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Ditib-SpionageTürkischer Geheimdienst bedrängt Verwandte von Spitzel-Opfer aus NRW

Lesezeit 7 Minuten

Blick in eine Ditib-Moschee in Hamburg: Die Religionsbehörde Diyanet hat bestätigt, Spitzel-Imame aus Deutschland abgezogen zu haben.

Köln – Nach langem Zögern stimmen die beiden einem Treffen zu. In einem Café in einer Großstadt im Ruhrgebiet. Wir müssen ihre Namen verändern, das Risiko sei einfach zu groß. Der eine: Yilmaz E., beamteter Lehrer, in Deutschland geboren und längst deutscher Staatsbürger, der durch seine mutigen Äußerungen im „Kölner Stadt-Anzeiger“ erst ans Tageslicht brachte, dass die Spitzelaffäre durch Prediger der Türkisch Islamischen Union (Ditib) weitaus größere Ausmaße angenommen hat, als er sich jemals hatte vorstellen können.

Inzwischen hat er Kontakt zu einem zweiten Opfer aufgenommen, ebenfalls Lehrer an einer allgemeinbildenden Schule – seit 20 Jahren. Beide lehren unter anderem islamischen Religionsunterricht. Und beide wurden diffamiert und denunziert, Anhänger der Gülen-Bewegung zu sein, die der türkische Staatspräsident Recep Erdogan für den Putschversuch in der Nacht zum 16. Juli 2016 verantwortlich macht und die von den türkischen Behörden als Terrororganisation eingestuft wird. Die Dossiers wurden an die türkische Religionsbehörde Diyanet nach Ankara übermittelt. Dabei ist es nicht geblieben.

Mindestens 28 Personen bespitzelt

Was die beiden Lehrer berichten, könnte einem drittklassigen Spionage-Roman entstammen. Doch es sind Fakten, unwiderlegbare Fakten. Als seien die Bespitzelungen von mindestens 28 Personen – darunter fünf Lehrer – und elf Institutionen durch Ditib-Prediger in Nordrhein-Westfalen nicht schon Skandal genug. Er habe einen Anruf von einem „entfernten Verwandten“ erhalten, der ebenfalls im Ruhrgebiet lebt, berichtet Yilmaz E. Türkische Geheimdienstler seien ihm in der Türkei auf den Fersen.

„Sie sind zunächst in dem Dorf aufgelaufen, in dem mein Vater gelebt hat, bevor er in die Nähe von Istanbul gezogen und schließlich nach Deutschland ausgewandert ist.“ Der Geheimdienst habe viele Fragen gestellt: „Ob ich in dem Dorf lebe, ob ich manchmal dorthin komme, was ich da mache und was man generell über mich weiß.“ Der Dorfvorsteher habe wahrheitsgemäß geantwortet, „dass meine Familie aus diesem Ort stammt, ich dort aber nie gewesen bin und heute zu diesem Dorf gar keinen Kontakt mehr habe. Irgendein entfernter Onkel lebt wohl noch dort, aber mehr weiß ich nicht.“

Verwandte in der Türkei bedrängt

Der Geheimdienst habe sich damit aber nicht zufrieden gegeben. Auch ein Cousin von Yilmaz E., der im Westen der Türkei lebt, bekommt gleich mehrfach Besuch. „Wir haben per Video-Messenger miteinander telefoniert. Er wollte nicht offen sprechen. Ich konnte seine Angst regelrecht spüren. Er sagte lediglich, wenn ich in der nächsten Zeit plane, in die Türkei zu kommen, solle ich das schnell verwerfen, da die Justiz und die Sicherheitsdienste immer wieder nach mir fragen.“ Yilmaz E. ist sicher: Diese Besuche bei seinen Verwandten müssen etwas mit der Spionage-Liste zu tun haben, auf die er geraten ist. „Ich habe nie etwas mit dem türkischen Staat zu tun gehabt. Meinen Cousin habe ich zuletzt vor vielleicht neun Jahren gesehen. Und das auch nur für ein paar Stunden.“

Der Kollege von Yilmaz E. hat Angst, sein Schweigen zu brechen. Er fürchtet Konsequenzen für den Unterricht an seiner Schule. Sobald öffentlich werde, dass er ebenfalls auf einer der Spitzellisten stehe und man ihm damit unterstellt, Anhänger einer terroristischen Vereinigung zu sein, könnte das zum Boykott seines Unterrichts führen und letztlich seinen Job gefährden. Schließlich gebe es unter den Eltern viele Erdogan-Anhänger. Da könne jedes Gerücht böse Folgen haben. Deshalb kann es in seinem Fall nur bei Andeutungen bleiben. Es würde ihn nicht wundern, wenn auch seine Freunde und Verwandte in der Türkei demnächst vom Geheimdienst aufgesucht würden.

Keine Einzelfälle

Er sei vor allem zu dem Treffen mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gekommen, um zu dokumentieren, dass es sich bei der Spionage eben nicht um Einzelfälle handele, sondern ein System dahinterstecke. „Wir kennen die drei anderen Lehrer aus NRW, die ebenfalls Opfer von Spitzeln und vom Ministerium gewarnt wurden, leider nicht“, sagt Yilmaz E. „Aber warum sollte es ihnen anders ergehen?“

Für ihn ist es nicht unwahrscheinlich, dass neben den Ditib-Predigern auch andere Institutionen zu Spitzeldiensten angehalten wurden. „Ich habe keinerlei Kontakt zu Imamen und vermute daher, dass gerade die Lehrer an deutschen Schulen über andere Kanäle beobachtet werden.“

Wusste die Bundesregierung vom Abzug der Ditib-Imame?

