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Gewalt zwischen GangsBandenkrieg in Schweden – Weshalb es immer öfter Kinder trifft

Lesezeit 5 Minuten
Die Polizei steht vor einer Kneipe in der schwedischen Kleinstadt Sandviken. Die ungezügelte Bandengewalt in Schweden hat vermutlich ihre nächsten beiden Todesopfer gefordert. Bei Schüssen in einer Kneipe in der Kleinstadt Sandviken etwa 160 Kilometer nordwestlich von Stockholm wurden mehrere Menschen verletzt, mindestens zwei davon erlagen später ihren schweren Verletzungen.

Polizisten stehen vor einer Kneipe in der schwedischen Kleinstadt Sandviken. Bei einer Schießerei waren in der Kleinstadt Sandviken zwei Menschen getötet worden.

Er war erst 13, als man ihm in den Kopf schoss: Milo ist das nächste minderjährige Opfer des außer Kontrolle geratenen Konflikts zwischen schwedischen Gangs. Das skandinavische Land erlebt eine Welle der Gewalt, die zunehmend Kinder, Verwandte und Unbeteiligte mitreißt.

Das Klischee von Schweden geht für gewöhnlich so: Bullerbü, skandinavische Gemütlichkeit, und aus den Wäldern röhrt der Elch. Es hat nur mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Natürlich, die Elche sind noch da und auch die Wälder. Aber da ist etwas, das nicht in jenes Bild passt, das viele von diesem Land haben. Das seit einiger Zeit jedoch fast schon zum Alltag der Schweden gehört: Schießereien, Morde, Banden im Blutrausch.

In den vergangenen Wochen hat der längst außer Kontrolle geratene Konflikt zwischen den kriminellen Gruppen eine neue Eskalationsstufe erreicht. Und immer häufiger geraten Kinder und Jugendliche in die Schusslinie, sprichwörtlich.

Zufällig eine tödliche Kugen abbekommen?

Die Trauer um den toten Milo, gerade einmal 13 Jahre alt, ist noch nicht verklungen, da ist es schon wieder passiert, am späten Donnerstagabend in der Kleinstadt Sandviken. In einer Kneipe fielen mehrere Schüsse, zwei Männer kamen ums Leben, 20 und 70, zwei weitere Menschen wurden verletzt. Der Täter, so berichtet es der schwedische TV-Sender SVT, soll mit einem Quad gekommen sein, ehe er das Feuer eröffnete. Die örtliche Polizei vermutet, dass der Täter es nur auf eines der beiden Opfer abgesehen hatte, der andere habe schlicht im Weg gestanden und als Unbeteiligter eher zufällig eine tödliche Kugel abbekommen.

Es ist die bittere Tragik einer mit brachialer Gewalt ausgetragenen Fehde, die auf Einzelschicksale keine Rücksicht nimmt. Schwedens Banden agieren längst frei von jedweder Hemmung. Vor allem die Hauptstadtregion rund um Stockholm erlebt gerade einen September im Zeichen des Verbrechens. Sieben erschossene Menschen innerhalb von zehn Tagen stellen selbst für schwedische Verhältnisse, wie man sie in jüngerer Zeit leidvoll erleben musste, eine neue Qualität dar. Auf der Internetseite von SVT gibt es mittlerweile, an prominenter Stelle platziert, eine interaktive Karte mit sämtlichen Schießereien der vergangenen Jahre. Und die Zahlen sind schlicht erschreckend: Allein 2023 gab es bereits mehr als 250 Schusswaffendelikte mit 39 Toten und 79 Verletzten.

