- Der Einsatz gegen zehn junge Muslime am Kölner Hauptbahnhof wirft noch viele Fragen auf.
- Unsere Kolumnistin Lamya Kaddor fragt, ob der Vorwurf des Racial Profiling berechtigt war.
- Die Wahrheit liegt in der gefährlichen Spirale aus Stereotypen und Ängsten dazwischen – deswegen sollten beide Parteien ihr Verhalten in Frage stellen.
Köln – Die Bilder haben mich zusammenzucken lassen: Junge Männer lagen bäuchlings und gefesselt auf dem Boden im Kölner Hauptbahnhof. Um sie herum ein abgesperrter Bereich, bewacht von bewaffneten Polizisten. Es sah alles nach einem Anti-Terror-Einsatz aus.
Doch die jungen Männer, um die es ging, waren offenbar nur auf dem Weg zu einer Feier anlässlich des gesellschaftlich bedeutenden islamischen Fests am Ende des Fastenmonats Ramadan, das derzeit stattfindet. Die Polizei bestätigte inzwischen, dass es falscher Alarm war.
Waren Racial-Profiling-Vorwürfe berechtigt?
Fast zwangsläufig kam der Vorwurf des „Racial Profilings“ auf, also eines Vorgehens der Polizei, das auf äußeren Merkmalen vermeintlich Verdächtiger beruht. Aber ist dieser Vorwurf in diesem Fall berechtigt? Nach Zeugenaussagen waren die Beamten mit dem Hinweis alarmiert worden, die Männer trügen wallende Gewänder und Westen, sie hätten sich im Laufschritt durch den Bahnhofsbereich bewegt, und es seien „Allahu akbar“-Rufe (Gott ist der Größte) zu hören gewesen.
Wer würde da nicht an Terror denken, nach all den schrecklichen Anschlägen der vergangenen Jahre und der breiten öffentlichen Diskussionen darüber? Wäre ich Polizistin, ich wäre in dieser Situation wohl auch von einem unmittelbar bevorstehenden Anschlag ausgegangen. Und wären es tatsächlich Terroristen, und ich hätte nicht eingegriffen, welche Vorwürfe hätte ich mir anhören und selber machen müssen?
Trotz dieses Verständnisses für die Reaktion am Kölner Hauptbahnhof bleibt bei mir ein Unbehagen. Müssen Polizisten immer gleich die höchste Eskalationsstufe zünden? Müssen sie ausschließlich an Terror denken, sobald Passanten meinen, irgendetwas Verdächtiges wahrgenommen zu haben? Und gibt es nicht tatsächlich auch eine breite öffentlichen Diskussion über Alltagsrassismus, Ausgrenzung von Minderheiten oder Terror-Hysterie, worunter unbescholtene Bürger zu leiden haben?
Ich bin keine Polizistin
Ich bin nun einmal keine Polizistin, weshalb ich die Maßnahmen letzten Endes nicht nach ihrer Angemessenheit beurteilen kann. Aber als Bürgerin sorgt mich das Vorgehen der Beamten, und ich frage mich, ob sie angesichts einer potenziellen Gefahr nicht doch besonnener hätten reagieren müssen.
Wer Polizistin oder Polizist wird, lernt doch, Risiken einzuschätzen und professionell mit Bedrohungen gegen andere sowie mit der Gefahr für Leib und Leben umzugehen. Umgekehrt frage ich mich allerdings schon auch: Müssen Muslime wirklich mit langen Gewändern durch einen so sensiblen Ort wie den Kölner Bahnhof rennen, der schon mehrfach Schauplatz von Gewalttaten gewesen ist, und dabei auch noch „Allahu akbar“ rufen?
Müssen sie nicht wissen, dass es gerade im Raum Köln viele Salafisten und Islamisten gibt, die sich in durchaus böser Absicht so gebärden? Und hätten die jungen Männer nicht auch wissen können, dass ihr Verhalten auf unbeteiligte Mitmenschen bedrohlich wirken dürfte? Wahrscheinlich ja. Aber diese Einwände lassen mich wiederum unzufrieden zurück.
Stereotypen führen zu einer gefährlichen Spirale
Für eine offene, demokratische Gesellschaft ist die Vorstellung unangemessen, dass jeder sich nach bestimmten Vorstellungen zu kleiden und zu benehmen haben sollte, insbesondere wenn Vorurteile hinter solchen Erwartungen stehen. Nehmen wir einmal an, man sagt: Besser keine langen Gewänder tragen wie die Salafisten! Was kommt dann als Nächstes? Islamistinnen tragen auch oft Kopftücher. Sollte also jede Muslima besser ohne auf die Straße gehen? Oder: Islamisten tragen lange Bärte. Künftig also nur noch Glattrasur für alle? Terroristinnen und Terroristen haben oft schwarze Haare und dunklere Haut. Was ist mit all den anderen friedlichen Schwarzen? Man sieht: Das eigene Verhalten an Bildern im Kopf auszurichten führt in eine gefährliche Spirale aus Stereotypen und irrationalen Ängsten.
Auch die Worte „Allahu akbar“ mögen für viele Menschen, darunter auch Polizeibeamte, mit islamistischem Terror assoziiert sein. Islamisten und muslimische Verbrecher rufen sie tatsächlich sehr häufig, bevor oder während sie Gewalttaten verüben. Doch „Allahu akbar“ ist im arabischen oder muslimischen Kontext vor allem eine geläufige Allerweltsfloskel. Menschen sagen die Worte, wenn sie überrascht sind; wenn sie wütend sind; wenn sie hocherfreut sind. Die Formel ist vergleichbar mit: „Mein Gott!“ Selbst wer mit Religion überhaupt nichts am Hut hat, sagt das mitunter.
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Inzwischen wurde mir überdies eine Version zugetragen, dass die jungen Männer in Köln womöglich gar nicht „Allahu akbar“ gerufen haben, sondern „Yallah arba’a“, also: „Los, (zu Gleis) vier!“ Sie hätten dann einfach nur ihren Zug kriegen wollen. Anderen Darstellungen zufolge unterhielten sie sich über die Predigt im Festgebet, das sie morgens besucht hatten.
Der Zentralrat der Muslime fordert, die Polizei müsse sich gerade in einer Stadt wie Köln mehr mit den verschiedenen religionsspezifischen Gebräuchen ihrer Einwohner auseinandersetzen und zum Beispiel wissen, wann Ramadan ist und wie Muslime das Ende des Fastenmonats begehen. Vielleicht hat es bei Beamten vor Ort tatsächlich an diesem Wissen gemangelt. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen bei der Polizei den Vorfall gründlich untersuchen und sich über dessen Folgen Gedanken machen. In einer kulturell vielfältigen Gesellschaft werden solche Vorkommnisse eine Herausforderung bleiben.