German Moyzhes, Jurist und Unternehmer aus Köln, erzählt von der russischen Haft und dem unverhofften Gefangenenaustausch.
GefangenenaustauschKölner war in Russland wegen Hochverrats angeklagt – Erstes Interview in Freiheit
German Moyzhes kommt mit dem Fahrrad zum Treffpunkt an der Severinstorburg. Russische Medienseiten orakelten bei seiner Festnahme in St. Petersburg vor zweieinhalb Monaten, sein Zweirad-Aktivismus könnte ein Grund für seine Inhaftierung gewesen sein. Der 39 Jahre alte Kölner glaubt das nicht – immerhin hatte der Kreml ihm Hochverrat vorgeworfen. „Es war wohl eher wegen meiner sehr engen Kontakte zu europäischen Diplomaten und Politikern“, sagt er. Zu Menschen, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine scharf kritisierten.
Als politischer Aktivist galt Moyzhes nicht, wohl aber als moderater Regimegegner, der Alexej Nawalny auf Social Media betrauerte und den russischen Krieg gegen die Ukraine kritisierte. Mit seinem Unternehmen hatte er von St. Petersburg aus Menschen zum Aufenthaltsrecht beraten – auch solche, die nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine nach Deutschland ausreisen wollten.
Im Café an der Torburg tost das Leben. German Moyzhes fragt, ob die Anrede „Du“ okay sei. Er habe so viel gesiezt im Gefängnis, immer mit Schere im Kopf. Er wirkt zugewandt, lässig; ein charismatischer Typ.
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Tatsächlich sei er mit dem Rad in einem Park unterwegs gewesen, als er im Mai von Beamten in Zivil festgenommen wurde, erinnert sich Moyzhes bei schwarzem Tee und Pflaumenkuchen zwei Wochen nach seiner geschichtsträchtigen Freilassung. Immerhin war der Kölner Deutsch-Russe Teil des größten Gefangenenaustauschs mit Russland seit Ende des Zweiten Weltkriegs. „Manchmal denke ich, was da geschehen ist, war eine Halluzination“, sagt er. „Ich brauche noch ein bisschen, um ganz wieder anzukommen in der Realität.“
In einem Agententhriller hätte das Fahrradmotiv vielleicht als Pointe getaugt, als Illustration dafür, wie detailverliebt der russische Geheimdienst FSB agiert. Der sogenannte Tiergarten-Mörder Vadim Krassikov hatte sich auf einem Fahrrad in einer Berliner Parkanlage von hinten einem Asylbewerber genähert, den russischen Behörden als Terroristen eingestuften hatten. Nach Überzeugung des Berliner Kammergerichts tötete Krassikov den ehemaligen tschetschenisch-georgischen Kommandeur Selimchan Changoschwili am 23. August 2019 aus nächster Nähe mit Schüssen aus einer Pistole mit Schalldämpfer. Nach der Tat warf er seine Klamotten und das Fahrrad in die Spree.
Krassikov gilt als Intimus von Russlands Präsident Vladimir Putin. Mehrfach war öffentlich darüber spekuliert worden, dass Putin auch einem Austausch des wichtigsten russischen Regimegegners Alexej Nawalny gegen Krassikov zugestimmt hätte. Als gerade wieder Gerüchte über einen möglichen Austausch die Runde machten, starb Nawalny Mitte Februar aber im Straflager. Nun war Krassikov Putins Bedingung für das Zustandekommen des internationalen Gefangenen-Deals.
Gefangenenaustausch: Kölner stellte sich auf zwölf bis 15 Jahre Knast ein
Auf mindestens zwölf bis 15 Jahre Gefängnis und Straflager habe er sich nach der Festnahme eingestellt, erzählt German Moyzhes. In Untersuchungshaft habe er gleich am ersten Tag angefangen, Sport zu machen. Liegestütze, Kniebeugen, Sit-ups, nicht einfach in der zwei Mal vier Meter kleinen Einzelzelle. „Ich habe viel an die israelischen Geiseln der Hamas gedacht und deren Leid – im Vergleich dazu ging es mir im Lefortowo-Gefängnis gut“, sagt er. Moyzhes ist Jude, in der Kölner Synagogengemeinde aktiv. Ein großer Teil seiner Familie lebt in Israel.
Der in Leningrad geborene Kölner ist Mitglied der Jabloko-Partei, der einzigen verbliebenen Oppositionspartei in Russland, die einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine fordert. In St. Petersburg ist er regelmäßig im regionalen Fernsehen und Radio aufgetreten – zum Thema Mobilität, aber auch in politischen und kulturellen Diskussionen. „Dabei galt eine unausgesprochene Selbstzensur innerhalb der immer enger werdenden Gesetzgebung“, sagt Moyzhes.
Er habe „offen über Folterskandale in Gefängnissen oder über die Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaya sprechen können“. In Moskau habe er den Prozess gegen den Menschenrechtler Oleg Orlow besucht, der ebenfalls im Zuge des Gefangenenaustauschs freikam. All das ließ ihn ins Visier des russischen Geheimdienstes geraten.
Randnotiz zum Fahrradmotiv: „Im Gefängnis war mein Zellennachbar ein Mann, der reihenweise Fahrräder gestohlen hatte – wir haben uns sogar überlegt, einen Post zu veröffentlichen, wie man Fahrräder am besten sichert.“ Der Profidieb sei in Haft ein enger Vertrauter geworden. „Er hatte zusammengerechnet schon zehn Jahre hinter Gittern verbracht und mir Mut gemacht, dass ich womöglich nach fünf oder sechs Jahren freigelassen werden könnte – obwohl für Hochverrat auch lebenslänglich möglich ist.“ Die Lagerhaft, habe der Mann ihn getröstet, sei „wesentlich besser als die Untersuchungshaft“.
