflichtigen und wohl psychisch kranken Täter werden derweil immer mehr Details bekannt. Der heute 28-jährige Afghane Enamullah O. ist im November 2022 nach Deutschland eingereist und hat einen Asylantrag gestellt. Mindestens dreimal ist er seitdem schon durch Gewalttaten aufgefallen. Er sei jeweils zur psychiatrischen Behandlung in Einrichtungen eingewiesen, aber jedes Mal wieder entlassen worden, erklärte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU).

Reporter des Fernsehsenders RTL besuchten noch am Mittwoch die Flüchtlingsunterkunft in der Nähe von Aschaffenburg, in der Enamullah O. gewohnt hat. Eine ukrainische Geflüchtete berichtete dort, O. habe im vergangenen Jahr eine andere Ukrainerin mit einem Messer verletzt. Daraufhin sei er von der Polizei mitgenommen worden, aber bereits am Tag darauf wieder in der Unterkunft aufgetaucht.

Schwieriger Umgang mit psychisch kranken Tätern

Die Aschaffenburger CSU-Bundestagsabgeordnete Andrea Lindholz fordert, psychisch kranke Straftäter besser zu erfassen. In Fachkreisen ist man da skeptisch. „Die Diskussion um eine zentrale Erfassung von Menschen mit psychischen Erkrankungen befördert Vorurteile und vergrößert bei den Betroffenen die Angst vor Stigmatisierung“, sagt Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Dann sinke auch die Wahrscheinlichkeit, dass Betroffene Hilfe annehmen.

Wenn Psychiater und Therapeuten Hinweise darauf erhielten, dass ein Patient eine Gefahr für sich oder andere darstelle, könnten sie auch heute schon tätig werden und Menschen gegen ihren Willen in einem Krankenhaus oder einer Einrichtung unterbringen.

Die Frage, warum das in Aschaffenburg nicht funktioniert hat, wird die Behörden wohl noch länger beschäftigen.