Schlussplädoyers in New YorkProzess gegen Trump – Showdown für Amerikas größten Showman

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Der ehemalige US-Präsident Donald Trump (l.) neben seinem Anwalt Todd Blanche

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump (l.) neben seinem Anwalt Todd Blanche

Nach fünf Wochen nähert sich der Schweigegeld­prozess gegen Trump seinem Ende. Der Ex-Präsident lenkt derweil mit allen Mitteln von dem Verfahren ab.

Zumindest räumlich kommt er seinem Ziel an diesem Abend schon ziemlich nahe. Das Washington Hilton, ein halbrunder Betonklotz mit riesigem Ballsaal, dient seit einem halben Jahrhundert als Veranstaltungs­ort für politische Großereignisse in der US-Hauptstadt. Während seiner ersten Präsidentschaft hat Donald Trump hier öfter gesprochen: Mit jaulender Polizei­eskorte vom Weißen Haus die Connecticut Avenue hinauf – das dauerte keine fünf Minuten.

Nun aber wohnt Joe Biden in der Präsidenten­residenz. Also muss Trump an diesem Samstag etwas weiter aus New York anreisen, wo er seit fünf Wochen wegen des Schweigegeld­prozesses festsitzt. Umso gieriger nutzt er am Wochenende die Gelegenheit zu öffentlichen Auftritten – und sei es, wie heute, auf dem Parteitag der notorisch anarchischen Libertären Partei.

Donald Trump: Stimmenwerbung mit der Opfer-Rolle

Trump, wie üblich im dunkelblauen Anzug mit roter Krawatte, versucht es mit seiner anderswo sehr erfolgreichen Masche – der Opfer-Rolle. „Ich bin im vergangenen Jahr von der Regierung in 94 Punkten angeklagt worden“, leitet er seinen Auftritt im Columbia Ballroom ein: „Wenn ich vorher kein Libertärer war, bin es es sicher jetzt.“ Eindringlich wirbt er um die Stimmen, die ihn im November zurück ins Weiße Haus bringen sollen. Doch bei den Delegierten, einer wilden Mischung aus extremen Individualisten, Staats­verächtern, Impfgegnern und Anhängern eines ungezügelten Turbo­kapitalismus, kommt die Anbiederung gar nicht gut an. „Heuchler“, skandieren sie. Viele buhen. Nach nur 34 Minuten verlässt Trump die Bühne.

Der Versuch der Ablenkungs von dem bevorstehenden Showdown vor dem Kriminal­gericht im Süden Manhattans missglückt: An diesem Dienstag werden Anklage und Verteidigung im Fall „The People of the State of New York against Donald J. Trump“ dort ihre Abschlussplädoyers vortragen. Es ist ein historischer Moment: Der erste Strafprozess der Geschichte gegen einen ehemaligen US-Präsidenten geht zu Ende. Theoretisch könnte der republikanische Präsidentschafts­kandidat zu vier Jahren Haft verurteilt werden. Wohlgemerkt: theoretisch.­­­

Eine verhängnisvolle Affäre

In dem Fall, der in New York verhandelt wird, geht es um Sex, Lügen und Betrug. Er spielt im Vorfeld der Präsidentschafts­wahl 2016, die den damaligen Immobilien­mogul und Reality-TV-Star auf den mächtigsten Posten der Welt befördern sollte. Seine Prahlereien, dass er jeder Frau an die Genitalien fassen könne, hatten gerade medial für mächtig Wirbel gesorgt, als eine Porno­darstellerin namens Stormy Daniels einer Klatsch­postille die Geschichte ihres One-Night-Stands mit Trump im Sommer 2006 anbot. Pikant war Trumps außereheliches Schäfer­stündchen ein Jahr nach der Hochzeit mit seiner dritten Frau Melania vor allem, weil damals gerade ihr Sohn Barron zur Welt gekommen war.

Trumps damaliger Anwalt Michael Cohen, der als „Fixer“ und „Mann fürs Grobe“ im Imperium des Immobilien­moguls fungierte, nahm eilig Kontakt zu Stormy Daniels auf und zahlte ihr 130.000 Dollar. Im Gegenzug musste sich die Porno­darstellerin zum Schweigen verpflichten. Seine Auslage erhielt Cohen später in elf Schecks von Trump erstattet. In den Geschäfts­unterlagen des Milliardärs wurde das als Rechtsanwalts­kosten verbucht.

