Union und SPD stellen ihren Koalitionsvertrag unter Finanzierungsvorbehalt. Auch die Senkung der Einkommensteuer, sagt der wohl künftige Kanzler. Viel Streit dürfte damit nur aufgeschoben sein.
Schwarz-rote KoalitionWeniger Steuern, mehr Mindestlohn? Für Merz „nicht fix“

Die Pläne von Union und SPD zur Einkommensteuer sind im Koalitionsvertrag noch vage. (Archivbild)
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Die Einkommensteuer soll runter, der Mindestlohn hoch, die Mütterrente ausgeweitet werden – doch nur Tage nach Vorstellung ihres Koalitionsvertrags zeigen CDU, CSU und SPD, dass das letzte Wort bei vielem noch nicht gesprochen ist. Welche Vorhaben kommen überhaupt – wenn doch alles unter dem Vorbehalt steht, dass man es sich leisten kann? Schon jetzt zeichnet sich Streit in einer noch nicht einmal vereidigten schwarz-roten Bundesregierung ab.
„Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt“, so steht es in Zeile 1627 der Vereinbarung von Union und SPD. Das kann auch als Zeichen verstanden werden, dass sich die Verhandler nicht einigen konnten, wo gespart werden soll – und welche Maßnahmen in einer neuen Regierung Priorität bekommen.
Merz: Steuersenkung, „wenn es der Haushalt hergibt“
Beispiel Einkommensteuer: „Wir werden die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur senken“, steht im Koalitionsvertrag. Für den mutmaßlich neuen Bundeskanzler Friedrich Merz eine Vereinbarung unter Vorbehalt. „Nein, die ist nicht fix“, sagte der CDU-Chef der „Bild am Sonntag“. „Die Einkommensteuer, die wollen wir senken, wenn es der öffentliche Haushalt hergibt.“
Beim Thema Steuern liegen Union und SPD so weit auseinander wie bei kaum einem anderen. CDU und CSU wollen Steuern für alle senken, für Unternehmen, für Bürger mit kleinen, aber auch mit höheren Einkommen. Die SPD will umverteilen: Steuersenkungen für Gering- und Normalverdiener, dafür Mehrbelastungen für Vermögende und Erben hoher Summen.
Dicke Luft in Verhandlungen
Das führte die Koalitionsverhandlungen bis an einen Kipppunkt. Am Montag vor der Einigung habe es eine „kritische Phase“ gegeben, berichtete Merz im „Handelsblatt“. Die SPD forderte erneut Steuererhöhungen, der CDU-Chef erteilte eine klare Absage. „Einen Koalitionsvertrag mit Steuererhöhungen, den könnt ihr machen. Aber meine Unterschrift wird er dann nicht bekommen“, habe er gesagt, berichtete Merz. Am Ende habe man sich „vernünftig geeinigt“.
Das bedeutet: Ob die Steuern tatsächlich gesenkt werden, muss zu einem späteren Zeitpunkt ausgefochten werden. „CDU/CSU wissen aber, wie wichtig uns dieser Punkt ist“, betonte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch in den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Kommt die Steuersenkung nicht, könnten Bürger am Ende der Regierungszeit sogar weniger Netto in der Tasche haben, weil die Sozialbeträge steigen. Diese Befürchtung sei „aus heutiger Sicht sicherlich nicht unberechtigt“, räumte Merz in der „Bild am Sonntag“ ein.
Spardruck trotz Milliardenschulden
Warum muss eine neue Bundesregierung überhaupt sparen, wenn man sich doch gerade erst die Möglichkeit für Milliardenschulden geschaffen hat? Mit der Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und einem 500 Milliarden Euro großen Sondertopf für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz haben Union und SPD schon vor der Kanzlerwahl ein historisches Finanzpaket geschnürt.
Das bedeute aber nicht, dass „Geld für alles“ da sei, betonte Unionsfraktionsvize Jens Spahn. „Wir müssen noch sehr, sehr stark konsolidieren. Und wir müssen uns auch die Freiräume erarbeiten für die Reformen, die wir vorhaben“, sagte der CDU-Politiker der „Bild“-Zeitung.
