Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Nach Sturz von AssadKrawalle in Syrien – Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick

Lesezeit 4 Minuten
Syrische Streitkräfte feuern eine Rakete auf Kämpfer ab, die mit dem gestürzten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad verbunden sind.

Syrische Streitkräfte feuern eine Rakete auf Kämpfer ab, die mit dem gestürzten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad verbunden sind.

Syrien wird drei Monate nach dem Sturz von Langzeitherrscher Baschar al-Assad von schweren Kämpfen erschüttert. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Ein Überfall bewaffneter Anhänger des gestürzten Staatschefs Baschar al-Assad auf eine Sicherheitspatrouille hat in Syrien den schlimmsten Gewaltausbruch seit Dezember ausgelöst. Die Gegenoffensive gegen die Assad-Loyalisten in der überwiegend alawitischen Küstenregion hat in mehreren Städten und Ortschaften Verwüstungen angerichtet und nach Angaben der in Großbritannien beheimateten Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte binnen vier Tagen mehr als 1.000 Menschen das Leben gekostet.

Menschenrechtsgruppen berichteten von Dutzenden Rachemorden, die von sunnitischen Kämpfern an der islamischen Minderheit der Alawiten verübt wurden, unabhängig davon, ob sie an dem Aufstand beteiligt waren oder nicht. Vier Fragen und Antworten zu den jüngsten Gewalttaten in dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land:

Syrien: Mehr als 1000 Tote bei Krawallen – Was hat die Gewalt ausgelöst?

Die Spannungen haben bereits zugenommen, seit Assad Anfang Dezember vor islamistischen Rebellen nach Russland floh. Es kam zu Übergriffen auf Alawiten, die während der jahrzehntelangen Herrschaft der aus ihren Reihen stammenden Assad-Familie wichtige Führungspositionen in Syrien innehatten.

Die Angriffe hielten an, obwohl der syrische Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa versprochen hat, dass die neue Führung des Landes eine politische Zukunft für Syrien schaffen werde, die alle Gemeinschaften des Landes einschließt und repräsentiert.

Am Donnerstag überwältigten alawitische Pro-Assad-Kämpfer Sicherheitskräfte der Regierung und übernahmen später die Kontrolle über Assads Heimatstadt Kardaha, während die Regierung in Damaskus eilig Verstärkung herbeirief.

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Oberst Hassan Abdel-Ghani, sagte am Sonntag, die Sicherheitskräfte hätten die Kontrolle über die Region wiedererlangt und verfolgten die Anführer der Aufständischen. Doch obwohl die Regierung ein Ende der konfessionellen Hetze forderte, wurden viele Zivilisten getötet.

Syrische Kämpfer und Zivilisten nehmen an der Beerdigung eines Mitglieds der syrischen Sicherheitskräfte in der Provinz Hama teil.

Syrische Kämpfer und Zivilisten nehmen an der Beerdigung eines Mitglieds der syrischen Sicherheitskräfte in der Provinz Hama teil.

Bei den meisten Toten handelt es sich offenbar um Angehörige der alawitischen Minderheit, die vor allem in der Küstenprovinz des Landes leben, unter anderem in den Städten Latakia und Tartus. Menschenrechtler sprachen von Hunderten getöteten Zivilisten.

Die Alawiten sind ein Ableger des schiitischen Islams und bildeten einst die Kernwählerschaft der Assad-Regierung in dem mehrheitlich von Sunniten bewohnten Land. In den Augen von Assads Gegnern waren sie privilegiert. Mit der Verschärfung des Bürgerkriegs entstanden im ganzen Land extremistische Gruppen, die die Alawiten als Verbündete Assads und seiner wichtigsten militärischen Unterstützer Russland und Iran betrachteten.

Syrien: 745 Zivilisten bei Aufständen getötet - Mehrere Gebiete ohne Strom und Wasser

Über die alawitischen Aufständischen, die sich aus den Überresten von Assads Militär und Geheimdienst zusammensetzen, ist derzeit wenig bekannt, und auch nicht darüber, wer ihre ausländischen Unterstützer sein könnten.

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden 745 Zivilisten getötet, zumeist durch Schüsse. Darüber hinaus wurden 125 Mitglieder der Sicherheitskräfte der Regierung und 148 Kämpfer bewaffneter Gruppen getötet, die mit Assad verbunden sind. Die Beobachtungsstelle fügte hinzu, dass in weiten Gebieten um Latakia Strom und Trinkwasser abgeschaltet wurden.

Die Gruppen Syrien-Kampagne und Syrisches Netzwerk für Menschenrechte, die sich im Bürgerkrieg gegen Assad gestellt hatten, erklärten am Samstag, sowohl Sicherheitskräfte als auch bewaffnete Assad-Anhänger hätten „Massenhinrichtungen und systematische Tötungen“ vorgenommen. Das Netzwerk für Menschenrechte schätzte, am Donnerstag seien 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte der Regierung getötet worden und am Wochenende 125 Zivilisten bei „mutmaßlichen Rachemorden“.

Die Nachrichtenagentur AP konnte diese Zahlen nicht prüfen, und widersprüchliche Angaben über Todesopfer bei Angriffen in Syrien waren in den vergangenen Jahren keine Seltenheit. Zwei Bewohner der Küstenregion berichteten, dass viele Häuser von alawitischen Familien geplündert und in Brand gesetzt worden seien. Sie sprachen aus Angst um ihr Leben von ihren Verstecken aus und wollten nicht namentlich genannt werden.

Die Regierung in Damaskus erklärte, ihre Truppen hätten auf Angriffe von Überresten der Assad-Truppen reagiert. Für die ausufernde Gewalt machte sie „individuelle Aktionen“ verantwortlich. Die neue Führung in Damaskus hat Probleme, sich mit den Skeptikern ihrer islamistischen Regierung sowie mit den kurdisch geführten Kräften im Nordosten und der drusischen Minderheit im Süden Syriens zu versöhnen.

In einer Ansprache am Wochenende appellierte Übergangspräsident Al-Scharaa an die Syrer und die internationale Gemeinschaft, jeden zur Rechenschaft zu ziehen, der Zivilisten schädigt und Gefangene misshandelt. Solche Menschenrechtsverletzungen waren unter Assad an der Tagesordnung. Al-Scharaa setzte auch einen Ausschuss ein, der sich hauptsächlich aus Richtern zusammensetzt und die Gewalt untersuchen soll.

Die USA steht an der Seite der religiösen und ethnischen Minderheiten in Syrien, einschließlich der christlichen, drusischen, alawitischen und kurdischen Gemeinschaften.
Marco Rubio, US-Außenminister

Al-Scharaa versucht seit seiner Machtübernahme, die USA und Europa davon zu überzeugen, noch gegen Assad verhängte Sanktionen aufzuheben. Damit will er den Weg für einen wirtschaftlichen Aufschwung ebnen, der Millionen Syrer aus der Armut holen und das Land wieder lebensfähig machen soll. Washington und Europa zögern jedoch mit einem solchen Schritt, weil sie erst Fortschritte auf einem Weg in das von Al-Scharaa versprochene integrative politische System in Syrien sehen wollen.

US-Außenminister Marco Rubio erklärte am Sonntag, sein Land stehe „an der Seite der religiösen und ethnischen Minderheiten in Syrien, einschließlich der christlichen, drusischen, alawitischen und kurdischen Gemeinschaften“. Die syrische Regierung müsse „die Täter dieser Massaker zur Rechenschaft ziehen“. (rnd)