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Christian Lindner im Interview„Sport im Freien muss für Kinder möglich sein“

Lesezeit 7 Minuten
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FDP-Chef Christian Lindner (Archivbild)

Die Bundesregierung will die Kontakt- und Ausgangssperren für Geimpfte aufheben. Was halten Sie davon?Lindner: Das ist das Mindeste. Von Geimpften geht keine Gefahr aus. Deswegen gibt es keinen Grund, ihre Grundrechte einzuschränken. Da geht mehr.

Sehen Sie kein Konfliktpotenzial, wenn die Älteren ihre Freiheiten zurück erhalten, die jungen Leute aber noch nicht?

Absolut. Das ist ein enormes Konfliktpotenzial. Diesen Charaktertest muss unsere Gesellschaft bestehen. Wer will den Älteren gesellschaftliche Freiheit neiden? Wir können den Konflikt entschärfen, indem wir testbasiert mit Hygienekonzepten Öffnungen erreichen. Das eigene Lieblingsrestaurant wird nur überleben, wenn es öffnen kann.

Sollten Kinder künftig priorisiert geimpft werden?

Noch gibt es keinen zugelassenen Impfstoff für Kinder. Und die Eltern müssen entscheiden. Ziel muss sein, dass Kitas und Schulen öffnen. Zwischenschritte kann es mit Tests geben. Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Grünen die Schulen ab einer Inzidenz von 100 schließen wollen. Dann gäbe es vor den Sommerferien kaum Unterricht. Für die Familien wäre das schlimm.

Kindersport ist auch im Freien derzeit nur sehr eingeschränkt möglich. Ist das angemessen?

Nein. Sport im Freien muss für Kinder möglich sein. Mit Hygiene- und Testkonzepten wären mehr Öffnungen auch bei Fitness-Studios oder im Kulturbereich möglich. Das dient der Gesundheit.

Die Inzidenzzahlen gehen leicht zurück. Müssen Modellprojekte für Öffnungen, wie sie etwa in Köln vorgesehen sind, jetzt gestartet werden?

Es war ein Fehler des CDU-geführten Kanzleramts, Modellprojekte wie in Tübingen zu stoppen. Leider wurden unsere Änderungsanträge im Bundestag von der CDU niedergestimmt. Wir müssen aber lernen, welche Maßnahmen welche Wirkung haben. Klar ist, dass der Gesundheitsschutz Priorität hat. Aber den sozialen und wirtschaftlichen Schaden müssen wir begrenzen.

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FDP-Chef Christian Lindner zu Gast im Neven-DuMont-Haus (Archivbild)

Halten Sie an Ihrer Verfassungsklage gegen die Bundesnotbremse fest?

Ja. Wir brauchen wirksamen Gesundheitsschutz, also Maske, Abstand, Kontaktbegrenzung, Luftreiniger und Lüften, Testkonzepte und ein höheres Impftempo. Aber die Ausgangssperre ist unverhältnismäßig. Wir wissen aus Untersuchungen in Frankreich und von Erfahrungen in Flensburg, dass ihre Wirkung fragwürdig ist. Es ist mir ein Rätsel, warum die Unionsfraktion und Grüne das Gesetz passieren lassen konnten, obwohl verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet wurden.

In Köln gibt es jetzt spezielle Impfaktionen in sozialen Brennpunkten. Wie stehen Sie dazu?

Auf diese Problematik haben wir schon länger hingewiesen. Wo Menschen beengt leben und wo es Sprachbarrieren gibt, ist das Infektionsrisiko höher. Gezielte gesundheitliche Aufklärung in Fremdsprachen und Werbung für Impfangebote sind überfällig.

Werden dadurch am Ende nicht diejenigen bevorzugt, die sich am wenigsten an die Regeln halten?

Wem hilft eine solche Debatte? Ziel ist es, eine Überforderung des Gesundheitswesens zu verhindern. Das Intensivbett fragt nicht danach, warum es belegt werden musste. Hier zählen Ergebnisse, damit wir alle schneller von dieser Pandemie erlöst werden.

Macht es dann überhaupt noch Sinn, an der Impfreihenfolge des RKI festzuhalten?

Die Impfreihenfolge sollte für die Ärztinnen und Ärzte im niedergelassenen Bereich nur noch empfehlenden Charakter haben. Wir sollten alle Möglichkeiten nutzen, um mehr Tempo bei den Erstimpfungen zu machen. Dazu gehört, die öffentlichen Impfzentren mit ihren bürokratischen Strukturen auslaufen zu lassen. Alle Impfreserven sollten aufgelöst und vor Ort verabreicht werden.

Die FDP konnte in den letzten Monaten in den Umfragen zu alter Stärke zurückkehren. Sind die Liberalen ein Pandemiegewinner?

Nein. Wir setzen uns traditionell für Bürgerrechte, für eine solide wirtschaftliche Basis und einen modernen Staat ein. Diese Fragen haben neue Dringlichkeit. Viele erkennen, dass wir dazu Beiträge leisten. Seit 1949 waren wir 150 Tage vor der Wahl selten so aussichtsreich wie heute. Das ist für uns Anlass zur Demut. Denn wir wissen, welche Aufgaben und Schwierigkeiten auf jede neue Regierung warten.

Sieht sich die FDP als Anwalt der gemäßigten Querdenker?

Nein. Für uns zählt wissenschaftliche Evidenz.

Kann Armin Laschet Kanzler? Sie kennen ihn aus NRW ja bestens...

