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Der Anti-TrumpEhemaliger US-Präsident Jimmy Carter feiert seinen 100. Geburtstag

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Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter feiert am Dienstag (1.Oktober) seinen 100. Geburtstag.

Jimmy Carter feiert am Dienstag (1.Oktober) seinen 100. Geburtstag. Der ehemalige Präsident der USA ist aufgrund seiner moralischen und bescheidenen Art in der amerikanischen Bevölkerung immer noch extrem beliebt.

In seiner Amtszeit wurde er verlacht, doch seither hat Jimmy Carter mit seiner Bescheidenheit und Menschlichkeit in den USA regelrechten Kultstatus erreicht.

Die Zeitungen drucken große Würdigungen, im Fernsehen wird ein Festkonzert übertragen, und rund um das 700-Seelen-Dorf Plains in Georgia soll es ein 100-Meilen-Radrennen geben. Der Jubilar selber scheint sich freilich aus dem Datum nicht sonderlich viel zu machen: „Er meint, es sei nur ein weiterer Geburtstag“, berichtete sein Sohn Chip vor wenigen Tagen der „Washington Post“: „Aber es sei ihm wichtig, noch seine Stimme für Kamala Harris abzugeben.“

Wenn Jimmy Carter an diesem Dienstag 100 Jahre alt wird, stellt der 39. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nicht nur einen historischen Rekord auf: Keiner seiner Vorgänger oder Nachfolger hat dieses biblische Alter erreicht. Der Demokraten-Politiker setzt auch das Gesetz der Wahrscheinlichkeit außer Kraft.

Mehrfach schon schien in den vergangenen Jahren sein Leben kurz vor dem Ende zu stehen. Im vergangenen November, bei der Beerdigung seiner geliebten Frau Rosalynn, mit der er 77 Jahre verheiratet gewesen war, wirkte er regungslos im Rollstuhl liegend kaum noch anwesend. Eilig wurden die in den Redaktionsschubladen schlummernden Nachrufe aktualisiert. Erneut blieben sie unveröffentlicht.

Jimmy Carter will seine Stimme Kamala Harris geben

Noch bemerkenswerter als die körperliche ist die politische Langlebigkeit des einstmals verlachten Erdnussfarmers, der in den letzten Jahren im liberalen Teil der USA als bescheidener Menschenfreund einen regelrechten Kultstatus erreicht hat. Dabei gilt Carters kurze Präsidentschaft gemeinhin als glücklos. Im November 1980 war der Demokrat nach nur einer Amtsperiode vom republikanischen Herausforderer Ronald Reagan krachend aus dem Weißen Haus vertrieben worden, das er mit großen Hoffnungen erobert hatte.

Der tieffromme Baptist galt als ehrlicher und wohlmeinender Südstaatler, der nach dem von der Watergate-Affäre überschatteten Sumpf der Nixon- und Ford-Jahre eine moralische Wende in Washington einleiten würde.

Tatsächlich begnadigte Carter schon an seinem zweiten Amtstag alle jungen Amerikaner, die sich der Einberufung in den Vietnamkrieg entzogen hatten. Angesichts der Ölkrise propagierte er eine aus heutiger Sicht weitsichtige Energiewende, ließ Solarpanelen auf dem Weißen Haus anbringen, um das Wasser zu erhitzen und rief seine Landsleute demonstrativ im Wollpullover dazu auf, die Heizungen herunterzudrehen.

Carter brachte nach der Watergate-Affäre um Nixon eine moralische Wende nach Washington

Aber mit seinen eher provinziellen Beratern und seinem moralischen Rigorismus eckte der christliche Prediger schnell in Washington an, wo er sich weigerte, „Deals“ mit dem Kongress zu machen und Abgeordnete teilweise verbal beleidigte. Die hohe Arbeitslosigkeit, die Inflation und die katastrophal gescheiterte Befreiungsaktion der Geiseln in der amerikanischen Botschaft in Teheran besiegelten sein politisches Schicksal. Carter, der zwei Jahrzehnte später für seine Vermittlerrolle im Nahen Osten mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden sollte, erschien als Schwächling, den Ronald Reagan in einem TV-Wahlduell mit dem Slogan „There you go again“ der Lächerlichkeit preisgeben konnte.

