Die Söldnertruppe Wagner galt für Russland als eine der wichtigsten Verbündeten im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Jetzt probten die Kämpfer den Aufstand. Was genau steckt hinter dieser Gruppierung? Und was genau ist ihre Rolle in der Ukraine? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die wichtigsten Fragen und AntwortenWarum die Wagner-Gruppe so gefährlich ist und wie sie sich finanziert
Die Wagner-Gruppe sorgt für einen Wendepunkt im Ukraine-Krieg: Die Kämpfer der Söldnertruppe haben eine Rebellion gegen den Kreml angezettelt und sind inzwischen auf dem Weg nach Moskau. Russlands Präsident Wladimir Putin brandmarkte den Chef und Gründer der berüchtigten Privatarmee, Jewgeni Prigoschin, am Samstag in einer Fernsehansprache als Verräter.
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Die vielen Tausend Wagner-Kämpfer waren für Moskau bislang eine der wichtigsten Gruppen im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nun besetzten die Kämpfer militärische Einrichtungen in der südrussischen Stadt Rostow am Don, wo sich das Hauptquartier des russischen Militärbezirks Süd befindet – eine Kommandozentrale für den Krieg gegen die Ukraine.
Nach Einschätzung der britischen Geheimdienste sind nun Wagner-Einheiten Richtung Norden unterwegs – vermutlich mit dem Ziel Moskau. Doch wer ist eigentlich diese Wagner-Gruppe? Und welche Rolle spielte sie bisher im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wer ist die Wagner-Gruppe?
Wurde in der Vergangenheit über die Gruppierung gesprochen, war auch häufig von „Putins Schattenarmee“ oder „Russlands Söldnern“ die Rede. Und das, obwohl Privatarmeen in Russland eigentlich verboten sind – Söldnertum ist strafbar. Die Wagner-Gruppe firmiert offiziell als privates Sicherheitsunternehmen – die Kämpfer werden auch dort angestellt. Und der Kreml weist seit jeher eine Verbindung zu der Gruppierung von sich.
Dass die Aktivitäten der Gruppe jedoch wenig mit Personen- und Objektschutz zu tun haben, haben russische Investigativjournalisten über die Jahre anhand zahlreicher Dokumenter akribisch belegt. Auch Aussagen ehemalige Wagner-Kämpfer stützen diese Recherchen.
Demnach ist die Gruppe seit 2014 im Auftrag Russlands in allen möglichen Kriegsgebieten aktiv – immer dann, wenn der Einsatz regulärer Truppen für das Land sicherheitspolitisch kritisch oder anderweitig heikel wäre.
Warum heißt die Gruppe Wagner?
Die Gruppierung hat einen nationalsozialistischen Hintergrund. Als einer der Mitbegründer gilt der frühere Soldat Dmitri Walerjewitsch Utkin, der 2013 auf dem aktiven Militärdienst ausschied. Er gilt als großer Bewunderer des Dritten Reichs und Adolf Hitlers und trägt ein Hakenkreuz auf der Brust.
Hitler wiederum hatte einige musikalische Vorlieben. Geradezu vergöttert haben soll dieser die Musik des Komponisten Richard Wagner. Jahrelang war Hitler Stargast bei den Bayreuther Festspielen, der Weihestätte für Wagners Opern, pflegte engen Kontakt zu seiner Familie. Wagners Musik soll Hitler zudem in seinem Größenwahn befeuert haben. Der Name der Wagner-Gruppe ist demnach eine gezielte Anspielung auf den Lieblingskomponisten Adolf Hitlers, Richard Wagner.
Wer ist der Kopf der Gruppe?
Gegründet wurde die Söldnergruppe neben Utkin von Wladimir Putins Koch Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin, der heute als Chef der Gruppe gilt. Dieser war bereits zu Zeiten der Sowjetunion kriminell, beging zahlreiche Überfälle und saß dafür neun Jahre im Gefängnis. Nach seiner Entlassung versuchte sich Prigoschin zunächst als Hot-Dog-Verkäufer und eröffnete einige Jahre später sein eigenes Restaurant im Zentrum St. Peterburgs.
Hier lernte Prigoschin Wladimir Putin kennen, der hier des Öfteren einkehrte. Auch während seiner Präsidentschaft riss dessen Vorliebe für das Gasthaus nicht ab – selbst mit Jacques Chirac und George W. Bush dinierte er hier.
Prigoschin, der auch häufig als Putins Freund im Schatten bezeichnen wird, pflegt seither enge Beziehungen mit dem russischen Präsidenten – auch auf geschäftlicher Ebenene. Mit seinem Cateringservice versorgt er fast die gesamte russische Armee. 2014 wurde er zum Kopf der neu gegründeten Söldnergruppe Wagner ernannt.
Wer kämpft für die Gruppe?
