SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rät, den Krieg zwischen Russland und Ukraine „einzufrieren“. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt kontert scharf.
Göring-Eckardt attackiert SPD„Ängste in der Bevölkerung zu schüren, ist keine Friedenspolitik“
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich aus Köln hatte mit Äußerungen im Bundestag zum Krieg zwischen Russland und der Ukraine bei vielen Zuhörerinnen und Zuhörern für Verwunderung gesorgt.
Frau Göring-Eckardt, die Ampelkoalition hat sich in der Taurus-Frage böse zerstritten. Droht darüber das Ende der Koalition?
Göring-Eckardt: Die weltweite Lage ist zu ernst für Koalitionsdebatten. Deutschland braucht gerade jetzt eine geschlossene, stabile und handlungsfähige Regierung, die der Bevölkerung Orientierung gibt. Deshalb halte ich es für notwendig, dass die SPD ihren beschlossenen außenpolitischen Kurs klärt.
Was meinen Sie genau?
Die SPD hat im Dezember beim Parteitag in Berlin ihre jahrzehntelange falsche Russlandpolitik und das Wegschauen vor Wladimirs Putins aggressivem Imperialismus als Fehler bezeichnet. Dieser selbstkritische Beschluss verdient Respekt. Doch keine vier Monate später konterkariert der SPD-Fraktionsvorsitzende diese Versuche der SPD-Spitze, die eigene Russlandpolitik aufzuarbeiten, und fordert ernsthaft, den Ukraine-Krieg einfach „einzufrieren“. Kriege einfrieren führt gerade nicht zum Frieden. Das gefährdet Frieden. Wer den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine „einfrieren“ will, verlangt von den Menschen der Ukraine, sich einem Diktator zu unterwerfen, und lädt Putin ein, seinen imperialistischen Feldzug weiterzuführen. Das ist nicht nur die Aufkündigung des SPD-Beschlusses vom Dezember, das ist eine Gefahr für unser Land.
Was befürchten Sie?
Ich befürchte, dass wir nicht besonnen und im Sinne des Friedens handeln. Wenn Putin die ukrainischen Gebiete, die er völkerrechtswidrig und mit menschenverachtender Gewalt besetzt hat, behalten darf, wird er nicht aufhören. Er ist ein brutaler Diktator. Seine Vision ist das alte russische Kaiserreich. Moldau, Estland, Lettland, Polen können nicht sicher sein. Schon heute spricht er von den besetzten Gebieten als „Neurussland“. Unsere osteuropäischen Nachbarn verlieren doch Vertrauen in Deutschland, wenn wir ihre berechtigten Sorgen nicht ernst nehmen. Auch aus eigenem Interesse müssen wir doch alles dafür tun, dass der Krieg nicht näher an unser eigenes Land heranrückt.
Schaltet die „Friedenspartei“ SPD in den Wahlkampfmodus?
Mit diesem Kurs ist die SPD gerade keine Partei, die verlässlichen Frieden garantieren wird. Im Gegenteil. Aber ja, so manche Einlassungen der vergangenen Tage besorgen mich: Ängste in der Bevölkerung zu schüren, ist kein besonnenes Handeln, und es ist erst recht keine Friedenspolitik. Eine verlässliche, vorausschauende Sicherheitspolitik darf nicht von falschen innenpolitischen Motiven geleitet werden.
Die grüne Vizefraktionschefin Agnieszka Brugger hat vor allem den Kanzler ins Visier genommen – und ihm Basta-Politik vorgeworfen. Teilen Sie das?
2024 ist nicht 1998. Agnieszka Brugger hat eine sehr kluge, differenzierte und politisch eindrucksvoll klare Rede gehalten. Ich unterstreiche jedes Wort. Sie hat deutlich gemacht, dass uns alle die Sehnsucht nach Frieden und der Wunsch nach einem Ende des Leids der Menschen in der Ukraine verbindet. Frieden kann es dabei nur geben, wenn er gerecht ist und nicht einfach dem Aggressor Recht gibt.
Umgekehrt gibt es bei den Grünen teilweise Unmut über ihren einstigen Fraktionsvorsitzenden-Kollegen Anton Hofreiter. Er ist manchen in seinen Forderungen nach Waffenlieferungen und seinen Angriffen auf den Kanzler zu scharf.
In der Frage von Krieg und Frieden kann man nicht klar genug sein. Die vergangenen Jahre haben uns doch gelehrt: Man darf keine Zeit vergeuden, sondern muss einen Aggressor rechtzeitig stoppen. Beeindruckt hat mich in dieser Woche übrigens auch Johann Wadephul von der CDU: Er hat klar Selbstkritik geübt, den alten Kurs, der uns mit Nord Stream 1 und 2 so massiv vom Autokraten Putin und von fossilem Gas abhängig gemacht hat, als falsch bezeichnet. Das verdient Respekt, und das macht auch eine besonnene Debatte für die Zukunft aus. Das wünschte ich mir von allen demokratischen Parteien.
In Ostdeutschland sehen viele den Ukraine-Konflikt grundsätzlich anders als in Westdeutschland. Stehen Sie da eher auf der Westseite?
Das ist keine Ost-West-Frage. Das ist eine Frage von Werten. Das kann man gut auch an der Energieversorgung festmachen: Will ich vermeintlich billiges russisches Gas, und ist es mir egal, woher es kommt? Oder ist es mir auch wichtig, dass es fair zugeht? Wohin uns die Abhängigkeit von Russland geführt hat, haben uns die vergangenen Jahre doch gezeigt: Es wurde richtig teuer, und es brauchte größte Anstrengungen, unabhängig und frei zu werden. Das dürfen wir nicht umkehren. Mit unserer wertegeleiteten Politik können wir nicht alle überzeugen, aber ich nehme gerade auch in Ostdeutschland den Wunsch nach Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit wahr. Und da machen wir ein Angebot.
Wie geht es weiter beim Taurus? Außenministerin Annalena Baerbock hat gerade gesagt, es gebe noch keine gemeinsame Haltung der Ampel zu der Frage. Das klingt nicht so, als wollten die Grünen das Nein des Kanzlers akzeptieren.
Die Koalitionsfraktionen haben mit ihrem gemeinsamen Antrag die Richtung klar vorgegeben, übrigens auch mit der Stimme des SPD-Fraktionsvorsitzenden Mützenich: Es geht darum, dass die Ukraine ihre volle territoriale Integrität in ihren auch von Russland 1991 anerkannten Grenzen und damit ihre Souveränität wiedererlangt. Das muss der Maßstab sein. Deshalb unterstütze ich Überlegungen hinsichtlich eines Ringtausches und ermutige die gesamte Bundesregierung, diesen Weg zu gehen, um Frieden und Sicherheit für Europa und Deutschland langfristig zu sichern.