Er verfügt über die Tugend, unterschiedliche Ideen zusammen zu bringen. Nach der Pandemie befürchte ich Verteilungskonflikte und gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen. Andere müssen erst beweisen, dass sie damit umgehen können. Armin Laschet kann das. Allerdings muss man sagen, dass unser Land allein mit seiner Integrationskunst nicht vorankäme. Dafür braucht es einen Fortschrittsmotor wie die FDP. Der beste Zeuge ist Armin Laschet selbst, denn seine bundespolitischen Vorschläge basieren zumeist auf Initiativen seiner FDP-Kabinettsmitglieder in NRW. Zum Beispiel die bürokratische Entfesselung.

Droht Laschet ein „Röttgen-Effekt“, wenn er sich jetzt nicht klar zu Berlin bekennt?

Das sind hilflose Einwürfe der Opposition in Düsseldorf. Man möchte die Kollegen an Johannes Rau erinnern. Der wusste, dass ein Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen immer ein Superschwergewicht der Bundespolitik ist.

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Christian Lindner während eines Interviews mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“

Wie kritisch wäre die Wahl eines Laschet-Nachfolgers aus den Reihen des Landtags angesichts der dünnen Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag?

Gar nicht. Diese Koalition ist getragen vom Respekt vor den Unterschieden zwischen FDP und CDU. Jeder der Partner kann sich über die Erfolge des anderen freuen. Das ist der Schlüssel für eine gute Zusammenarbeit.

Könnte Verkehrsminister Hendrik Wüst Ministerpräsident?

Das entscheidet die CDU. Es ist kein Geheimnis, dass ich Hendrik Wüst aus der gemeinsamen Zeit als Generalsekretäre der Landesparteien schätze. Mich hat beeindruckt, dass er durch ein politisches Tal gewandert ist, um danach in einem Team mitzuwirken. Als Verkehrsminister steht er für Fairness gegenüber Auto, Fahrrad und ÖPNV. Das nenne ich liberal. Ihm hilft, dass er mit der FDP regiert, aber das ist auch Ausdruck des Charakters. Damit Sie mich nicht aufs Glatteis führen, will ich ergänzen, dass Lutz Lienenkämper und Bodo Löttgen sich ebenso der Wertschätzung der FDP sicher sein könnten.

Die Union und Laschet stecken im Umfragetief. Kann er noch gewinnen?

Die Menschen haben andere Probleme, als über ihre Entscheidung an einem Sonntag im September nachzudenken. Ich rate daher zur Konzentration auf die Sache.

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Laschet hat die FDP zu seinem Lieblingspartner erklärt. Gilt das umgekehrt genauso?

Wir müssen das Wahlprogramm der Union abwarten. Nach Lage der Dinge ist die Nähe mit der CDU am größten, zum Beispiel in der Steuerpolitik. Wenn ein Facharbeiter 100 Euro mehr Gehalt bekommt, behält der Fiskus 33 Euro ein. Das finden wir nicht gerecht. SPD, Grüne und Linke wollen die Steuern hingegen weiter erhöhen.

Wenn es mit der CDU nicht reicht, kommt Jamaika im zweiten Anlauf?

Dazu müsste Frau Baerbock erst einmal klären, ob sie sich von der Linkspartei zur Kanzlerin wählen lassen würde. Das ist offen. Wir sind jedenfalls bereit zur Übernahme von Verantwortung. Wir wollen Deutschland digitaler, moderner und freier machen. Dazu müssen wir zweistellig werden, um eine schwarz-grüne und eine grün-rot-rote Regierungsbildung zu verhindern. Sonst landen wir in der Staatswirtschaft. Schon 2017 hätte ich Bundesfinanzminister werden können. Das wäre für mich selbst eine spannende Karriereoption gewesen. Aber der Preis, die Wahlzusagen der FDP verraten zu müssen, war zu hoch.

War wäre 2021 anders als 2017?

Die Situation ist völlig anders. Armin Laschet ist ein fairer Verhandlungspartner. Die Menschen können sich aber auch dieses Mal auf uns verlassen. Wenn wir vor der Wahl sagen, mit uns gibt es keine höhere Steuer auf Löhne und Einkommen der Beschäftigten, dann wird ein Finanzminister Lindner Wort halten. Wir wollen im Gegenteil an der notwendigen Entlastung arbeiten.

Welche Rolle spielt das Thema Klimaschutz im Wahlprogramm der FDP?

Wir halten den Klimaschutz für eines der spannendsten Modernisierungsthemen der nächsten Jahrzehnte. Klimaschutz ist für uns Teil einer Wachstumsagenda. Was Biontech bei der Pandemiebekämpfung war, das sollen neue Gründungen für den Klimaschutz sein. Wir müssen über Technologie-Optionen nachdenken, die bislang nicht genutzt wurden.

Wird der digitale Impfpass der EU ein Erfolg – oder ein Flop wie die Corona-Warn-App?

Der digitale Impfpass lässt schon zu lange auf sich warten. Das ist beklagenswert, weil wir schon im vergangenen Sommer über die Einführung gesprochen haben. Wir sollten jetzt prüfen, wie wir die funktionierenden elektronischen Impfnachweise aus Dänemark oder Österreich mit Modifikationen auch für uns nutzen können.

Können wir im Sommer wieder Urlaub machen wie vor der Pandemie?

Ich hoffe es. Wir alle sind erschöpft und brauchen Erholung. Ich freue mich auf eine freie Zeit im Sommer.

Wo würden Sie hinfahren?

Wohl an einer der deutschen Küsten. Alles Weitere werden wir sehen.