Schweden hat sich zu Europas Kokaindrehkreuz entwickelt

Vor allem ein Mord hat die Schweden in den letzten Tagen besonders schockiert, der an jenem Jungen namens Milo. Am 8. September war er vermisst gemeldet worden, drei Tage später fand man ihn tot einem Waldstück in Haninge, südlich von Stockholm – hingerichtet mit einem Kopfschuss. Und worüber bislang nur gemutmaßt wurde, das scheint sich nun zu bestätigen: Auch dieser Mord steht im Zusammenhang mit der Bandenkriminalität. „Es gibt Informationen, auf die ich aufgrund der Vertraulichkeit der Ermittlungen nicht näher eingehen kann, die zeigen, dass der Junge der groben und völlig rücksichtslosen Bandengewalt ausgesetzt war“, sagte die mit den Ermittlungen betraute leitende Staatsanwältin Lisa dos Santos am Donnerstag.

Ein Kind, barbarisch erschossen. Und das ist längst kein Einzelfall mehr, immer wieder geraten Minderjährige zwischen die Fronten der konkurrierenden und verfeindeten Banden, ins Kreuzfeuer ihres blutigen Ringens um Marktanteile im Drogengeschäft, dem lukrativsten aller kriminellen Gewerbe in Schweden, das längst einer der wichtigsten europäischen Umschlagplätze für Kokain aus Südamerika ist. In der ersten Jahreshälfte ist allein in der Hafenstadt Helsingborg fast eine Tonne Kokain durch den schwedischen Zoll beschlagnahmt worden. Ein Milliardengeschäft, um das sich Dutzende Gangs mit Tausenden Mitgliedern – bis zu 30.000 sollen es sein – erbarmungslos bekriegen, dabei für ihre Zwecke zunehmend Kinder rekrutieren.

„Aus der Sicht der Kriminellen hat die Anwerbung junger Menschen mehrere Vorteile“, heißt es dazu von den schwedischen Strafverfolgungsbehörden. „Ein Kind wird von der Polizei nicht auf dieselbe Weise kontrolliert wie ein Erwachsener. Ein Kind kann auch nicht für ein Verbrechen verurteilt werden. Ein junger Mensch lässt sich auch leichter beeinflussen und ausnutzen.“ Im Nachbarland Dänemark, wie Schweden unter dem Eindruck brutal wie nie vorgehender Banden, hat man gerade erst ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, das ausdrücklich härtere Strafen für das Anwerben von Kindern vorsieht. In kriminellen Kreisen scheint die Instrumentalisierung Minderjähriger Methode zu werden.

Auch die Regierung von Ministerpräsident Ulf Kristersson, vor knapp einem Jahr mit dem Versprechen angetreten, den schwedischen Banden das Handwerk zu legen, fährt auf dem Papier zwar einen strikteren Kurs, hat nicht zuletzt deswegen auch seine Einwanderungspolitik verschärft, im Endeffekt aber scheint auch sie der Gangkriminalität wenig bis nichts entgegenzusetzen zu haben. Der Gewaltausbruch der letzten Wochen jedenfalls steht in einer traurigen Tradition: 2022 kam es in Schweden zu 390 Schusswaffenvorfällen, 62 Menschen starben. Anfang 2023 gab es im Großraum Stockholm innerhalb von Stunden mehrere Schießereien und Explosionen. Nun kocht die Brutalität, die in der Zwischenzeit nie abgerissen war, also erneut gefährlich hoch.

Im „Foxtrot“-Netzwerk bekriegen sich die Flügel gegenseitig

Viele der jüngsten Taten hängen dabei offenbar mit einem Konflikt innerhalb des sogenannten „Foxtrot“-Netzwerks zusammen. Zwei führende Mitglieder, die sich beide anscheinend in der Türkei versteckt halten, sollen einen blutigen Flügelkampf austragen, der Anfang September nach Schweden überschwappte, eine in Uppsala erschossene Frau sei die Mutter eines der beiden Männer, heißt es. Seitdem folgt Racheaktion auf Racheaktion, immer häufiger trifft es dabei Verwandte, wenn an die Hintermänner kein Herankommen ist.

Der Fall des per Kopfschuss getöteten 13 Jahre alten Milo, davon geht die schwedische Polizei mittlerweile aus, soll mit der „Foxtrot“-Fehde indes nichts zu tun haben. Eine Randnotiz nur, denn Trost liegt darin nicht. Für niemanden. (RND)