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Interview

Interview mit Kevin Kühnert
„Olaf Scholz soll ja nicht das ‚Sommerhaus der Stars‘ gewinnen“

Lesezeit 9 Minuten
Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, sitzt im Vorfeld des ordentlichen Bundesparteitags der SPD bei einem Hallenrundgang durch den Tagungsort vor einem SPD-Logo. (Archivbild)

Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, sitzt im Vorfeld des ordentlichen Bundesparteitags der SPD bei einem Hallenrundgang durch den Tagungsort vor einem SPD-Logo. (Archivbild)

Gegen die Koalitionsstreitereien hat Kevin Kühnert ein Rezept: Humor und besseres Emotionsmanagement.

Herr Kühnert, die US-Demokraten verbreiten auf ihrem Parteitag mit ihrer neuen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gerade große Zuversicht. Könnte sich die SPD eine Scheibe von dem Jubel abschneiden?

Kevin Kühnert: Ja und Nein. Den Parteimanager möchte ich sehen, der sich so eine Begeisterung nicht auch wünscht. Allerdings braucht es für Wahlsiege mehr als nur Euphorie. Und ich bin auch froh darüber, dass Politik in Deutschland geerdeter abläuft als in den USA. Im letzten US-Präsidentschaftswahlkampf wurden fast 6 Milliarden Dollar ausgegeben. Das ist maßlos und ungesund.

Den Aufschwung der US-Demokraten in den Umfragen hätten Sie auch ganz gerne, oder?

Alles zum Thema Olaf Scholz

Den wird es brauchen, ja. 15 Prozent reichen nicht aus, um nächstes Jahr die Bundestagswahl zu gewinnen, ist doch logisch. Aber bis zur Wahl ist es nun mal noch mehr als ein Jahr. Die US-Demokraten gehen jetzt in die heiße Wahlkampfphase. Das ist die Zeit, in der Wähler sich mit ihrer konkreten Wahlentscheidung beschäftigen. Erst dann kommen Personal, Programm und strategische Erwägungen zusammen. So wird es auch in Deutschland sein.

Vor der Bundestagswahl kommen diesen September noch Landtagswahlen. In Brandenburg sieht es noch einigermaßen gut aus für die SPD, aber in Sachsen und Thüringen dümpeln Sie kurz vor der 5-Prozent-Hürde. Warum erreichen Sie dort die Wähler nicht?

Werte von 6 oder 7 Prozent sind schmerzhaft, aber sie müssen fair eingeordnet werden: In Sachsen und Thüringen haben wir vor fünf Jahren 7,7 und 8,2 Prozent geholt. Seit der Wiedervereinigung haben wir dort keine Ministerpräsidenten gestellt, müssen hart um Aufmerksamkeit kämpfen. Erhebungen zeigen gleichzeitig, dass große Teile der Wählerschaft die SPD auch in den nächsten Landesregierungen sehen wollen. Mit Verlaub: Wer das will, der muss die SPD dann aber auch wählen.

Würden Sie eine Regierungsbildung mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) befürworten?

Die SPD strebt an, dass Regierungen ohne das BSW gebildet werden können. Parteien ohne Programm gehören nicht in Regierungsverantwortung. Das einzige Thema, bei dem das BSW greifbar ist, ist das Thema, was auf der Landesebene nun als Allerletztes entschieden wird: die internationale Politik. Auf so wenig Substanz sollte man keine Regierung aufbauen.

Ausgeschlossen ist so eine Zusammenarbeit nicht?

Es kann passieren, dass BSW und AfD gemeinsam so viele Sitze in einem Landtag haben, dass Mehrheiten jenseits dessen nicht möglich sind. Dann wird irgendwer die Black Box BSW öffnen müssen. Doch noch kann das verhindert werden. Es geht in Sachsen und Thüringen nicht darum, wer auf Platz eins ist, sondern, ob die seriösen Kräfte zusammen stark genug sind. Die SPD ist eine Garantin dafür.

Zur Ukraine-Politik der SPD: Der Kanzler betont, dass Deutschland nach den USA der größte Unterstützer der Ukraine ist. Auf der anderen Seite versucht die SPD, Scholz als Friedenskanzler zu porträtieren. Wie passt das zusammen?

Wir müssen raus aus dem Schwarz-Weiß-Denken: Militärisch helfen und diplomatisch arbeiten, das ist kein Widerspruch. An unserer Parteibasis und in der Wählerschaft gibt es jedoch ein großes Bedürfnis, mehr über die diplomatischen Bemühungen zu erfahren. Dem müssen wir nachkommen. Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj treten beispielsweise beide dafür ein, dass Russland an der nächsten Friedenskonferenz teilnimmt. Davon wissen noch viel zu wenige. Und die politischen Scharlatane, die den Menschen Angst vor einem Flächenbrand machen wollen, werden es ihnen nicht erzählen.

