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Interview

FPÖ-Sieg
„Ibiza“-Filmer Hessenthaler: „Es kann auch in Deutschland schnell gehen“

Lesezeit 4 Minuten
29.09.2024, Österreich, Wien: FPÖ-Chef Herbert Kickl Herbert Kickl (FPÖ) feiert bei der FPÖ Wahlparty im Rahmen der Nationalratswahl in Wien. Foto: Roland Schlager/APA/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

FPÖ-Chef Herbert Kickl (FPÖ) feiert bei der FPÖ Wahlparty.

Wieso hat in Österreich die skandalumwitterte FPÖ gewonnen? Ein Interview mit dem Macher des „Ibiza-Videos“, durch das die Partei 2019 aus der Regierung flog.

Die Rechtsnationalen in Österreich haben es geschafft: Erstmals wurde die FPÖ in einer bundesweiten Wahl stärkste Kraft – obwohl sie noch vor fünf Jahren wegen eines Skandals aus der Regierung mit der Kanzlerpartei ÖVP geflogen war: Medien hatten ein 2017 heimlich auf Ibiza aufgenommenes Video veröffentlicht, auf dem FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Pläne zur Korruption und Medien­manipulation mit einer russischen Oligarchin schmiedete.

Die „Ibiza-Affäre“ führte zum Ende der Koalition, bei den Neuwahlen stürzte die FPÖ auf 16 Prozent ab. Am Sonntag wurde sie mit 29,2 Prozent stärkste Kraft. Im RND-Interview erklärt der Macher des „Ibiza-Videos“, der in Wien geborene Sicherheits­berater und heutige Autor Julian Hessenthaler, wie es trotz aller Skandale dazu kommen konnte.

Herr Hessenthaler, mit Ihrem Ibiza-Video hatten Sie den Österreichern 2019 vor Augen geführt, dass die FPÖ für ihren politischen Vorteil bereit ist, das Land und die Pressefreiheit zu verschachern. Wieso konnte sie nur fünf Jahre nach dem Skandal nun die bundesweite Wahl gewinnen?

Durch die Aufklärung der Ibiza-Affäre, speziell durch den Untersuchungs­ausschuss, kam heraus, dass auch der damalige Koalitions­partner der FPÖ, die konservative ÖVP, fragwürdig gehandelt hatte. Da ging es auch um Wahl­beeinflussung, Medien­manipulation und Korruption. Deshalb rutschte die Aufmerksamkeit von der FPÖ auf die ÖVP – mit dem Ergebnis, dass sich absurderweise bald die FPÖ als Anti­korruptions­partei inszenierte – und das bei einem Teil der Bevölkerung sogar verfing.

Der FPÖ fielen durch Corona und Ukraine-Krieg etliche Themen zu, die sie ausschlachten konnte.
Julian Hessenthaler

Als Ihr Video 2019 veröffentlicht wurde, dauerte es nur zwei Tage, bis ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz die Koalition aufkündigte. Auslöser war die Weigerung der FPÖ, ihren Innenminister Herbert Kickl auszuwechseln. Ausgerechnet er hat die FPÖ seitdem als Parteichef wieder aufgebaut und nun zum Wahlsieg geführt. Wie gelang ihm das?

Den „Ibiza“-Skandal konnte er auf den damaligen Parteichef Strache und auf Johannes Gudenus, quasi der Fraktionschef, abwälzen – denn sie waren ja im Video. Und die FPÖ war klüger als die ÖVP und distanzierte sehr schnell von den beiden Protagonisten. So konnte sie sich schnell als „gesäubert“ hinstellen. Seitdem fielen ihr durch Corona und Ukraine-Krieg etliche Themen zu, die sie ausschlachten konnte. Noch früher als die AfD hat sie es dabei verstanden, einen eigenen Medienapparat aufzubauen. So konnte sie ihre Propaganda direkt verbreiten und konnte die „Mainstream-Medien“ und deren Sicht verteufeln.

„Kickl ist der asketische Typ“

Welchen Anteil haben die Person und die Persönlichkeit Herbert Kickl am FPÖ-Erfolg?

Er ist ein anderer Politiker-Typ als sein Vorgänger Strache, der über „Ibiza“ stürzte. Strache war ein Lebemann, Kickl ist der asketische Typ – ideologisch getriebener und gefestigter. Er war jahrzehntelang für die FPÖ tätig, aber nur als Redenschreiber und Mann der zweiten, dritten Garde. In der Corona-Zeit begriff er dann, dass er das Potenzial für die erste Reihe hat – mit einer sehr aggressiven Anti-Corona-Politik: so verschwörungs­theoretisch, dass es teilweise der eigenen Partei zu weit ging. Aber er war sehr erfolgreich, auch aufgrund der Versäumnisse der anderen Parteien während der Pandemie und der Folgezeit. Die Regierung aus ÖVP und Grünen hat es an politischer Führung mangeln lassen. So konnte Kickl sich als unangefochtener Frontmann der FPÖ etablieren.

Julian Hessentahler

Julian Hessentahler

Sein Gewinner­thema war nun die Migration. Schon ihren Aufstieg verdankte die FPÖ der Flüchtlings­krise 2015, nur gebremst durch ÖVP-Chef Kurz, der ihre Programmatik kopierte. Wollen die Österreicher am Ende nur eine härtere Asylpolitik – und sehen dafür über das Unseriöse an der FPÖ hinweg?

Sicher, zumal die ÖVP ja selbst einige Skandale auf dem Kerbholz hat. Ein großer Unterschied zu Deutschland ist auch, dass es eine Brandmauer wie zur AfD in Österreich nicht gibt. Die FPÖ war schon mehrfach Junior­partner in einer Bundes­regierung – erstmals in den 80ern unter den Sozial­demokraten.

Da war sie aber noch nicht so radikal wie nun unter Kickl.

Stimmt. Zugleich ging sie nach dem Zweiten Weltkrieg aus alten SS-Garden hervor. Ihre Nazi-Vergangenheit hatte sie aber zwischenzeitlich abgelegt, sich offiziell zum Beispiel gegen Antisemitismus positioniert. Aber Österreich tickt da ohnehin anders als Deutschland. Es hat sich nach der NS-Zeit immer nur in der Opferrolle gesehen: „Die Deutschen haben uns ja überfallen!“ Österreich ist geprägt vom Impuls, Verantwortung wegzuschieben: „Wir sind Opfer von Migration, von EU-Politik, von was auch immer.“ So hat sich nie ein Bewusstsein für eigene Fehler entwickelt, es gibt keine Rücktritts­kultur, sodass die Grenzen des politischen Anstands deutlich weiter verschoben sind als in Deutschland – noch. Aber das kann sich schnell ändern. In Österreich ging es auch sehr schnell.