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Euskirchener Oberst klagt anBundeswehr lässt afghanische Helfer im Stich

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Der Truppenpsychologe Oberst Horst Schuh aus Euskirchen setzt sich für die Unterstützung afghanischer Helfer in Deutschland ein.

Sie wurden beschossen, sie wurden in die Luft gejagt, sie wurden verletzt. Als unsere Partner. Sie haben alle typischen Kriegsverletzungen.

Diese reichen von fehlenden Gliedmaßen über posttraumatische Belastungsstörungen bis hin zu Schädel-Hirn-Traumata. Was sie nicht haben, ist die Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen, weil sie am falschen Ort geboren wurden – und nicht den richtigen Pass haben.

Der das ausspricht, ein Captain der US-Army, war in Afghanistan stationiert und überlebte ein Gefecht mit den Taliban nur dank seines afghanischen Übersetzers. Jetzt kämpft er gegen zahlreiche Widerstände dafür, dass Leute wie sein Retter in die USA geholt werden. Die gleiche Debatte wird gerade auch in Deutschland geführt, weil die Bundesregierung trotz vollmundig angekündigter Aufnahmebereitschaft hohe bürokratische Hürden für zivile Helfer in Afghanistan geschaffen hat, die nun um ihr Leben fürchten. Der pensionierte Oberst Horst Schuh aus Euskirchen weiß aus mehreren Einsätzen am Hindukusch und auf dem Balkan, „was wir den Ortskräften zu verdanken haben“. Deutschland habe eine „moralische Verpflichtung, diesen Menschen Schutz und Sicherheit bei uns zu bieten, bevor es zu spät ist“.

Großen Gefahren ausgesetzt

Die Bundeswehr hat im Lauf ihrer fast 20-jährigen Präsenz in Afghanistan Tausende einheimischer Zivilisten für sich arbeiten lassen, als Dolmetscher, Fahrer, Köche zum Beispiel. Sie waren oft großen Gefahren ausgesetzt, wenn sie Bundeswehr-Soldaten in alle Einsatzgebiete begleiteten, auch in so genannte Hotspots. Sie verhandelten mit Stammesvertretern, Bürgermeistern und der afghanischen Armee und versuchten, Scharmützel zu schlichten. Durch ihre Parteinahme gerieten sie in ihren Dörfern fast automatisch zu Fremden und wurden wie Aussätzige behandelt. Hunderte wurden von den Taliban gefoltert, Dutzende getötet, weil sie in den Augen der Radikalislamisten „Söldner“ oder „Sklaven der Invasoren“ waren. Nun, nach dem überstürzten Abzug der Bundeswehr, fühlen sie sich verlassen, von Deutschland im Stich gelassen.

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„Aus Kameraden sind Bittsteller geworden“, sagt Winfried Nachtwei, der frühere Grünen-Bundestagabgeordnete und Experte für Friedens- und Sicherheitspolitik aus Münster. „Deutsche Soldaten, Entwicklungsexperten und Diplomaten waren essenziell auf afghanische Ortskräfte angewiesen. Sie erfüllten verlässlich und unter hohem Risiko ihre vielfältigen Aufgaben.“ Ohne sie hätte die Bundeswehr ihren Einsatz „nie und nimmer“ bewältigt, auch wenn er letztlich gescheitert sei.

„Die Gesetze von Rache und Vergeltung gelten noch in tausend Jahren“

Wir sitzen in der Nähe von Bonn im Wohnzimmer von Bashir Nurie. Er ist Afghane und hat in seinem Heimatland Hunderte von Ortskräften ausgebildet. Er stand auch selbst als Berater und Dolmetscher in Diensten der Bundeswehr. „Die Gesetze von Rache und Vergeltung gelten noch in tausend Jahren“, sagt er mit sorgenvoller Miene. „Wenn die Taliban wissen, dass jemand für eine westliche Armee, egal für welche, gearbeitet hat, ist das ein sicheres Todesurteil.“ Das sei „nicht aus der Luft gegriffen, sondern die Realität“, bekräftigt er seine Mahnung. Das geblümte Festtagsservice auf dem Kaffeetisch soll keine heile Welt vorgaukeln, sondern hat zu tun mit afghanischer Gastfreundschaft.

Obwohl er seinen letzter Einsatz in seinem Heimatland schon 2012 beendet hat, überkommt den 62-Jährigen in seiner Wahlheimat Rheinland gerade seit der erneut drohenden Machtübernahme der Radikalislamisten manchmal noch ein Gefühl der Unsicherheit. An den Folgen eines Anschlags, bei dem er schwer verletzt wurde, leidet er vor allem psychisch noch immer und ist in ärztlicher und physiotherapeutischer Behandlung. Wenn er an seine blutend auf der Straße liegenden Kameraden denkt, breche noch immer kalter Schweiß auf seinem Rücken aus.