Der Kanzler hat zugesagt, die Ukraine so lange zu unterstützen „wie erforderlich“. Der Bundeshaushalt sendet eher die Botschaft: Wir unterstützen die Ukraine, solange wir uns das leisten können.

Die Aussage von Scholz gilt in unserem eigenen Interesse ohne Wenn und Aber. Da darf es auch keine Unklarheit geben. Aber wir ändern die Finanzierung, indem wir einen Teil der Unterstützung aus dem Bundeshaushalt durch eine andere Finanzierungsquelle ersetzen, nämlich durch Zinsen aus den eingefrorenen russischen Vermögen. Wir sichern die Unterstützung, schonen den Bundeshaushalt und ziehen den Aggressor zur Verantwortung. Das sind gute Nachrichten.

Aber es ist noch nicht sicher, ob der G7-Beschluss überhaupt umgesetzt wird.

Alle Beteiligten wollen das, insofern wird es auch klappen. Am besten noch vor der US-Präsidentschaftswahl im November. Das wäre dann auch vor dem Beschluss über den Bundeshaushalt 2025.

Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär (Archivbild)

Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär (Archivbild)

Bis vor Kurzem war der Einsatz deutscher Waffen gegen militärische Ziele in Russland hochumstritten. Jetzt setzt die Ukraine bei der Offensive in der russischen Region Kursk offenbar auch deutsches Kriegsgerät ein. Wie steht die SPD dazu?

Rechtlich ist die Lage klar. Die überfallene Ukraine darf für ihre Verteidigung auch auf russischem Territorium agieren und die westlichen Waffen gehören mit ihrer Übergabe der Ukraine – das sind ja keine Leasingpanzer! Trotzdem sind unsere Lieferungen mit politischen Erwartungen verbunden, an die sich die Ukrainer penibel halten. Angriffe auf zivile Einrichtungen, wie wir sie von russischer Seite erleben, sind natürlich ein No-Go. Ich will aber keinen Hehl daraus machen: Ich wünsche mir, dass auch die politische Führung der Ukraine beispielsweise ihre strategischen Ziele in der Region Kursk verständlicher erklärt, um Desinformationen und Angstmachern entgegenzuwirken.

Apropos Kommunikation: Mit der Ankündigung, US-Raketen in Deutschland zu stationieren, hat Scholz viele überrascht und verärgert. Jetzt hat sich die Parteispitze hinter das Vorhaben gestellt. Wie schwer ist Ihnen das gefallen?

Ich halte den Schritt für folgerichtig und gut erklärbar. Es ist richtig so, dass meine Partei sich da nicht durchmogelt, sondern Entscheidungen begründet.

Dass die FDP das Messertragen für eine schützenswerte Freiheit hält, finde ich schräg. Die meisten Leute schütteln über sowas den Kopf.
Kevin Kühnert

Die Kritik aus Teilen der SPD war sehr scharf.

Es wurde bei der Ankündigung der Stationierung nicht ausreichend klar, dass Abrüstung unverändert unser politisches Ziel ist und bleibt. Zwingende Voraussetzung für Rüstungskontrolle ist aber Augenhöhe. Russland hat unter Präsident Putin jahrelang einseitig die Kräfteverhältnisse verschoben, etwa indem es in Kaliningrad Raketen stationiert hat. Das ist nur gut 500 Kilometer entfernt von Berlin. Eine deutsche Bundesregierung muss klarmachen: Bis hierhin und nicht weiter.

Sprechen wir über die Innere Sicherheit. Innenministerin Nancy Faeser stößt mit ihren Vorstößen unter anderem zum Messerverbot auf Widerstand bei der FDP, bei anderen Vorhaben kommt auch Kritik von den Grünen. Wie wichtig sind die Themen für die SPD?

Wir spüren ja alle, dass das subjektive Sicherheitsempfinden bei vielen Menschen schwindet. Es ist richtig und gut, dass die Innenministerin konkrete Vorschläge vorlegt, unseren Alltag sicherer zu machen. Die Statistik zeigt klar: Die Zahl der Rohheitsdelikte, auch unter Verwendung von Messern, ist gestiegen. Es mag begründete Ausnahmen geben, aber grundsätzlich sehe ich keinen guten Grund, weshalb Sie und ich Messer mit uns führen können sollten, deren Klingen zwölf Zentimeter lang sind. Dass die FDP das Messertragen für eine schützenswerte Freiheit hält, finde ich schräg. Die meisten Leute schütteln über sowas den Kopf.