Damit war Carters Karriere vorbei - und sein Aufstieg begann. Nach seiner Abwahl nahm der Ex-Präsident keinen jener gut bezahlten Berater- oder Vortragsjobs an, mit denen seine Nachfolger Bill Clinton und Barack Obama zweistellige Millionenbeträge verdienten. Stattdessen ging der damals 56-Jährige zurück in seinen ärmlichen Geburtsort Plains im Südwesten von Georgia, um sich um die von seinem Vater geerbte, hoch verschuldete Erdnussfarm zu kümmern. Dort lebt er seither - bis zu deren Tod im vorigen Jahr mit seiner Frau - in einem kleinen Farmhaus, das mit 170.000 Dollar weniger wert sein soll, als die gepanzerten Fahrzeuge des Secret Service, die ihn draußen auf der Straße bewachen.

Zwei Reporter der „Washington Post“, die ihn 2018 besuchten, berichteten von einer anrührenden Routine des Ehepaars: Carters sonntägliche Bibelexegesen in der Maranatha Baptist Church waren legendär. Samstagabends aber trafen sich die Carters regelmäßig mit befreundeten Nachbarn. Zu dem bescheidenen Essen gab es Eiswasser aus Plastikbechern und ein Glas Billig-Chardonnay. Anschließend spazierten der damals 94-Jährige und seine drei Jahre jüngere Frau Hand in Hand über die Straße nachhause.

Carter für Vermittlerrolle im Nahen Osten mit Friedensnobelpreis ausgezeichnet

„Ich hatte nie Ambitionen, reich zu sein“, sagte Carter damals dem Blatt. Der Ex-Präsident lebt von seiner Pension und den Tantiemen aus seinen 33 Büchern, die sich nicht übermäßig verkaufen sollen. Solange er noch reisen konnte, flog er zu Terminen stets mit Linie. Manchmal begrüßte er mit einem freundlichen Lächeln andere Passagiere in der Economy-Klasse. Bei seinen öffentlichen Auftritten sprach er viel über Humanität, Frieden und Moral - und über Gott. Er gründete das Carter Center, das sich weltweit für Menschenrechte einsetzt und engagierte sich bei der Organisation Habitat for Humanity für die Errichtung bezahlbarer Häuser für einkommensschwache Familien.

Der Kontrast zum protzenden Selbstdarsteller Donald Trump könnte nicht größer sein. Tatsächlich wurde Carter als Good Old Southern Gentleman nach der Wahl des narzisstischen Republikaners für das liberale Amerika zu einer leuchtenden Gegengestalt. Reporter aller großen Zeitungen pilgerten zu seinen Bibelstunden. „Waren Sie zu nett als Präsident? Will Amerika lieber einen Idioten?“, fragte ihn 2018 der Late-Night-Talker Stephen Colbert provokativ. „Offensichtlich“, lautete Carters ungeschminkte Antwort.

Kontrast zu Selbstdarsteller Trump könnte nicht größer sein

Während sich Trump bei stundenlangen Kundgebungen im ganzen Land umjubeln ließ, war für Carter der Besuch der jährlichen Erdnuss-Parade in seinem Heimatort Plains der gesellschaftliche Höhepunkt des Jahres. Noch vor zwölf Monaten fuhr er lächelnd mit seiner Frau Rosalynn auf der Rückbank eines schwarzen SUV mit heruntergelassenen Scheiben bei dem Umzug mit. An diesem Wochenende fehlte er bei dem Fest.

Schon seit längerem verschlechtert sich Carters Gesundheitszustand. Vor neun Jahren war bei ihm ein Melanom festgestellt worden, das auf die Leber und das Gehirn ausstrahlte. Nach mehreren Krankenhausaufenthalten ließ er im Februar 2023 die medizinische Behandlung abbrechen. Seither wird er zu Hause nur noch palliativ betreut. „Ich habe Gott nicht darum gebeten, mich am Leben zu lassen“, sagt er und betont, er sei „mit dem Tod ganz und gar im Reinen“.

Nach Angaben von Familienmitgliedern hat Carter „gute und schlechte Tage“. Laufen kann er nicht mehr, und sehr geschwächt soll er sein. Trotzdem hat er den Parteitag der Demokraten noch am Fernsehen verfolgt. Seine Abneigung gegen Trump ist in den Jahren nicht kleiner geworden. „Ich versuche, so lange durchzuhalten, dass ich noch für Kamala Harris stimmen kann“, soll er seinem Sohn Chip gesagt haben. Das hat der Ex-Präsident nun fast geschafft: Im Bundesstaat Georgia werden ab dem 7. Oktober die Briefwahlunterlagen versandt. (rnd)