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Unterwegs entlang der Südgrenze der USAAus Mexiko kein Durchkommen: Stehen Europa solche Grenzen bevor?

Lesezeit 7 Minuten
Ein Fahrzeug fährt am 25. Juni 2024 in Nogales, Arizona, entlang der US-amerikanischen Seite der US-Mexiko-Grenzmauer.

Ein Fahrzeug fährt am 25. Juni 2024 in Nogales, Arizona, entlang der US-amerikanischen Seite der US-Mexiko-Grenzmauer.

Massenabschiebungen, Grenzkontrollen und Zurückweisungen: Die Südgrenze der USA ist ein Vorgeschmack auf das, was Europa bevorstehen könnte. Ein Ortsbesuch.

Für wenn das Herz in Boca Chica schlägt, verrät ein lila angepinselter Felsen inmitten von nichts: „Wir lieben Elon“, hat jemand mit weißen Buchstaben darauf geschrieben. Hier im äußersten Südwesten des US-Bundesstaates Texas beginnt die wohl derzeit umstrittenste Grenze der Welt. Sie trennt den reichen Norden vom sogenannten globalen Süden. Genau hier hat Tech-Milliardär Elon Musk einen Firmensitz von SpaceX errichten lassen, und von hier aus steigen einige seiner Raketen in den Himmel.

Und nur einen Steinwurf entfernt beginnt die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Musk hat angekündigt, dass er die Unternehmenssitze von SpaceX und X von Kalifornien nach Texas verlegen will. Grund dafür sei ein neues Transgendergesetz in dem von der demokratischen Partei regierten Staat, das Schulen untersagt, Eltern über die Geschlechtsidentität ihrer Kinder zu informieren: „Das ist der letzte Tropfen“, schreibt Musk, der sich wie die Mehrheit der Texaner hinter den rechtspopulistischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump von den Republikanern stellt.

3400 Kilometer Grenze

Von nun an geht es weiter, inklusive Abstecher sind es am Ende von sechs Tagen rund 3400 Kilometer, die es entlang der Grenze geht – immer auf der am nächsten gelegenen Straße entlang. Die Tour endet in Imperial Beach in Kalifornien an der Westküste. Hier, an der Südgrenze der USA, ist zu erleben, worüber in Deutschland gerade diskutiert wird: Massenabschiebungen, Zurückweisungen, Grenzschutz. Wie zwischen Brownsville und McAllen, wo sich ein Güterzug im Schneckentempo über die Grenze in Richtung USA schiebt.

Der US-Grenzzaun zu Mexiko ist von Santa Cruz County, Arizona, in der Nähe von Nogales aus gesehen.

Der US-Grenzzaun zu Mexiko ist von Santa Cruz County, Arizona, in der Nähe von Nogales aus gesehen.

Die Grenzbrücke, über die die Waggons rollen, ist komplett eingezäunt. Sensoren, Kameras oder die Augen des Grenzschutzes (Border Patrol) erkennen sofort, wer sich in den Waggons befindet oder ob jemand versucht, vom Zug abzuspringen. Wer trotzdem springt, ist in einer Art Käfig gefangen. Allein im ersten Halbjahr zählte die Grenzschutzbehörde sogenannte Zusammentreffen mit etwa 1,8 Millionen Migrantinnen und Migranten, die die Grenze irregulär überquerten.

Zusätzliche Grenzkontrollen im Landesinneren

Für viele geht es direkt wieder zurück über die Grenze nach Mexiko oder in ihre Heimatländer: „Die 1,1 Millionen Abschiebungen seit Beginn des Fiskaljahres 2021 bis Februar 2024 sind auf dem besten Weg, die 1,5 Millionen Abschiebungen zu erreichen, die in den vier Jahren der Amtszeit von Präsident Donald Trump durchgeführt wurden“, schreibt der US-Thinktank Migration Policy Institute (MPI) über die Abschiebebemühungen der Regierung von US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 wurden rund 16.400 Menschen aus Deutschland abgeschoben.