Mit heimlichen Wohnungsdurchsuchungen, wie sie die Ministerin offenbar plant, hätten Sie auch kein Problem?

Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist in unserer Verfassung ein zentrales Gut, das sieht auch Nancy Faeser so. Ich kenne weder Gesetzentwürfe, noch diesbezügliche Vorschläge der Ministerin.

Olaf Scholz hat sich dafür ausgesprochen, Straftäter nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Folgt die SPD damit vor den Wahlen im Osten dem Kurs der AfD?

Quatsch. Die SPD ist gegen Intensivstraftäter, die AfD ist gegen Ausländer. Das ist wie Feuer und Wasser. Was Olaf Scholz angesprochen hat, ist das Ohnmachtsgefühl vieler, dass wir wenigen notorischen Straftätern, die unsere Gesellschaft mit Füßen treten, noch nicht klar genug ein Stoppschild vorsetzen können. Der Bundeskanzler arbeitet auch deshalb akribisch an diesem Thema, um Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte zu schützen, die als Freunde, Kollegen und Nachbarn ein Teil Deutschlands sind und von AfD und Co in den Dreck gezogen werden.

Die Ampelkoalition hat nach dem Abzug der internationalen Truppen Tausenden gefährdeten Afghaninnen und Afghanen die Aufnahme in Aussicht gestellt. Nach dem Haushaltsentwurf sollen dem Bundesaufnahmeprogramm die Mittel aber fast komplett gestrichen werden. Finden Sie das ok?

Das letzte Wort zum Haushalt hat das Parlament, dort hoffe ich auf Verbesserungen. Ich finde es wichtig, dass Deutschland zu seinem Wort steht: All jene, die in Afghanistan – teils unter Einsatz ihres Lebens – für Menschenrechte und Freiheit einstanden, verdienen Schutz. Darin liegt auch ein wichtiges Signal. Wir werden immer wieder in globalen Konfliktregionen darauf angewiesen sein, dass Menschen für die Bundeswehr und internationale Organisationen arbeiten und dabei persönliche Risiken eingehen. Ohne ein glaubwürdiges Schutzregime werden wir diese Menschen nicht finden und schaden damit uns selbst.

Wie fanden Sie denn die Performance der Koalition beim Haushalt, der nach monatelangen Debatten nun im Kabinett beschlossen wurde?

In der Sache ist das, wie so oft, unter schwierigen Umständen ein anständiger Kompromiss geworden. Superärgerlich war die Extrarunde in der Sommerpause, mit der wieder alle wuschig gemacht wurden. Sowas verunsichert die Leute nur.

Grünen-Chef Omid Nouripour spricht schon von Übergangskoalition und von Vertrauensverlust. War es das also mit der Ampel?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Aussage strategisch so gewollt war. Denn das spräche ja wahlweise für eine grüne Sehnsucht nach Opposition – oder nach Demütigung in einem schwarz-grünen Bündnis. Die Aussage ist ein gutes Beispiel dafür, dass Spitzenpolitiker ein bisschen Emotionsmanagement betreiben müssen. Wir machen ja keine Daily Soap, in der wir jeden Tag mit irgendeinem Drama die neue Folge beenden müssen. Manche Emotion kann und sollte man der Öffentlichkeit ersparen.

US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris setzt sehr auf Emotionen. Und Scholz hat gerade mehr Lockerheit und mehr Lachen im politischen Diskurs eingefordert.

Da hat er meine volle Unterstützung. Eine Haushaltslücke lässt sich zwar nicht weglachen. Aber Humor ist eine wichtige Bewältigungsstrategie, um ob der Herausforderungen nicht zu verbittern.

Scholz verbreitet als Kanzler und voraussichtlicher Kanzlerkandidat keine große Begeisterung. Wie wäre es doch noch mit einem Kandidatentausch?

Abgelehnt. Scholz soll ja im nächsten Jahr nicht das „Sommerhaus der Stars“ gewinnen. Wir arbeiten dafür, dass viele Leute eine rationale Entscheidung für die Sozialdemokratie und den Bundeskanzler treffen. Olaf Scholz hat auch vor drei Jahren nicht als politischer Shootingstar den Wahlsieg geholt. Im Gegenteil: Die Leute wussten, was für ein Typ Politiker er ist, und viele haben ihn genau deshalb gewählt. Meine Partei hat eine große Aufholjagd vor sich, keine Frage. Aber kämpfen können wir. Und wer gegen Friedrich Merz antritt, der braucht auch keine Motivationspillen.