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Verrat von BND-InfosChats der Wagner-Söldner und ein Spion, der aus dem Vereinsheim kam

Lesezeit 4 Minuten
Einheiten der Söldnergruppe Wagner im Juni im russischen Rostow am Don.

Einheiten der Söldnergruppe Wagner im Juni im russischen Rostow am Don. Ein Spion könnte vom BND erhaltene Chatprotokolle weitergegeben haben.

Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine soll ein Mitarbeiter des deutschen Geheimdienstes BND für Moskau spioniert haben. Der Prozess gegen ihn beginnt.

Der vermutlich größte Spionagefall seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik nimmt seinen Anfang im Frühjahr 2021 in einem Sportheim in Oberbayern.

Ein Bundeswehr-Unteroffizier und AfD-Funktionär soll im kleinen Kreis eingeladen haben, berichten der „Spiegel“ und andere Medien. Aus der Truppe kennt er den heute 32-jährigen Arthur E., früher Fernmelder bei der Bundeswehr und jetzt als Diamantenhändler weltweit unterwegs. Aus dem lokalen Sportverein kommt der heute 53 Jahre alte Jugendtrainer Carsten L., früher Bundeswehr-Offizier und zu der Zeit Referatsleiter beim BND in der Abteilung „Technische Aufklärung“ mit höchster Sicherheitsstufe.

L. redete offen über seine Arbeit beim Geheimdienst

L. und E. verstehen sich auf Anhieb, vermutlich auch wegen ihres militärischen Hintergrundes. Offen redet L. über seine Arbeit beim Auslandsgeheimdienst in Pullach bei München.

Um zum Desaster für den BND zu werden, braucht es noch eine weitere Zufallsbegegnung, anderthalb Jahre später am Starnberger See. Da habe der Geschäftsmann E. einen Bekannten aus Russland mitgebracht, ebenso reich wie gut vernetzt, anscheinend auch in Geheimdienstkreisen. Welches Angebot hat er den beiden Deutschen gemacht?

Nach Auffassung des Generalbundesanwalts lockte er mit einem hohen Agentenlohn. Der russische Geheimdienst FSB soll Carsten L. 450.000 Euro und Arthur E. mindestens 400.000 Euro gezahlt haben. Die Anklage geht davon aus, dass L. bei zwei Gelegenheiten im September und Oktober 2022 neun interne Dokumente des BND an seinen Arbeitsplätzen in Berlin und Pullach ausgedruckt oder abfotografiert hatte. Arthur E. soll die von L. ausspionierten geheimen Informationen nach Russland gebracht und dort dem Geheimdienst übergeben haben.

BND-Mitarbeiter Carsten L. war am 21. Dezember 2022 in Berlin festgenommen worden. Im Januar wurde der Arthur E. als mutmaßlicher Mittäter bei der Einreise aus Miami am Flughafen München gefasst. Die Ermittlungen dazu seien in enger Zusammenarbeit mit dem BND und mit Unterstützung der US-Bundespolizei FBI geführt worden, hieß es. E. soll in der Folge umfangreich ausgesagt haben.

Auftakt des Strafprozesses: Verhandlung vor dem Kammergericht in Berlin

Ab Mittwoch wird der brisante Fall nun vor dem 6. Strafsenat des Kammergerichts Berlin verhandelt. Beide Männer sind wegen Landesverrats angeklagt. 51 Prozesstage sind bis 17. Juli 2024 angesetzt, unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Berichterstatter dürfen keine eigenen Kugelschreiber mit in den Saal bringen – ganz „geheimdienstlike“ befürchtet das Gericht, es könnten so Aufnahmegeräte hineingeschmuggelt werden.

Wie gravierend aber war der mutmaßliche Geheimnisverrat, mitten im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine? Das ist nicht nur für das Strafmaß, sondern auch für die politische Aufarbeitung des Falles von zentraler Bedeutung. Laut „Spiegel“ handelt es sich insgesamt nur 73 DIN-A4-Seiten, aber aus einer hochsensiblen Quelle.

Der BND habe, vermutlich über Partnerdienste, Zugang zu internen Chats der russischen Söldnergruppe „Wagner“ erlangt. Kurz nach dem angeblichen Verrat durch die beiden Angeklagten änderten die „Wagner“-Söldner ihren Kommunikationskanal, die Quelle versiegte. Die Vermutung liegt nahe, dass sie über den russischen Geheimdienst erfuhren, wer bei ihnen mitgelesen hat.

BND-Chef Bruno Kahl beruhigt über geringe Menge an gesteckten Infos

BND-Chef Bruno Kahl spielte den Fall herunter: „Gott sei Dank sind die Menge dessen, was abgeflossen ist, und die Verwertbarkeit sehr überschaubar“, sagte er dem „Tagesspiegel“. Der offene Umgang mit dem Fall gegenüber befreundeten Diensten habe „die Vertrauensbasis eher gestärkt“, sagte Kahl.

Die Geheimdienstkontrolleure im Bundestag haben dennoch weiterhin kritische Fragen. „Die Dimensionen des Falls sind durchaus gravierend. Er steht exemplarisch für massive Versäumnisse bei der Eigensicherung“, sagt Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, der dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorsitzt. Was ihn besonders umtreibt: „Der entscheidende Hinweis kam erneut von einem Partnerdienst. Weder eine initiale Sicherheitsüberprüfung, noch eine Routineprüfung hatten zuvor Auffälligkeiten ergeben. Dass Carsten L. zukünftig ausgerechnet für die Sicherheitsüberprüfung der Mitarbeitenden zuständig sein sollte, setzt dem Ganzen die Krone auf.“

Der Fall reihe sich „in eine ganze Kette ähnlicher Geschehnisse ein“ und zeige, „wie groß die Defizite bei der Spionageabwehr bis heute sind. Auf diese Defizite wurde zuvor vielfach und durchaus vehement hingewiesen“, kritisiert von Notz. Erst nach dem Bekanntwerden des Lecks führte der BND zum Beispiel Taschenkontrollen bei seinen Mitarbeitenden ein.

„Es war richtig und äußerst wichtig, den Fall zum Anlass zu nehmen, die Sicherheitsvorkehrungen innerhalb der Nachrichtendienste grundlegend zu überprüfen“, kommentiert von Notz, „gerade mit Blick auf das bisherige Stufensystem, den Zugang zu Dokumenten und die Regelmäßigkeit von Überprüfungen“.

Vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine könne die derzeitige Gefährdungslage kaum überschätzt werden, warnt der Innenpolitiker. Es sei „zwingend erforderlich, sich bei der Spionageabwehr rechtsstaatlich sehr viel schärfer als bislang aufzustellen“. Dabei müsse auch umfassend der Frage nachgegangen werden, „was in den vergangenen Jahren im Bereich der russischen Spionage und illegitimen Einflussnahme in Deutschland konkret gelaufen“ sei.