Rekrutiert werden häufig ehemalige Angehörige der Spezialeinheiten Russlands. Die Teilnahme wird dabei offenbar attraktiv entlohnt – Hinterbliebene von gefallenen Kämpfern erhalten zudem offenbar eine finanzielle Entschädigung. Mit ihrer Teilnahme geben die Kämpfer sämtliche Personalunterlagen an die Gruppe ab, wie ein ehemaliger Kämpfer einmal dem britischen Sender Sky News erzählte. Wer sich einmal für die Wagner-Gruppe entscheidet, kommt so schnell nicht mehr raus: Fahnenflüchtige werden laut den Berichten erschossen.
Bevor es in den Kampf geht, werden die Söldner in wochenlangen Trainings auf ihren Einsatz vorbereitet. Berichten verschiedener Medien zufolge trainiert die Söldnergruppe auf dem Truppenübungsplatz beim Dorf Molkino im Süden Russlands, die Vorbereitung dauert etwa zwei Monate.
Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine sollen die Aufnahmeanforderungen der Söldnergruppe radikal gelockert worden sein. So rekrutierte die Wagner-Gruppe 2022 sogar verurteilte Straftäter mit dem Versprechen der Amnestie durch den russischen Staat.
Ab Oktober 2022 rekrutierte die Gruppe laut „The Daily Beast“ gefangene Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik. Die Kämpfer, die mitunter wegen Mord und Vergewaltigung in Untersuchungshaft saßen, wurden von der Wagner-Gruppe befreit und aufgenommen.
Wie viele Wagner-Kämpfer gibt es?
Offiziell machte die Gruppe lange Zeit keine Angaben über die Anzahl ihrer Mitglieder. Ein Investigativjournalist von „Fontanka“ spach im Sommer 2017 noch von etwa 5000 Söldnern – diese Zahl dürfte heute deutlich höher liegen. Ende 2022 gab der russische Ökonom Wladislaw Inosemzew an, dass die Gruppe Wagner aus etwa 37.000 Söldnern besteht.
Im Zuge des Aufstands gegen das russische Militär spricht Prigoschin nun ofiziell von 25.000 Söldnern, mit denen er nach Moskau ziehen wolle.
Welche Rolle spielt die Wagner-Gruppe im Ukraine-Krieg?
Die Gründung der Gruppierung ist eng mit dem Ukraine-Krieg verbunden. Ab 2014, mit der Annextion der Krim, war die Gruppe im Donbass aktiv, hier übernahmen Mitglieder die Rolle einer Art Militärpolizei. Nach Recherchen der „Neuen Zürcher Zeitung“ sollen etwa 2000 Menschen für die Söldnertruppe in der Region gekämpft haben.
Mit der russischen Invasion in der Ukrainine ab Februar 2022 wurden die Aktivitäten vielfältiger. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums soll die Gruppe ein Attentat auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geplant haben, seit spätestens April 2022 kämpft laut Bundesnachrichtendienst die Untergruppe Rusitsch, die aus Rechtsextremen und Neonazis besteht, für Russland in der Ukraine.
Nicht vollends geklärt, aber als wahrscheinlich gilt die Beteiligung der Gruppe am Massaker von Butscha, bei dem Hunderte Zivilisten hingerichtet, vergewaltigt und gefoltert wurden. Ab Spätsommer 2022 rekrutierte Prigoschin persönlich im Namen der Gruppe Wagner in russischen Straflagern Gefangene für einen Kriegseinsatz in der Ukraine. Im Januar 2023 reklamierte die Gruppe Wagner die Eroberung der ukrainischen Stadt Soledar für sich.
Wo kämpft die Gruppe sonst noch?
Spätestens ab 2015 war die Wagner-Gruppe am Syrienkrieg beteiligt. Hier nahm sie Kampfhandlungen vor, soll aber auch die Kampftruppen von Präsident Assad trainiert haben. Angehörige der Wagner-Gruppe sollen mitunter bei der Rückeroberung der Stadt Palmyra aus der Hand des IS eine wichtige Rolle gespielt haben.
In Armenien sollen im Konflikt um Bergkarabach rund 500 Kräfte der Gruppe Wagner Anfang November 2020 auf der Seite Armeniens gegen Aserbaidschan gekämpft haben. Die Gruppe selbst bestreitet das.
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl in Belarus sind im Land 32 Mitglieder der Gruppe Wagner festgenommen und später nach Russland überstellt worden. Die Gruppe soll versucht haben, die Wahlen zu destabilisieren. 2019 flogen Mitglieder der Gruppe zudem nach Venezuela, offenbar um die Macht von Staatspräsident Nicolás Maduro zu sichern.