Das Angebot der Taliban an ehemalige Ortskräfte, wenn sie im Land blieben und mit ihrem Know-how an der Entwicklung des Landes mitwirkten, werde ihnen nichts passieren, hält Bashir für eine leicht durchschaubare Finte. „Die blutige Erfahrung lehrt uns etwas anderes.“ Mit auf dem Sofa sitzt der Truppenpsychologe Horst Schuh aus Euskirchen. Als langjähriger Afghanistan-Kenner unterstützt er vehement Bashirs Warnung. „Es gibt keinerlei Garantien. Wer den Taliban vertraut, ist verloren.“

Schuh ist Oberst der Reserve und verlangt von der Bundesregierung mit deutlichen Worten, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen und Ortskräfte in Deutschland aufzunehmen: „Wir tragen eine humanitäre Verantwortung für sie.“ Er teilt ohne Wenn und Aber den Aufruf, „die Afghanen, die uns in Kundus und anderswo geholfen haben, nicht den Gewehren und Galgen der Taliban zu überlassen“.

Afghanische Geschichte und Lebensgewohnheiten nahegebracht

Die Menschen in dem zerrissenen Land am Hindukusch sind Schuh ans Herz gewachsen, seit er bei Patrouillenfahrten außerhalb der festungsartig gesicherten Bundeswehr-Camps immer wieder erlebt hat, wie die Zivilbevölkerung der Willkür von Warlords und lokalen Stammesfürsten ausgeliefert ist.

An Bashirs Kaffeetafel duftet es nach Rosen. „Wir mussten als Ortskräfte alles in einer Person sein, Bauexperte, Psychologe und Entwicklungshelfer.“ Oft außerdem Botschafter und Kulturbeauftragter. Den deutschen Soldaten versuchte er afghanische Geschichte und Lebensgewohnheiten nahezubringen, seinen Landsleuten vermittelte er eine Vorstellung von dem fernen Staat, dessen Sicherheit nach Überzeugung des damaligen Ressortchefs Peter Struck am Hindukusch verteidigt werden musste.

Bashir war einer der wenigen Ortskräfte, die ihren Dienst in Bundeswehr-Uniform leisteten, weil er einen deutschen Pass besitzt. Als Flüchtling der ersten Generation war er schon Anfang der 70er Jahre zum ersten Mal nach Deutschland gekommen. Der Feldwebel der Reserve erinnert sich gut, wie er nachts um zwei aus dem Bett geholt und zur Absicherung eines Einsatztrupps von 30 bis 40 Mann abkommandiert wurde. Die Warlords, mit denen er verhandeln musste, hatten Probleme mit seiner Funktion, vermutlich verhalfen ihm der Feldanzug und das schwarz-rot-goldene Emblem am Arm aber zu mehr Autorität. Doch bekam er auch zu spüren, dass er als fremd, nicht dazugehörig und oft auch als Verräter beschimpft wurde. Ein mulmiges Gefühl, sagt er. „Und so geht es aktuell den meisten, die noch in Kabul oder, schlimmer, irgendwo in der Provinz festsitzen.“

„Ohne Ortskräfte hätten wir einpacken können“

Wir sind verabredet mit Christiane Kretschmer, die als Zivilangestellte zwischen 2008 und 2019 an nicht weniger als zwölf Afghanistan-Einsätzen beteiligt war. Achtmal allein im Camp Marmal, dem größten deutschen Feldlager bei einer Auslandsmission überhaupt mit zeitweise 5500 Bundeswehr-Angehörigen. „Ohne Ortskräfte hätten wir einpacken können“, sagt sie, „dazu stehe ich.“ Die resolute Frau erzählt, ihre „Jungs“ hätten sie fast liebevoll „Mama“ genannt. Sie war Chefin der „Oase“, einer „Betreuungseinrichtung mit gastronomischem Betrieb“. Die jungen Afghanen kellnerten und arbeiteten in der Küche. Die für dortige Verhältnisse ganz ordentlich bezahlten Jobs seien trotz der damit verbunden Risiken im Armenhaus Afghanistan „heiß begehrt“ gewesen. „Richtig arme Teufel“ seien jene lokalen Kräfte, die für Privatfirmen wie zum Beispiel für einen großen Energieversorger gearbeitet haben und „jetzt durch alle Raster fallen, weil sie keinen Vertrag mit der Bundeswehr hatten“.

Doch nicht nur diese zumindest mittelbar für die Deutschen eingesetzten Afghanen stehen schutzlos da. „Alle, die in irgendeiner Weise mit uns zusammengearbeitet haben, müssen eine Chance haben zu kommen, sagt im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ Marcus Grotian. Er ist Hauptmann im Einsatzführungs-Kommando der Bundeswehr und hat das „Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte“ gegründet, das auch in Köln von einer Regionalgruppe unterstützt wird. „Man will kein Sammel-Aufnahmeverfahren und macht stattdessen ein Sammel-Ablehnungsverfahren“, bemerkt Grotian bitter. Er hat den „bewundernswerten Einsatz“ der einheimischen Helfer hautnah erlebt, als er sieben Monate lang im Einsatz in Kundus war. Sie jetzt sich selbst zu überlassen, hält er für moralisch untragbar. „Und wie bitte sollen die Leute ihre Gefährdung nachweisen? Muss jemand erst eine Kugel in den Rippen haben, die von den Taliban signiert ist?“