Weiter westlich zwischen Brownsville und Del Rio ist zu erleben, wie ausgeklügelt das System der Grenzsicherung auch weitab der eigentlichen Grenzen ist. „Smugg­ling illegal Aliens is a Federal Crime“ (Das Schmuggeln illegaler Ausländer ist ein Bundesverbrechen), ist auf einem grünen Schild am Rand des Highways zu lesen. Nur ein paar Meilen später gibt es die Aufforderung, das Tempo zu drosseln. Es gibt hier einen der sogenannten „Interior Checkpoints“, also zusätzliche Grenzkontrollen im Landesinneren.

Kontrollen im Landesinneren

„Amerikanischer Staatsbürger?“, fragt der Beamte der Border Patrol. „Alle Dokumente bereit?“ Es dauert ein, zwei Sekunden, dann laufen Drogenspürhunde an den wartenden Autos vorbei und manchmal werden auch die Kofferräume geöffnet. Inzwischen gibt es mehr als 70 Hinterlandkontrollen in den USA entlang der Grenze. Knapp die Hälfte davon ist stationär, die anderen tauchen unangekündigt auf.

Diese nicht vorhersehbaren dynamischen Kontrollen sollen den Menschen- und Drogenschmuggel stoppen – und gehören zu einem unausgesprochenen Konsens zwischen Republikanern und Demokraten. Am ehesten vergleichbar ist das mit dem in Deutschland verwendeten Begriff der „Schleierfahndung“. Diese zusätzlichen Grenzkontrollen im Hinterland sind ereignisunabhängig und lageorientiert, wie es im deutschen Polizeijargon heißen würde.

In den USA werden sie von der Grenzschutzbehörde CBP durchgeführt , die direkt dem Heimatschutzministerium der US-Regierung in Washington unterstellt ist. Seit ihrer Gründung im Jahr 2003 hat sich die Personalstärke in den letzten Jahren auf mehr als 60 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihr Jahresetat auf 17 Milliarden US Dollar erhöht.

Für irregulär eingereiste Migranten, die glauben, sie hätten es erfolgreich über die US-Grenze geschafft, sind diese Hin­ter­land­kon­trol­len ein bisweilen völlig unerwartetes Hindernis, weil sie bis zu 120 Kilometer tief im Landesinneren auftauchen können. Immer wieder kommt es zu Todesfällen, weil Migranten versuchen, diese unerwarteten Kontrollen kurzfristig zu umlaufen, und dann schlecht vorbereitet in der Wüste umkommen.

Auf deutsche Verhältnisse übertragen, würde das bedeuten: Wer beispielsweise die deutsch-niederländische oder die österreichische Grenze übertritt, müsste noch hinter Köln oder München mit einer zusätzlichen Kontrolle rechnen. Die Binnencheckpoints sind hochmoderne Grenzstationen mit eigenen Kontrollhäuschen, Hundestaffeln, Wärmebildkameras und Sensoren – um die man nicht herumfahren kann. Nur stehen sie mitten auf einer Landstraße und nicht an der Grenze.

Verehrung für Donald Trump

Hier in Texas wird der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump bisweilen verehrt wie ein Heiliger. „Gott, Waffen und Trump“ steht auf der Flagge auf einem Holzschild kurz vor Sanderson auf einem Parkplatz. Es ist ein kleines Café inmitten der texanischen Steppe. In dem Café ist ein kleiner Altar aufgebaut, der Donald Trump gewidmet ist. Es stehen ein paar gerahmte Porträts des Republikaners darauf.