Zwei Lehrer aus NRW, ein Beamter und ein Angestellter, auch wenn das eigentlich nichts zur Sache tut, fühlen sich von ihrem Dienstherrn im Stich gelassen. „Ich verstehe das Schulministerium nicht“, sagt Yilmaz E. „Es handelt sich um eine Straftat, die müssten doch etwas unternehmen, um an die Namen der Spitzel zu gelangen und uns zu schützen.“ Beiden Lehrern blieb bisher nichts anderes übrig, als Strafanzeige gegen unbekannt zu stellen. „Mehr konnten wir nicht tun.“ Die jüngsten Erklärungen der Ditib zur Spitzel-Affäre können beide nicht nachvollziehen. „Wenn es sich, wie von der Diyanet immer wieder behauptet wird, tatsächlich um ein Versehen handelt und das Schreiben mit den Spionage-Aufforderungen gar nicht nach Deutschland gehen sollte, warum begibt sich der Geheimdienst in der Türkei jetzt auf Spurensuche und versucht, alle möglichen Dinge über mich zu erfahren?“

Yilmaz E. kann angesichts der neuen Bedrohungen den Kurs des Schulministeriums gegenüber Ditib nicht nachvollziehen. Lediglich von „Unruhe“ zu sprechen und die Ditib aufzufordern, ihren Sitz im Beirat ruhen zu lassen, um den islamischen Religionsunterricht in den Schulen nicht zu belasten, sei zu wenig. Die Landesregierung müsse die Spitzelaffäre als „Chance für einen Neuanfang“ nutzen. „Wollen wir einen Islam, der im Ausland beheimatet ist oder sich an Deutschland orientiert? Die Ditib ist derzeit eindeutig am türkischen Staat orientiert.“

Imam-Abzug auf Wunsch der Bundesregierung?

Auf die Forderung der grünen Schulministerin Sylvia Löhrmann ist die Ditib in ihrer Erklärung vom Freitag zur aus ihrer Sicht beendeten Spionage-Affäre mit keinem Wort eingegangen. Es sei enttäuschend, dass „ohne eine Untersuchung der Ditib-Beteiligung immer wieder eine (vor)verurteilende Haltung eingenommen wird und Beziehungen in sehr vielen Bereichen eingefroren werden“. Man erachte die Religionsdienste der Imame, „die von der Diyanet entsandt werden, als einen Garant gegen den Radikalismus“. Es sei „ein deutlicher Verdienst dieser Arbeit, dass extreme Salafisten und radikal Gesinnte keinen Platz in den Ditib-Gemeinden finden“.

Für den grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck ist vorstellbar, dass der Abzug der Ditib-Imame aus Deutschland mit Wissen der Bundesregierung erfolgt ist. „Stimmt die Behauptung, dass die Imame auf Wunsch der Bundesregierung durch Geheimdiplomatie zurückbeordert worden sind und die Bundesregierung hieran beteiligt war oder davon gewusst hat?“, fragt er. Yilmaz E. hält das nicht für ausgeschlossen, schließlich gehe es auch darum, die Beziehungen zur Türkei wegen der Flüchtlingspolitik nicht weiter zu verschlechtern.

Volker Beck: Diyanet will Spionage vertuschen

Die türkische Religionsbehörde Diyanet hat nach eigenen Angaben ihre Untersuchungen in der Spitzelaffäre abgeschlossen und erklärt sie für beendet. In einer Erklärung heißt es wörtlich, das Präsidium habe festgestellt, „dass einige Religionsbeauftragte in Bezug auf ein eigentlich die europäischen Länder nicht betreffendes Schreiben ihre Verantwortungen überschritten haben. Um einer negativen Wahrnehmung des Präsidiums und der Religionsbeauftragten in der deutschen Öffentlichkeit vorzubeugen und um die seit vierzig Jahren bestehenden und auf Basis von Vertrauen und Aufrichtigkeit fortdauernden Beziehungen nicht zu schädigen, wurde die Amtsdauer dieser Religionsbeauftragten in Deutschland vorzeitig beendet.“

Volker Beck, religionspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, fordert Ditib und Diyanet auf, den Generalbundesanwalt bei seinen Ermittlungen zu unterstützen. Die Ditib müsse „ihr Wissen und Unterlagen der Generalbundesanwalt gegenüber offenlegen, die Namen von Tatverdächtigen nennen und verdächtige Religionsbeauftragte und Imame auffordern, sich den deutschen Behörden zu stellen“. Das Gegenteil sei jedoch der Fall. Die Diyanet habe „Verantwortliche für die Spionage zurückbeordert, um Strafverfolgung zu verhindern und die Spionage zu vertuschen“. Ein „Offenbarungseid“ sei die Feststellung der Ditib, sie sei nicht der „Dienstherr der Imame. Die Religionsdienste werden satzungsgemäß über die Erfahrungen der Diyanet sichergestellt.“ Damit sei zumindest eins völlig klar: „Im Zweifel entscheidet alles Ankara“, so Volker Beck.