Donald Trump hetzt gegen das Gericht

So weit die nüchternen Fakten, die während der vergangenen 20 Verhandlungs­tage im Gerichtssaal 1530 des New Yorker Kriminal­gerichts zutage befördert wurden. Insgesamt zwei Dutzend Zeugen kamen zu Wort. Trump selbst wütete in den Verhandlungs­pausen regelmäßig draußen hinter einem Gitter über den „korrupten“ Staatsanwalt, den „voreingenommenen“ Richter und den „Tyrannen“ Joe Biden, der dieses angebliche Komplott steuere. Auf der Anklagebank sagte er kein einziges Wort. Bisweilen, so berichten Anwesende, seien ihm die Augenlider zugefallen.

Nur ganz wenige Reporter haben Zugang zum Gerichtssaal. Fernseh- und Tonaufnahmen sind nicht erlaubt. Die meisten Bericht­erstatter verfolgen das Geschehen daher auf dem Bildschirm in einem Nachbarraum. Derweil sind draußen auf der Centre Street unzählige Kameras aller großen Fernseh­stationen aufgebaut. Bei Wind und Wetter kommentieren prominente Moderatorinnen und Moderatoren jede noch so kleine Wendung des Verfahrens.

Mal Seifenoper, mal Mafia-Thriller

Drinnen dürften sich die zwölf Geschworenen in den vergangenen Wochen mal in einer Seifenoper, mal in einem Schmuddelkino, mal in einem Mafia-Film und dann wieder in einem Polit-Thriller gewähnt haben. Eine ehemalige PR-Beraterin von Trump brach in Tränen aus. Ein mit dem Milliardär befreundeter Klatschblatt­verleger enthüllte die verleumderischen Praktiken der Regenbogen­presse. Stormy Daniels berichtete detailreich vom Seidenpyjama des Angeklagten und dem Sex ohne Kondom in einem Hotelzimmer am Lake Tahoe. Michael Cohen erläuterte, wie Trump unliebsame Veröffentlichungen unterband und selbst Online­umfragen zu seinen Gunsten verfälschen ließ. Auch die Schweigegeld­zahlung habe er in Auftrag gegeben: „Er sagte zu mir: Mach es einfach!“

Einmal ließ der Richter den Saal räumen, nachdem ihn ein Zeuge der Verteidigung angepöbelt hatte. Trump genoss derweil, dass sich hinten im Saal prominente Republikaner in der inoffiziellen Uniform ihres Parteipaten (blauer Anzug mit roter Krawatte) zu einer stummen Solidaritäts­bekundung einfanden.

Weder der Seitensprung noch das Schweigegeld sind strafbar

An Spektakel hat es also nicht gemangelt. Bei ihren Schluss­plädoyers müssen Staatsanwaltschaft wie Verteidigung nun versuchen, aus den Puzzle­steinchen ein Gesamtbild zusammenzusetzen und die Jury von ihrer Sicht zu überzeugen. Stolze 4500 Seiten umfasst das Protokoll. Doch vieles, was zuletzt vorgetragen wurde, spielt für das Urteil keine Rolle. Weder der Seitensprung noch die Schweigegeld­zahlung sind strafbar. Rechtlich relevant ist allein die Frage, ob Trump die Ausgabe in den Geschäfts­unterlagen bewusst falsch deklarierte und damit ein anderes Verbrechen vertuschen wollte. Das „andere Verbrechen“ könnte ein Verstoß gegen die Gesetze zur Kampagnen­finanzierung sein, wenn Trump so seine Wahlchancen erhöhen wollte.

Das juristische Konstrukt ist diffizil. Entsprechend gehen die Einschätzungen von Experten auseinander. Allzu wacklig sei die Argumentation der Anklage, der ganze Fall ein „Ärgernis“, schreckte der Bostoner Juraprofessor Jed Shygerman vor einem Monat mit einem Gastbeitrag die Leser der „New York Times“ auf. Doch Prozess­beobachter wie Harry Litman, der selbst im Verhandlungs­saal saß, sehen das anders: „Die Staatsanwaltschaft hat gezeigt, dass es einen wirklichen Plan gab, unangenehme Geschichten zu unterdrücken, und Trump davon gewusst haben muss“, sagte der Juraprofessor, der an den Elite­hochschulen Princeton und Georgetown lehrt, dem Sender NPR: „Das ist ein starkes Narrativ.“ Trumps Verteidigung hingegen habe es versäumt, eine glaubhafte Gegen­erzählung für die Jury zu entwickeln.