Als im Sudan die Macht des später gestürzten Militärmachthabers und international gesuchten Kriegsverbrechers Omar al-Baschir zu bröckeln begann, suchte das Regime Unterstützung in Moskau. Mit Militärberatern kamen auch Wagner-Söldner ins Land, um das sudanesische Militär bei der Bekämpfung diverser Aufstände im Land zu unterstützen.
Weitere Einsätze hatte die Gruppe auch in Libyen, Mali, Mosambik, in der Zentralafrikanischen Republik und in anderen afrikanischen Saaten.
Was macht die Wagner-Gruppe so gefährlich?
Wo immer die Söldnergruppe im Einsatz ist, zieht sie eine Spur der Verwüstung und Gewalt nach sich. Der Söldnergruppe wird mit unzählige Kriegsverbrechen in Verbindung gebracht – bestätigt werden sie von ehemaligen Kämpfern der Gruppe.
Die früheren Wagner-Söldner Azamat Uldarov und Aleksey Savichev sprachen in Interviews mit Gulagu.net von der Tötung von Kriegsgefangenen in der Ukraine, Hinrichtungen von Minderjährigen und dem Auftrag, ganze Ortschaften zu „säubern“.
Savichev erklärte, dass etwa 70 ehemalige Gefangene, die sich weigerten, Befehlen zu gehorchen, in seiner Gegenwart erschossen wurden. Im Auftrag höherer Kommandeure habe er zudem Granaten in eine Grube geworfen, in der verwundete Ukrainer und Russen lagen. Die Überreste habe er mit Benzin übergossen und angezündet.
Uldarov habe nach eigener Aussage auf Befehl Kinder in Soledar und Bachmut getötet. Er habe den Befehl erhalten, „alle aufzuräumen und zu vernichten“. Darunter auch Frauen, Alte und Kinder. In Soledar soll er ein Mädchen erschossen haben, das erst „fünf oder sechs Jahre alt“ war, so Uldarov. Wagner-Chef Prigoschin habe derartige Befehle auch selbst erteilt und die Grausamkeiten gebilligt.
Ähnliche Szenen gab es zuvor schon in Syrien. Ein Video, aufgenommen im Norden des Landes, zeigt, wie Männer in Uniform mit einem Vorschlaghammer auf einen am Boden liegenden Mann einschlagen, auf ihn schießen, mit einem Spaten seinen Kopf abtrennen und den Körper schließlich anzünden. Während der Körper brennt, posieren die mutmaßlichen Täter mit dem abgetrennten Kopf. Mindestens einer der Täter kann der Wagner-Gruppe zugeordnet werden.
In Zentralafrika werden wird die Söldnergruppe verdächtigt, drei russische Journalisten getötet zu haben, die zu ihnen recherchierten. Auch der russische Investigativjournalist Maxim Borodin starb nach Recherchen über die Wagner-Gruppe – er stürzte auf mysteriöse Weise aus dem Fenster seiner Wohnung im fünften Stock.
Wie die Gruppe mit Deserteuren umgeht, zeigt derweil das Beispiel von Jewnegnij Nuschin. Dieser soll von Wagner-Söldnern mit einem Vorschlaghammer hingerichtet worden sein. Festgehalten wurde all das in einem Video, das die Söldner selbst ins Netz stellten.
Wer finanziert sich die Gruppe?
Finanziert wird die Söldnergruppe von ihrem Anführer Jewgeni Prigoschin. Ihm hilft dabei ein millionenschweres Firmennetzwerk, das 2021 laut Recherchen der „Financial Times“ einen Gewinn von mehr als 250 Millionen Dollar erwirtschaftete.
Das Geld stammt hauptsächlich aus Geschäften mit Öl, Gold, Diamanten und anderen Rohstoffen aus Afrika und dem Nahen Osten. Erlöse von Prigoschins russischen Unternehmungen, hauptsächlich der Cateringfirma Concord, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Der geschäftliche Erfolg Prigoschins hängt offenbar eng mit dem Erfolg der Wagner-Gruppe zusammen. Mit den Aktivitäten der Gruppe im Sudan rückte etwa auch das von Prigoschin kontrollierte Unternehmen M Invest an, das schließlich einen Deal mit einer Firma schloss, die dem sudanesischen Militär zugerechnet wird. Wagners Unternehmen stieg daraufhin mit Unterstützung der Militärführung zum führenden Goldproduzenten im Sudan auf.
Aktivitäten dieser Art lassen sich auch in anderen Ländern beobachten, in denen die Wagner-Kämpfer aktiv sind. In Syrien erwirtschaftete laut „Financial Times“ eine Prigoschin gehörende Firma namens Evro Polis im Ölgeschäft allein 2020 einen Gewinn von umgerechnet 90 Millionen Dollar. In der Zentralafrikanischen Republik fördern russische Unternehmen mit Verbindungen zum Prigoschin-Netzwerk Gold und Diamanten und bauen Tropenholz ab.