Die kleine Interessenvertretung „Freie Bauern“ ist radikaler als der Bauernverband, lehnt das Abladen von Mist auf Schnellstraßen aber auch ab.
Bauern-Vertreter über gefährliche Aktion„Der Mist auf der Bundesstraße war unglücklich“
Reinhard Jung (58), ist Politikreferent der „Freien Bauern“ und Mutterkuhhalter aus Lennewitz in Brandenburg. Die „Freien Bauern“ mit inzwischen 1860 Mitgliedern verstehen sich als unabhängige Interessenvertretung der bäuerlichen Familienbetriebe.
Hinter der bundesweiten Initiative steht eine GmbH, die sich ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen finanziert. Sie lehnen personelle oder finanzielle Verflechtungen zu Politik, Industrie oder Umweltverbänden ab, redeten aber mit allen Parteien einschließlich der AfD. Deren „menschenverachtende Positionen“ lehnen sie aber ab. Im Gegensatz zum Deutschen Bauernverband haben sie die Proteste noch nicht offiziell beendet, setzen jetzt aber mehr auf Gespräche.
Bauern-Vertreter: „Diese Leute haben nicht begriffen, wie man richtig demonstriert“
Herr Jung, die Freien Bauern haben die Demosaison in diesem Winter mit geprägt. In den vergangenen Tagen sind Proteste eskaliert: Landwirte haben im Dunkeln Mist und Äste auf eine Bundesstraße gekippt, es gab mehrere Unfälle mit Verletzten. Was halten Sie von solchen Aktionen?
Diese Leute haben nicht begriffen, wie man richtig demonstriert. Die Bauern haben, unabhängig von Verbänden, eine flächendeckende Wirkung in ganz Deutschland erzielt. Die Sympathien der Bevölkerung waren stärker als je zuvor. Wir wussten, wie groß die Wut der Berufskollegen ist, auch dass man vielleicht aus Ecken Unterstützung bekommen würde, aus denen man nicht unterstützt werden möchte. Deshalb haben die „Freien Bauern“ gleich zu Anfang zu gewaltfreien, gesetzeskonformen Protesten aufgerufen.
Der Mist auf der Bundesstraße war unglücklich, aber daran waren wir nicht beteiligt. Das ist nicht unsere Form des Protests. Es geht nicht, dass man einfach Mist abkippt und liegen lässt. Man kann sich darüber streiten, ob Mist vor einer Parteizentrale, den man nachher wieder wegräumt, ein gutes Signal ist. Ich persönlich sage: Mist gehört auf den Acker.
Ist die Protestsaison jetzt vorbei? Was hat sie gebracht?
Im Gegensatz zum Bauernverband haben wir die Proteste nicht beendet, ganz einfach, weil es bis heute keine greifbaren Ergebnisse gibt. Aber wenn ich rausschaue, sehe ich auch, dass die Sonne höher steht. Sobald das Wasser von den Äckern abgeflossen ist, müssen wir draußen loslegen und haben viel weniger Zeit für Demonstrationen. Das weiß jeder. Trotzdem begrüßen wir, wenn weiter für unsere Ziele demonstriert wird.
Sie wollen aber auch verhandeln. Wer redet denn mit Ihnen?
Wir haben immer wieder die Hand in Richtung Bundesregierung ausgestreckt – irgendwann wird einem der Arm lahm. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir meidet uns konsequent, möglicherweise, weil er weiß, dass wir sehr konkrete Vorstellungen haben und uns nicht verschaukeln lassen. Am 4. April haben wir einen Termin mit der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und hoffen noch, dass sie ihren Minister dazuholt. Die Entscheidungen werden natürlich im Bundeslandwirtschaftsministerium getroffen.
Andere Verbände, die viel kleiner sind als wir, werden dort ständig vorgelassen. Auf Landesebene ist das anders, da sprechen wir regelmäßig mit Ministern, etwa in Niedersachsen oder Brandenburg. Wir hatten auch mal ein gutes Gespräch mit Özdemirs Staatssekretärin Ophelia Nick, allerdings ohne Ergebnisse. Wie gesagt, wir würden gern unsere Forderungen verhandeln, aber zum Verhandeln gehören immer zwei.
„Agrardiesel war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“
Was fordern Sie genau?
Der Agrardiesel war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Über den Inhalt des Fasses wird zu wenig geredet. Vieles wäre leichter, wenn es gelänge, den Preisdruck durch Importe und Monopole zu brechen. Genau da haben wir nach der Bundestagswahl 2021 eigentlich Hoffnungen in die Grünen gesetzt.
