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Münchner SicherheitskonferenzTrumps Vize warnt vor „Brandmauern“ in Europa

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Mit seiner Rede überraschte US-Vizepräsident Vance sein überwiegend europäisches Publikum im Hotel Bayerischer Hof bei der Sicherheitskonferenz.

Mit seiner Rede überraschte US-Vizepräsident Vance sein überwiegend europäisches Publikum im Hotel Bayerischer Hof bei der Sicherheitskonferenz.

Es ist eine beispiellose Attacke auf die europäischen Verbündeten: Trumps Vize wirft ihnen die Gefährdung der Demokratie vor - und verwendet einen für den deutschen Wahlkampf zentralen Begriff.

US-Vizepräsident J.D. Vance hat die europäischen Verbündeten auf der Münchner Sicherheitskonferenz ungewöhnlich scharf vor einer Gefährdung der Demokratie gewarnt. Er nahm dabei indirekt Bezug auf die deutsche Debatte über eine Abgrenzung von der AfD: „Es gibt keinen Platz für Brandmauern“, sagte er. „Die Demokratie beruht auf dem heiligen Grundsatz, dass die Stimme des Volkes zählt.“ Entweder man halte dieses Prinzip aufrecht oder nicht. „Wir sollten keine Angst vor unseren Bürgern haben, selbst wenn sie Ansichten äußern, die nicht mit ihrer Führung übereinstimmen.“

Vance begegnet Vorwürfen der Europäer mit Gegenattacke

Mit seiner Rede überraschte Vance sein überwiegend europäisches Publikum im Hotel Bayerischer Hof. Es war erwartet worden, dass er auf die drängenden sicherheitspolitischen Fragen - von den Bemühungen um Frieden in der Ukraine bis zur Lastenteilung bei den Verteidigungsausgaben - eingehen würde. Die Sicherheitspolitik sparte er sich aber praktisch komplett und widmete sich stattdessen dem Thema Demokratie. 

Dabei begegnete er Vorwürfen der Europäer mit einer denkwürdigen Gegenattacke. Die neue US-Regierung von Präsident Donald Trump trifft wegen ihres Umgangs mit Rechtsstaat und Demokratie bei den meisten Regierungen in der EU auf massive Vorbehalte. Nach seiner Wahlniederlage 2020 hatte der Milliardär den Wahlausgang nicht anerkannt und seine Anhänger zu einer Attacke auf das Parlament angestachelt, um das Wahlergebnis zu kippen. Trump ist es auch, der nun in seiner zweiten Amtszeit in schwindelerregendem Tempo und Ausmaß die Grenzen des Verfassungssystems austestet.

Der Präsident krempelt den Staatsapparat komplett um, entlässt in großem Stil Bundesangestellte, die nicht bedingungslos auf seiner Linie sind, stoppt ohne Zustimmung des Kongresses finanzielle Programme der USA im In- und Ausland, verweigert missliebigen Journalisten den Zugang zu Terminen und schränkt so die Pressefreiheit ein. 

„In Washington ist ein neuer Sheriff in der Stadt“

Vance versuchte in seiner Münchner Rede den Spieß umzudrehen. Er warf europäischen Verbündeten vor, Meinungsäußerungen als Desinformation zu verfolgen. Sicherlich sei ein Aufbau der Verteidigungsfähigkeit wichtig, sagte er. Aber er sei nicht in erster Linie besorgt wegen äußerer Akteure. „Ich bin wegen der Gefahr von innen besorgt, dass sich Europa von einigen der grundlegenden Werte zurückziehen könnte, von Werten, die mit den USA geteilt werden“, sagte er: Und: „Wir müssen mehr tun, als über demokratische Werte zu reden, wir müssen sie leben.“

Die Zuwanderung sieht Vance als drängendstes Problem für Europa und die Vereinigten Staaten. Er verwies auf den mutmaßlichen Anschlag in München, bei dem am Vortag ein Afghane mit einem Auto in eine Gruppe von Demonstranten gefahren war. 