Das liegt zum einen daran, dass der Sondertopf nur für zusätzliche Vorhaben genutzt werden darf, die über die üblichen Investitionen im Haushalt hinausgehen. Aber auch daran, dass das Loch im Bundeshaushalt schlichtweg enorm ist. Gerechnet über die ganze Legislatur bis 2029 dürfte man auf einen dreistelligen Milliardenbetrag kommen.
Der Unterschied von „werden“ und „wollen“
Deshalb habe man „sehr intensiv, auch nicht nur harmonisch“ über Sparbeiträge verhandelt, hatte SPD-Chef Lars Klingbeil schon bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags berichtet. Viel könne man schon an den Formulierungen ablesen: Nur selten sei versprochen „wir werden“. „Und bei einigen steht „wir wollen“, und das heißt, wir nehmen es uns vor, aber ob es finanziert werden kann, das muss am Ende geprüft werden.“
Wie unsicher selbst diese Interpretation ist, zeigt das Beispiel Einkommensteuer: „Wir werden“ steht da in Zeile 1442 des Vertrags – und trotzdem stellt Merz das Vorhaben nun unter Vorbehalt.
Grünen-Chef Felix Banaszak wirft den wahrscheinlichen künftigen Regierungspartnern deshalb Planlosigkeit vor. „Man muss sich ernsthaft fragen, was diese Vereinbarung eigentlich wert ist, wenn sie jeder schon für sich selbst interpretiert, bevor sie überhaupt beschlossen ist“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Woher sollen die Bürgerinnen und Bürger eigentlich noch wissen, wofür die neue Regierung steht?“
Abschreibungs-Erleichterungen sollen sicher kommen
Sicher kommen sollen die geplanten Maßnahmen zur steuerlichen Entlastung von Unternehmen. „Diese Abschreibungen sind gar nicht so teuer. Sie ermöglichen Investitionen, und darüber sind wir uns Gott sei Dank mit der SPD einig“, hatte Merz schon Mitte der Woche im ARD-„Brennpunkt“ versichert.
Auch Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) sieht nicht alles gleichermaßen unter dem Finanzierungsvorbehalt. Es gebe eine klare Priorität für mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, betonte er.
Vetomacht Finanzministerium
Der Finanzierungsvorbehalt im Koalitionsvertrag gibt vor allem einem Ressort viel Gestaltungsmacht: dem Finanzministerium, das in der neuen Regierung von der SPD geführt wird. Ein neuer Finanzminister oder eine neue Finanzministerin wird eine Art Vetorecht haben und damit die Möglichkeit, Vorhaben einzelner Koalitionäre deutlich zu erschweren.
Wer das Ministerium übernimmt, steht noch nicht fest. Als wahrscheinliche Option gilt Klingbeil, der damit mächtiger Vizekanzler werden könnte.
Letzte Instanz in Streitfällen wird allerdings weiter der Koalitionsausschuss mit Spitzenpolitikern aller drei Partner sein. Monatlich wolle man tagen, haben CDU, CSU und SPD festgelegt.
Merz bremst beim Mindestlohn
Und auch hier ist ein Streitpunkt schon absehbar: der Mindestlohn. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Höhe weiterhin von der Mindestlohnkommission festgelegt wird. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar“, heißt es.
Merz sagte in der „Bild am Sonntag“, möglicherweise komme man auch erst 2027 auf diesen Betrag. Die SPD gibt 2026 als Ziel aus. Und auch manche in der Union. „Ab 2026 muss der gesetzliche Mindestlohn von der Mindestlohnkommission auf 60 Prozent des Medianeinkommens angehoben werden“, forderte der CDU-Sozialflügel CDA. Die CDU dürfe soziale Fragen nicht der SPD überlassen, betonte der Vize-Bundesvorsitzende der Arbeitnehmervereinigung, Christian Bäumler. (dpa)