So dürften sich die Anwälte des Ex-Präsidenten bei ihrem Plädoyer vor allem darauf konzentrieren, die Glaubwürdigkeit des Haupt­belastungs­zeugen Cohen zu untergraben. Der 57-Jährige ist tatsächlich eine schillernde Figur. Zwölf Jahre hat er für Trump die Drecksarbeit erledigt. Er hat Behörden belogen und saß wegen Verstoßes gegen die Kampagnen­finanzierungs­regeln und Steuerbetrugs im Gefängnis. Aus der einstigen blinden Verehrung für Trump sind bei ihm tiefe Verletzungen und Rachegefühle erwachsen. Offen gestand er ein, Trump um 30.000 Dollar bestohlen zu haben, nachdem dieser seinen Bonus gekürzt hatte.

Ein idealer Zeuge sieht anders aus. Andererseits belegen ein von Cohen heimlich mitgeschnittenes Telefonat und die Aussage eines Verlegers, dass Trump detailliert über Schweigegeld­zahlungen und andere Maßnahmen zur systematischen Unterdrückung unangenehmer Nachrichten im Bilde war. Zudem ist es schlicht unvorstellbar, dass ein Mann wie Cohen aus der eigener Tasche 130.000 Dollar an eine Porno­darstellerin zahlt, bloß weil diese behauptet, zehn Jahre zuvor eine Affäre mit seinem Chef gehabt zu haben.

Doch reicht das für eine Verurteilung? Darüber müssen nach den Schluss­plädoyers die zwölf Geschworenen entscheiden. Das kann Stunden, Tage oder Wochen dauern. Ein Freispruch des Ex-Präsidenten gilt als ausgeschlossen. Doch für einen Schuldspruch müssen sich alle fünf Frauen und sieben Männer einig sein. Wenn nur einer der Laienrichter Zweifel hat, ist das Verfahren geplatzt. Ausschließen möchte diese Möglichkeit kein gewissenhafter Prozess­beobachter.

Ohnehin dürften manche Erwartungen von Trump-Gegnern enttäuscht werden. Bei Eröffnung der Anklage vor einem Jahr hatten Demonstranten in New York Plakate hochgehalten, die Trump in Sträflingskluft hinter Gittern zeigten. Daraus wird so schnell nichts werden: Selbst bei einer Verurteilung könnte es noch Wochen oder Monate dauern, bis das Strafmaß verkündet wird. Dagegen dürfte Trump in die Berufung gehen. Dadurch vergehen weitere Monate. Vor der Wahl am 5. November wird das Urteil daher kaum vollstreckt.

Ein Scheitern wäre ein Triumph für Trump

Mutmaßlich bedeutsamer ist die Frage nach den politischen Auswirkungen des Verfahrens. Sollte der Prozess scheitern, würde Trump dies sicher als Triumph werten. Was aber, wenn er tatsächlich verurteilt wird: Würde ihm der Schuldspruch bei der Wahl schaden? Aktuelle Umfragen nähren daran zumindest Zweifel. Trotz der täglichen Berichte aus dem Gericht über seine Affäre und seine mafiösen Geschäfts­praktiken liegt er bei den Beliebtheits­werten vor dem Amtsinhaber Joe Biden und führt in fünf von sechs wahl­entscheidenden Swing States. Derweil wirbt der 77-Jährige in der Rolle des politischen Märtyrers kräftig Spenden ein.

Es wirkt, als schaffe der einstige Reality-TV-Star einmal mehr erfolgreich seine eigene Welt. Nach dem missglückten Auftritt vor den Libertären flog Trump am Sonntag weiter zum Coca-Cola-Autorennen in Charlotte. Demonstrativ ließ er seine blau-rote Boeing 757 („Trump Force One“) eine Schleife über die Rennstrecke ziehen. Dann posierte er wie ein Sieger grinsend vor den Boxen für Fotos. Mit 16 Posts flutete er seine Propaganda­plattform Truth Social. Es schien ein großartiger Tag zu sein.

Tatsächlich zog über der Rennstrecke ein schweres Gewitter auf. Am Abend musste der Wettbewerb im strömenden Regen nach 249 von 400 Runden abgebrochen werden. Doch da war Trump schon längst weitergeflogen.

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