„Wie oft müssen wir diese entsetzlichen Rückschläge noch erleiden, bevor wir unseren Kurs ändern?“ Kein Wähler in Europa habe dafür gestimmt, „die Schleusen für Millionen ungeprüfter Einwanderer zu öffnen“. Die US-Regierung von Präsident Donald Trump fährt einen harten Kurs in der Migrationspolitik und forciert die Festnahme und Abschiebung von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. Das System Trump lobte Vance mit dem Satz: „In Washington ist ein neuer Sheriff in der Stadt.“ 

Steinmeier kritisiert US-Regierung mit „anderem Weltbild“

Kurz vor dem Auftritt des US-Vizepräsidenten hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinerseits die US-Regierung scharf kritisiert. „Die neue amerikanische Administration hat ein anderes Weltbild als wir. Eines, das keine Rücksicht nimmt auf etablierte Regeln, auf gewachsene Partnerschaft und Vertrauen“, sagte er in seiner Eröffnungsrede. Es werde deshalb zentrale Aufgabe der kommenden Jahre sein, die Idee einer internationalen Gemeinschaft zu erhalten, mahnte er.

Steinmeier rief Europa und die internationalen Partner auf: „Wir dürfen uns von der Flut von Ankündigungen nicht lähmen lassen. Wir dürfen nicht aus Angst erstarren.“ Mit Blick auf das „andere Weltbild“ der neuen US-Regierung sagte er, man könne dieses nicht ändern. „Aber ich bin überzeugt, es ist nicht im Interesse der Staatengemeinschaft, dass dieses Weltbild das allein dominierende Paradigma wird. Regellosigkeit darf nicht zum Leitbild für eine Neuordnung der Welt werden.“ 

Vance trifft Merz, aber nicht Scholz

Seine Kritik an der Abgrenzung zur AfD in Deutschland hatte Vance bereits kurz vor seiner Rede in einem Interview des „Wall Street Journals“ geäußert. Das US-Medium hatte ihn mit den Worten zitiert, er werde bei deutschen Politikern darauf drängen, mit allen Parteien einschließlich der AfD zusammenzuarbeiten. 

Der Begriff „Brandmauer“ steht für den Ausschluss von Koalitionen mit der AfD. Seit die Union im Bundestag ein Papier zur Migrationspolitik mit Unterstützung der vom Verfassungsschutz als teilweise rechtsextrem eingestuften Partei durch den Bundestag gebracht hat, wird darüber diskutiert, ob diese Brandmauer wackelt. 

Vor seiner Rede traf Vance Steinmeier, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt zu einem Gespräch - aber nicht Kanzler Olaf Scholz. Stattdessen kam er mit Oppositionsführer und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) zu einem Gespräch zusammen - eine heikle Entscheidung mitten im Wahlkampf. 

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, es hätten sich in den Terminkalendern von Vance und Scholz „keine Übereinstimmungen“ finden lassen. Scholz reist erst am Samstag, nach der Abreise des US-Vizepräsidenten an. 

Stimmung schon vor der Konferenz auf Tiefpunkt

Trump hatte die Stimmung zwischen den USA und Europa schon vor der Konferenz auf einen Tiefpunkt befördert. Erst hat er die EU mit der Ankündigung von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium brüskiert. Dann hat er einen großen Teil seiner Verbündeten mit seinem aufsehenerregenden Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin und einem unabgestimmten Verhandlungsangebot auf die Barrikaden gebracht. „Schmutziger Deal“ nannte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas das - und Scholz warnte vor einem „Diktatfrieden“.

Es bleiben zahlreiche offene Fragen

Vance äußerte sich in seiner Rede nicht zu einem möglichen Plan der USA für Frieden in der Ukraine. Auch viele andere Fragen blieben offen: Wie geht es mit den Strafzöllen weiter? Deutschland und die EU sind bereits von den angeordneten Strafzöllen auf Aluminium und Stahl betroffen. Nun ist die Frage, ob auch noch Zölle auf Autoimporte und zahlreiche andere Güter hinzukommen.

Auch eine Aussage zu einem möglichen Abzug von US-Truppen aus Europa war von Vance erwartet worden. Und dann ist da noch das Thema der Verteidigungsausgaben. Trump hat mehrfach gefordert, dass jeder europäische Alliierte künftig fünf Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben sollte. Bislang hat er allerdings nicht gesagt, ab wann er Ausgaben in dieser Höhe erwartet. Beim Nato-Gipfel im Juni dürfte das Thema auf den Tisch kommen. (dpa)