Biden und Harris sind eine Katastrophe für unser Land.
Cafébesitzer aus Texas

„Die Bilder können Sie kaufen“, sagt der Inhaber. Seinen Namen und sein Gesicht will er nicht in der Zeitung sehen: „Ich traue den Medien nicht mehr.“ Gegen Fotos vom Trump-Altar hat er aber nichts: „Er war ein guter Präsident, der beste, den wir je hatten.“ Dann spricht er von einer Invasion durch illegale Migration über die Grenze und die Zerstörer der christlichen Werte wie der Familie, für die die Demokraten verantwortlich seien. „Biden und Harris sind eine Katastrophe für unser Land.“

Es geht weiter nach El Paso: Auf den „Two-Liners“, den Landstraßen entlang der Grenze, ist stundenlang kein Auto zu sehen. Manchmal aber ist ein Fahrzeug der Border Patrol zu erkennen. Eines zieht auf einem nicht asphaltierten Feldweg parallel zur Landstraße einen großen Autoreifen an einer Stahlkette hinter sich her. Später werden die Beamten dadurch frische Fuß- und Reifenspuren erkennen, die nachts von illegal eingereisten Migranten hinterlassen werden.

Das auf diesem einsamen Abschnitt einzig empfangbare Radioprogramm heißt „Religious Talks“. Ein Analyst des evangelikalen Senders warnt vor Politikern wie Joe Biden oder „Anschela Mörkel“. Deren Migrationspolitik gefährde den Fortbestand des christlichen Abendlandes. Draußen ist es brüllend heiß. In Texas gibt es immer wieder mal große Lücken in dem Grenzzaun aus Stahl, sodass das Portal „The Texas Tribune“ spottete, „mit einer halben Meile pro Woche wird der Bau der Grenzmauer von Gouverneur Greg Abbott etwa 30 Jahre dauern und 20 Milliarden Dollar kosten“. Wo keine Mauer steht, parken im Abstand von ein paar Hundert Metern mal besetzte, mal unbesetzte Fahrzeuge der Border Patrol.

Wer immigriert, muss sofort arbeiten

Im Borderland Café stehen drei junge Frauen mit lateinamerikanischen Wurzeln hinter der Theke. Ihre Mahlzeiten haben einen exzellenten Ruf weit über die Grenzen von Columbus (New Mexico) hinaus. Die bargeldlose Bezahlung funktioniert tadellos, ebenso wie die Internetverbindung. In den USA funktioniert Digitalisierung auch auf dem Land. Wer als Migrant ins Land kommt, muss im Grunde sofort arbeiten. Ein Bürgergeld wie in Deutschland gibt es in dieser Form nicht.

Gegenwärtig leben rund 65 Millionen Menschen mit lateinamerikanischen Wurzeln in den USA, fast ein Fünftel der US-Bevölkerung. Sie bilden die am schnellsten wachsende ethnische Gruppe, während die weiße Bevölkerung leicht abnimmt. Und sie treiben das Wirtschaftswachstum massiv voran, weil sie oft die Arbeit übernehmen, für die die „Weißen“ nicht mehr bereit sind.

Wie lebensgefährlich die illegale Migration durch die Wüste ist, zeigt das Thermometer auf der nächsten Station in Kalifornien. Exakt 49,8 Grad misst es an diesem Nachmittag. Im Schatten. Es ist so heiß, dass schon nach zwei, drei Minuten außerhalb des Fahrzeugs klar ist, warum hier im Grenzgebiet zwischen Arizona und Kalifornien so viele Migranten auf der Flucht verdursten.

Von 2018 bis 2022 hat sich die Zahl der registrierten toten Migranten, die in der Wüste ums Leben kamen auf 895 vervierfacht. Aktivisten stellen deshalb entlang bekannter Fluchtrouten Wasserflaschen in der Wüste auf. Auch in Kalifornien unter Gouverneur Gavin Newsom, einem Demokraten, haben sich die Menschen längst mit der Mauer arrangiert.

Die NGO „Borderlands Relief Collective“ berichtete jüngst, dass die CBP in der kalifornischen Wüste deponierte Wasserhilfe für Migranten gezielt zerstöre. An hohen Überwachungsmasten sind Kameras installiert, die die Gegend absuchen, und Scheinwerfer, die das Umfeld nachts taghell erleuchten. Betrieben werden sie mit Solarenergie – die Jagd auf illegale Einwanderer ist hier wenigstens klimaneutral. (Tobias Käufer, RND)