AboAbonnieren

„Big-Brother-Angriff“Bürgerrechtler kritisieren geplantes EU-Gesetz zur Chatkontrolle

Lesezeit 4 Minuten
Symbolbild Messenger PA 110522

Apps wie Instagram, Facebook und Whatsapp könnten vom neuen EU-Gesetz betroffen sein.

Brüssel/Köln – Die EU-Kommission will an diesem Mittwoch einen Gesetzesvorschlag im Kampf gegen Darstellungen sexuellen Missbrauchs im Internet vorlegen. Das Vorhaben stößt bei Bürgerrechtlern und Datenschützern jedoch auf scharfe Kritik.

Der Plan der EU-Kommission sei „ein Angriff auf jegliche vertrauliche Kommunikation“, schrieb der Chaos Computer Club (CCC). „Dieser Big Brother-Angriff auf unsere Handys, Privatnachrichten und Fotos mithilfe fehleranfälliger Algorithmen ist ein Riesenschritt in Richtung eines Überwachungsstaates nach chinesischem Vorbild“, erklärte der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei). „Chatkontrolle ist, wie wenn die Post alle Briefe öffnen und scannen würde – ineffektiv und illegal.“

Seit Ende 2020 fehlte in der EU zeitweise rechtliche Grundlage

Hintergrund des EU-Gesetzesvorhabens ist eine Übergangslösung, die im Dezember 2020 ausgelaufen ist. Facebook, Google und Co. haben Privatnachrichten ihrer Nutzer bis zum Dezember 2020 freiwillig nach Missbrauchsdarstellungen gescannt. Dabei suchten sie nach Bildern, die etwa durch frühere Ermittlungen bekannt und mit einer Art digitalem Fingerabdruck, einem sogenannten Hash, versehen worden waren.

Treffer wurden an das US-Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder NCMEC gegeben, wo sie geprüft und gegebenenfalls an die Behörden wie dem Bundeskriminalamt (BKA) geschickt wurden. Ab Ende 2020 fehlte dafür in der EU jedoch zeitweise die rechtliche Grundlage. Hier ging die Zahl der Hinweise dem NCMEC zufolge zunächst um 58 Prozent zurück.

Deshalb einigten sich die EU-Staaten und das Europaparlament vor rund einem Jahr auf eine Übergangslösung, die nach spätestens drei Jahren ausläuft. Seitdem dürfen die Plattformen die Nachrichten ihrer Nutzer wieder auf Hashes scannen. Nun fällt allerdings auch das Aufspüren sogenannter Groomings unter die Regeln, worunter man das Heranmachen von Erwachsenen an Kinder im Netz versteht. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson will nun eine dauerhafte Lösung vorschlagen.

Für die Unternehmen könnte eine Pflicht zum Scannen kommen

Die Details des Vorschlags sind noch unklar. Die Richtung gibt Johansson jedoch schon länger vor. Sie werde ein Gesetz vorschlagen, das „die Unternehmen verpflichtet, den sexuellen Missbrauch von Kindern zu erkennen, zu melden und zu entfernen“, sagte sie im Januar der „Welt am Sonntag“. Fraglich ist unter anderem, ob sich diese Pflicht auf bekannte Darstellungen beschränkt. Auch das Aufspüren von Grooming könnte in irgendeiner Form verbindlich werden. Über die Vorschläge verhandeln dann die EU-Staaten und das Europaparlament.

Bürgerrechtler sind alarmiert. Im März schrieben 47 Organisationen einen Brandbrief an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Innenkommissarin Johansson. Unterzeichnet hat auch der Verein Digitale Gesellschaft, dem Tom Jennissen angehört. Er warnt davor, dass künftig jede etwa über WhatsApp verschickte Nachricht von den Unternehmen gescannt werden könnte. Dies sei ein „ganz massiver und unverhältnismäßiger Eingriff in die Kommunikation“ und widerspreche allen rechtsstaatlichen Grundsätzen, sagt er der dpa. Jennissen befürchtet, dass auf Grundlage eines Generalverdachts sogar in verschlüsselte Kommunikation eingegriffen werden könnte.

Großer Widerstand: „Chatkontrolle wäre anlasslose Massenüberwachung“

Johansson hat dagegen bereits deutlich gemacht, was für sie schwerer wiegt: Natürlich seien Datenschutz und Verschlüsselung wichtig, sagte sie der „Welt am Sonntag“. „Aber der Fokus muss in erster Linie auf dem Schutz der Kinder liegen.“ Anstelle eines Gesetzes, das womöglich gerichtlich gekippt werde, brauche es mehr Prävention und eine bessere Ausstattung der Behörden, fordert dagegen Jennissen.

Auch der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner betont, der Kampf gegen Kinderpornografie dürfe nicht als Vorwand missbraucht werden, „um eine noch nie dagewesene Zerstörung unserer Privatsphäre“ zu rechtfertigen. „Die Chatkontrolle wäre eine anlasslose Massenüberwachung.“ Auch Körner fordert eine bessere Ausstattung der Polizei, der EU-Behörde Europol und mehr Kooperation der EU-Staaten.

Chaos Computer Club: Chatkontrolle setzt zwei Grundrechte außer Kraft

Beim Chaos Computer Club lautet die Kritik ähnlich. „Zweifellos muss den Betroffenen von Kindesmissbrauch besser geholfen werden, die Chatkontrolle ist allerdings ein überbordender Ansatz, leicht zu umgehen und setzt an der völlig falschen Stelle an“, heißt es da. „Mit dem Fernmeldegeheimnis und dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme setzt die Chatkontrolle gleich zwei fundamentale Grundrechte außer Kraft.“ Nicht nur Journalisten und Whistleblower seien auf vertrauenswürdige Kommunikation angewiesen, erklärt der CCC – „sie ist ein Grundrecht“.

Das könnte Sie auch interessieren:

Diese offenbar geplanten Eingriffe in verschlüsselte Nachrichten sieht selbst der Kinderschutzbund kritisch. „Verschlüsselte Kommunikation spielt bei der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen kaum eine Rolle“, sagt Joachim Türk aus dem Bundesvorstand der dpa. „Wir halten deshalb anlasslose Scans von verschlüsselter Kommunikation für unverhältnismäßig und nicht zielführend.“

Wie es nach dem Vorschlag der EU-Kommission weitergeht, dürfte auch von der Bundesregierung abhängen. SPD, Grüne und FDP versprechen im Koalitionsvertrag „ein Recht auf Verschlüsselung“. (mit dpa)