Eine junge Ukrainerin erzähltWarum Anastasiia ihre Heimat nicht verlassen will

Anastasiia in Dnipro
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Dnipro/Köln – Anastasiia ist 21 Jahre alt, derzeit lebt sie in Dnipro in der Ukraine. Uns erzählte sie davon, wie sie die ersten Kriegsmonate erlebte und warum eine Flucht trotz des anhaltenden Krieges nicht in Frage kommt.
Für mich kam es nie in Frage, die Ukraine zu verlassen. Die Ukraine ist mein Zuhause, hier leben meine Familie, mein Freund, meine Freunde. Wenn ich in ein anderes Land fliehen würde, wäre ich sehr einsam. Bis im Februar habe ich in Charkiw Journalismus studiert. Vier Jahre habe ich dort gelebt, die Stadt ist für mich ein zweites Zuhause geworden. Einen Tag, bevor der Krieg begann, verließ ich Charkiw und fuhr nach Soledar zu meinen Eltern, in den Ort, wo ich aufgewachsen bin. Soledar liegt im unbesetzten Teil der Oblast Donezk.
„Erst dachten wir noch, dass wir bleiben können“
In den ersten Wochen dachten wir noch, dass wir dort bleiben können. Dann verstärkte Russland die Angriffe auf den Donbass und ich musste zum zweiten Mal ein Zuhause zurücklassen: Diesmal floh ich mit meiner Familie zu Verwandten in Dnipro, auch mein Freund und ein paar Freunde sind dort. Als wir aus Soledar herausfuhren, hofften wir noch, in einem Monat zurückkehren zu können. Jetzt leben wir seit fast fünf Monaten in Dnipro.
Es tut so weh zuzusehen, wie meine beiden Heimatstädte jeden Tag mehr und mehr zerstört werden. Jedes Mal, wenn ich die Bilder von den Angriffen auf Soledar und Charkiw sehe, muss ich weinen. Gerade die Bilder aus Soledar tun mir weh: Der Ort wurde schlimm getroffen, es gibt keinen Strom mehr, kein Wasser, kein Gas. Von 11 000 Einwohnern leben noch 1000 dort. In nächster Zeit wird Soledar unbewohnbar sein.
„Immer mehr Menschen verlieren ihr Zuhause, ihr Leben“
Die Zukunft macht mir solche Angst. Immer mehr Menschen verlieren ihr Zuhause, immer mehr Menschen verlieren ihr Leben. Die Mutter vom besten Freund meines Vaters starb, als eine Bombe vor ihrem Haus einschlug. Auch in Soledar wurden Zivilisten getötet und verletzt. Manche Bekannte von mir haben sich zum Militärdienst gemeldet.
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Dnipro liegt im Zentrum der Ukraine und ist relativ sicher. Manchmal hören wir nachts Explosionen, aber die Bomben fallen meist in der Region. Das Leben hier geht relativ normal weiter: Im Juni habe ich meinen Bachelor-Abschluss erhalten, seitdem arbeite ich, koche, gehe spazieren und verbringe viel Zeit mit meiner Familie. Ich habe einen Job angenommen im digitalen Marketing, gleichzeitig lerne ich Webdesign.
Trotz allem hoffe ich auf ein Wunder: Darauf, dass wir in den nächsten Jahren zurückkehren können in den Oblast Donezk, den ich so liebe oder wenigstens in die benachbarte Region. So könnte ich mich wenigstens ein bisschen zuhause fühlen. Tief im Herzen habe ich immer gehofft, dass dieser Krieg schnell endet. Aber diese Hoffnung schwindet.
Aufgezeichnet von Lena Heising.