Fast sämtliche Spitzenposten sind jetzt weiblich besetzt, die Zeitungen schreiben von der „Walküren-Regierung“. Blick auf ein Land mit vielen feministischen Rekorden.
Das Walküren-ImperiumIn Island sind jetzt fast ausschließlich Frauen an der Macht
Ginge die Meldung andersherum, wäre das wohl kaum einen Artikel wert. Dass Männer fast alle Spitzenposten besetzen, ist ja immer noch die Normalität in vielen Ländern dieser Welt. Aber wenn selbst die fortschrittliche, feministische Insel im Norden über sich und ihre neue „Walküren-Regierung“ staunt, dann kann frau ja mal hinschauen.
Schon diese Premiere kann Island für sich reklamieren: Die erste demokratisch gewählte Präsidentin der Welt hieß Vigdis Finnbogadóttir. 1980 wurde die geschiedene, alleinerziehende Mutter eines Adoptivkinds die Präsidentin Islands. Die Fragen, die sie im Wahlkampf von Journalisten über sich ergehen lassen musste, verdienen es nicht, hier wiedergegeben zu werden. Gewählt wurde sie trotzdem, auch von ganzen Fischerboot-Besatzungen, die ihr aufmunternde Telegramme schickten. „Männer können das auch“Vier Wahlperioden hintereinander blieb sie Präsidentin, so lange, dass viele isländische Kinder sich danach erst einmal daran gewöhnen mussten, dass es auch einen Präsidenten geben kann.
„Männer können das auch ganz gut“, erklärte Finnbogadóttir ihnen. 90 Prozent aller berufstätigen isländischen Frauen hatten fünf Jahre zuvor, bei einem Generalstreik 1975, die Insel lahmgelegt und gleichen Lohn für gleiche Arbeit gefordert. 48 Jahre später, im Jahr 2023, kamen so gut wie alle Frauen Islands erneut zusammen, um den Streik zu wiederholen. Zwar ist Island laut Gender Gap Report seit mehr als einem Jahrzehnt das weltweit führende Land hinsichtlich der Gleichstellung von Mann und Frau – mehr als 90 Prozent der Lücke zwischen den Geschlechtern sind laut diesem Report geschlossen. Aber das reichte der damaligen Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir noch nicht. Sie streikte mit. „In Island fanden das alle normal. Nur aus dem Ausland haben mich viele Fragen dazu erreicht“, sagte sie im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. 2016 dann ging das Bild einer isländischen Abgeordneten um die Welt, die mit ihrem Baby an der Brust im Parlament in Reykjavik gesprochen hatte.
Unnur Bra Konradsdottir kommentierte ihr Schlagzeilen produzierendes öffentliches Stillen als „die natürlichste Sache der Welt“. Auch hierzu gibt es eine rekordverdächtige Statistik: 90 Prozent der isländischen Frauen zwischen 20 und 64 Jahren sind erwerbstätig. Damit gehört Island zu den Ländern mit den meisten berufstätigen Frauen. In diesem Jahr hat Island wieder einen Rekord aufgestellt: Im August trat Halla Tómasdóttir als neue Präsidentin an, kurz darauf wurde Gudrún Karls Helgudóttir Bischöfin der evangelisch-lutherischen Kirche.
Ende November kam dann bei den vorgezogenen Parlamentswahlen heraus: Die Sozialdemokratin Kristrún Frostadóttir, 36 Jahre alt, wird die jüngste Regierungschefin in der Geschichte Islands. Sie postet derzeit viele Fotos von sich, wo sie von anderen Politikerinnen umringt ist. Was kaum anders geht, weil Frauen sieben der elf Ministerien leiten. So wie auch in der nationalen Polizeibehörde und bei der Staatsanwaltschaft. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk RUV fragt auf seiner Website: „Ist Island ein Frauenland?“ Um dann eine Expertin zu zitieren, dass die vollständige Gleichberechtigung deshalb noch lange nicht erreicht sei.
Eine letzte Statistik: Island ist in diesem Jahr wieder mal auf Platz 3 der glücklichsten Länder der Welt gelandet. Aber das ist vermutlich nur Zufall. (mit RND)