Die Grünen wollten die Freihandelsabkommen verhindern, aber dann haben sie CETA zugestimmt – und bei Mercosur fährt Özdemir nach Brasilien und sagt, wenn im Urwald ein Ökostempel draufkommt, kann das ganze Rindfleisch zu uns rüber. Und wenn jemand die Zollfreiheit für ukrainisches Getreide kritisiert, gilt er bei Özdemir fast schon als Putin-Freund. Dann muss er auch die neue polnische Regierung als Putin-Freunde bezeichnen.
Was stört Sie an den Lieferungen, die wegen des russischen Angriffskriegs nicht mehr ausreichend über das Schwarze Meer verschifft werden können?
Wir werden überschwemmt mit Getreide aus einer Oligarchen-Landwirtschaft, produziert mit einem Mindestlohn von umgerechnet 1,50 Euro und Pflanzenschutzmitteln, die bei uns seit Jahrzehnten verboten sind – wie sollen wir da konkurrieren? Dieses Getreide muss verplombt zu den Ostseehäfen gefahren und von dort nach Afrika verschifft werden. Es darf nicht auf den europäischen Markt kommen. Die Getreidepreise in Deutschland sind um ein Drittel gesunken. Und das zieht auch alle anderen Preise runter.
Was kann die Regierung gegen dominierende Konzerne im Agrarsektor tun?
Im Lebensmitteleinzelhandel beherrschen vier Konzerne mehr als 80 Prozent des Marktes. Molkereien, Schlachthöfe, Landhandel sind immer stärker konzentriert. Die Minister Habeck und Buschmann haben Anfang 2023 eine Kartellrechtsreform vorgestellt, die eine Möglichkeit zur Entflechtung vorsieht, um wieder Wettbewerb herzustellen. Das haben wir ausdrücklich begrüßt. Jetzt ist ein Jahr vergangen. Sie hören von dem Projekt nichts mehr.
„Ich persönlich finde Galgen auch blöd“
Wenn es eine neue Protestwelle gibt – was würden Sie anders machen? Müssten sich die „Freien Bauern“ nicht stärker von Galgendarstellungen und extremen Sprüchen distanzieren?
Wir haben auf unseren Demos nach Möglichkeit aufgeräumt. Aber wir wollen unsere Mitglieder nicht bevormunden, nur weil irgendwem bestimmte Darstellungen nicht gefallen. Ich persönlich finde Galgen auch blöd. Nun gibt es Traktoren, da baumelt eine Ampel am Frontlader als Protest. Auf jedem Karnevalsumzug würde so was müde belächelt. Aber jetzt, weil wir Bauern gegen die Bundesregierung protestieren, ist es plötzlich rechtsradikal. Das ist doch lächerlich.
Sie haben den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern zu Ihrem Verbandstag eingeladen. Anthony Lee von „Land schafft Verbindung“, umstrittener Bauern-Youtuber, spricht auf Ihren Bühnen. Beide haben in den vergangenen Wochen davon gesprochen, dass die Regierung einen „Plan“ verfolge, „die Kulturlandschaft rückabzuwickeln“ und „den Bauern Land wegzunehmen, um Wohnungen darauf zu bauen“. Ist das nicht etwas schräg?
Wir sehen keinen Plan, eher mehrere Pläne. Es gibt mächtige Gruppen, die ein Interesse daran haben, Landwirtschaft zu reduzieren. Einmal die Industrie, die will exportieren, das verlangt Zugeständnisse beim Import von Agrarprodukten aus Übersee. Dann das Großkapital, das Geld im Land anlegen will – wenn Höfe aufgegeben werden, werden Flächen frei. Wir beobachten einen verstärkten Einstieg der Investoren, die Bodenpreise zahlen, bei denen ein normaler Landwirt nie mithalten kann.
Und dann gibt es die Gutmenschen, die glauben, wenn wir unsere Landwirtschaft in eine Gänseblümchenwiese mit Streichelzoo verwandeln, würden wir eine bessere Welt schaffen. Da ist ganz viel Nichtwissen und Nichtbereitschaft, sich jenseits von festgefahrenen ideologischen Vorstellungen zu informieren, wie Landwirtschaft funktioniert. Wir müssen uns aber auch an die eigene Nase fassen: Unser Berufsstand hatte in den letzten 30 Jahren keine unabhängige, inhaltlich überzeugende Interessenvertretung. Diese Lücke wollen wir füllen.