Dass German Moyzhes nicht viele Jahre, sondern nur etwas mehr als zwei Monate in russischer Haft verbrachte, ist wesentlich der Bundesregierung zu verdanken: Die musste zustimmen, dass im Zuge des Gefangenenaustauschs, dessen bekannteste Protagonisten die russischen Oppositionellen Wladimir Kara-Mursa, Oleg Orlow und Ilya Jaschin sowie US-Journalist Evan Gershkovich waren, auch der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilte russische Auftragsmörder Krassikov freikommt.
Er sei „sehr dankbar“, dass die Bundesregierung dem Deal zugestimmt habe, sagt Moyzhes, der die deutsche und die russische Staatsbürgerschaft besitzt. „Das hatte ich bei der oft zurückhaltenden Art des Kanzlers nicht erwartet.“ Beim Empfang in Wahn habe er sich bei Olaf Scholz für dessen schwere Entscheidung, Krassikov freizulassen, um den Austausch zu ermöglichen, bedankt. „Für mich war das ein Hoffnungszeichen dafür, dass Verhandlungen Menschenleben retten können.“
In diesem Fall sei es um ihn und 15 andere in Russland Inhaftierte gegangen, „aber wir hoffen alle darauf, dass auch die vielen anderen zu Unrecht Verurteilten freikommen und der Krieg endlich ein Ende findet“.
Mit der eigenen Freiheit gerechnet, habe er bis zuletzt nicht. Am Montag vor dem Austausch sei er in einen anderen Trakt verlegt worden. „Zu ihrer eigenen Sicherheit“, habe ein hoher Gefängnisbediensteter ihm höflich mitgeteilt. „Es war eine Einzelzelle, ohne Spaziergänge im Hof, ohne jede Möglichkeit, andere zu sehen, ohne Fernseher, ohne Kühlschrank. Ich habe mich gefragt, was jetzt passiert: War das eine Strafe? Ich war in kompletter Isolation.“ Auch, als er seine Entlassungspapiere unterschreiben sollte, habe er nicht gewusst, wie ihm geschah.
Informationen habe er auch nicht bekommen, als er das Gefängnis verließ. Kein Wort. „Als im Hof Soldaten in Tarnanzügen auftauchten, dachte ich kurz: Vielleicht sollen wir an die Front in den Donbass? Will man uns erschießen?“ Erst, als in einem Bus andere politische Gefangene saßen – Oleg Orlow, wenig später auch Kara-Mursa, Jaschin, Gershkovich und zwei Frauen aus dem Umfeld von Alexej Nawalny – sei ihm klar geworden, dass es sich um einen Gefangenenaustausch handeln müsse.
Geredet worden sei wenig – neben jedem Gefangenen habe ein grimmiger Soldat einer Spezialeinheit gesessen. Das blieb auch im Flugzeug so. „Lustig war, dass die Amerikaner und der Deutsche ohne russischen Pass in der Ersten Klasse saßen und die anderen in der Zweiten“, erinnert sich Moyhzes. „Das ist typisch Russisch.“
In Ankara warteten abseits des regulären Flughafens zwei Busse – „einer für uns und der andere für Krassikov und die anderen Russen, die gegen uns ausgetauscht wurden. Wir haben nur ihre Rücken gesehen“. Die Anspannung habe sich erst gelegt, als die Identitäten überprüft waren und sie schließlich von deutschen Staatsbeamten in einem abgelegenen Bereich des Terminals empfangen worden seien.
German Moyzhes möchte nichts Falsches sagen. Er hat in den vergangenen zwei Wochen überlegt, ob er überhaupt öffentlich spricht. „Ich bin wirklich nicht schlecht behandelt worden im Gefängnis, aber allein das zu sagen, könnte schon kritisiert werden“, sagt er. In den vergangenen Jahren lebte er zwischen den Welten und musste sich wohl entsprechend verhalten: Sein Unternehmen führte er von St. Petersburg aus, hielt sich aber auch regelmäßig in Köln auf. Er kritisierte zwischen den Zeilen Putin und sein Regime, postete Kritisches zum Krieg, ließ sich aber auch mit Kreml-Treuen ablichten.
„Wir leben in einer Öffentlichkeit, in der es oft nur Schwarz und Weiß gibt“, sagt er. „Das hat zum Beispiel nach dem Beginn des Angriffskriegs der Russen dazu geführt, dass im Westen russische Kultur – insbesondere Künstler, die weiterhin auch in Russland gearbeitet haben, infrage gestellt worden sind, um es vorsichtig auszudrücken.“ In der Politik und in vielen Medien werde über den Krieg vor allem moralisch argumentiert. „Aber ist ein kompletter Sieg der Ukraine, von dem immer gesprochen wird, realistisch? Wie viele Menschenleben und wie viel Leid kostet der Krieg täglich? Und was sind die Alternativen? Ich finde, über einen Ausweg sollte mehr diskutiert werden dürfen, auch wenn die Schuldfrage hier eindeutig scheint. Tabus spielen ja vor allem den Populisten in die Karten.“
German Moyzhes sagt, ihm gehe es gut. Er habe einen Therapeuten und müsse sich jetzt zunächst sammeln. „Der Weg zurück nach Russland ist momentan verschlossen oder zumindest sehr gefährlich.“ Er wolle seine Arbeit als Jurist wieder aufnehmen, von Köln aus. Und Kulturprojekte organisieren, wie er es in Deutschland und in Russland seit langem getan hat, auch mit dem inzwischen verstorbenen WDR-Intendanten Fritz Pleitgen.
2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. „Ich glaube, der Anlass ist wichtig und gut, um Menschen wieder zusammenzubringen – in Köln, Europa und auf der ganzen Welt.“