Bei der Attacke aus dem Iran hat Israels hochmodernes Flugabwehrsystem wieder gezeigt, was es kann. Doch Experten warnen.
Das israelische ErfolgsgeheimnisWie die Flugabwehr 99 Prozent der iranischen Geschosse abfangen konnte
Sirenen heulten, Menschen flohen in Bunker: In Israel gab es in der Nacht zum Sonntag wieder einmal Luftalarm.
Doch wieder einmal stammte der größte Krach, den die Israelis am Boden hörten, von den autonomen Systemen ihrer eigenen Luftabwehr: Der Himmel blieb - relativ - sauber.
Nach Angaben des israelischen Militärs hat der Iran 330 Raketen und Drohnen auf Israel abgefeuert. Dies seien „die ersten Direktflüge vom Iran nach Israel seit dem Jahr 1979“ gewesen, hieß es höhnisch in militärnahen Kreisen mit Blick auf die islamische Revolution in Teheran vor 45 Jahren.
Doch kaum ein Geschoss gelangte ins Ziel: 99 Prozent wurden nach israelischer Darstellung abgefangen. Israel hatte auch Unterstützung der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Jordaniens.
Irans Angriff auf Israel: Eine Nacht wie eine Werbeveranstaltung für Flugabwehr
Das Geheimnis des israelischen Erfolgs liegt in einem mehrschichtigen Abwehrsystem (multi-layered defense).
Die schnellsten und am höchsten fliegenden Raketen wurden von dem System Arrow 3 abgefangen. Dieses System überwacht auch den Weltraum. Arrow 3 wurde erst vor wenigen Monaten auch von der Bundeswehr gekauft. Es soll in Deutschland auf lange Sicht die Patriot-Systeme ersetzen und teil eines gesamteuropäischen Abwehrschirms werden.
Gegen Raketen mittlerer Reichweite wurde das System David‘s Sling in Stellung gebracht. Es ist vor allem auf das Abfangen von niedrig fliegenden Marschflugkörpern ausgerichtet.
Alles, was sich immer noch durch die Luft bewegte und ins Ziel zu gehen drohte, wurde in letzter Minute vom ratternden und knatternden Iron Dome vom Himmel geholt.
Auf Militärs weltweit wirkte die Nacht zum Sonntag wie eine Werbeveranstaltung für die israelische Rüstungsindustrie. Arrow 3 wurde von der Firma Israel Aerospace Industries zusammen mit dem amerikanischen Luftfahrt- und Rüstungskonzern Boeing entwickelt. Bei David‘s Sling und Iron Dome ist die israelische Rüstungsfirme Rafael federführend; sie arbeitet mit der US-Firma Raytheon zusammen.
Innerhalb des mehrschichtigen Systems verschießt der Iron Dome auf heranfliegende Geschosse aller Art gleichsam die letzten Patronen – in einem Moment, in dem es schon prekär wird. Doch das tut er mit beeindruckender Verlässlichkeit.
Rund ein Dutzend dieser autonom waltenden Maschinen sind über das Land verteilt. Jeder Iron Dome deckt mehr als 150 Quadratkilometer ab. Oft lässt das System nur gelegentlich eine Abwehrrakete steigen. Phasenweise aber, wenn sich ganze Schwärme nähern und der Iron Dome an seine Kapazitätsgrenzen gerät, steigert sich der Lärm zu einem bedrohlichen Dauergeknatter.
Israelisches System funktioniert autonom
Mit dem, was derzeit oft in Sekundenbruchteilen am Himmel über Israel geschieht, kommen Menschen schon nicht mehr mit. Das System führt autonom Regie – anders könnte Israel der Vielzahl der Raketen nicht mehr Herr werden.
Schon im Mai 2021, als die Hamas plötzlich ihre Luftangriffe steigerte wie noch nie, vertrauten Israels Offiziere im Moment der Not auf den Iron Dome, seinen Taktfrequenzen und seinen Megabytes.
Hätte bei so massiven Angriffen wie der aus dem Iran jede Gegenmaßnahme von einem Menschen getroffen werden müssen – etwa mit dem klassischen Feuerbefehl eines Luftwaffensoldaten in einer Einsatzzentrale vor einem Radarschirm –, wäre die von den Mullahs in Teheran erhoffte Überforderung der israelischen Luftabwehr mit Sicherheit sehr schnell eingetreten.
Der Iron Dome aber denkt nicht nur schneller als der Mensch – er hat vor allem sehr viel mehr Augen und Ohren, durch eine Vielzahl von Sensoren, Radarimpulsen und Satellitenverbindungen. Das System wird seit dem Jahr 2011 gebaut.
Eine Einheit des Iron Dome kann sechs Flugobjekte gleichzeitig erfassen
Eine Einheit besteht aus drei Komponenten: Radarsystem, Kontrollzentrum und Startbatterien für die Abfangraketen.
Alle Module sind mobil, so dass sie jederzeit bewegt und nicht so leicht angegriffen werden können. Ein Teil der Anlage bleibt laufend auf Selbstverteidigung programmiert.
Um Raketen abzufangen, wird deren Flugbahn in Sekundenbruchteilen berechnet. Führt die Bahn erkennbar auf einen unbewohnten Acker, bleibt das System inaktiv.
Nach unbestätigten Medienberichten kann eine Einheit 150 Quadratkilometer abdecken und sechs Flugobjekte gleichzeitig erfassen. Die Software bekam im Laufe der vergangenen Jahre allerdings mehrere Updates, Details unterliegen der Geheimhaltung.
Jede Iron-Dome-Batterie kostet nach Schätzungen um die 100 Millionen Dollar. Ein Schuss mit dem Hightechsystem soll angeblich 40.000 Dollar kosten, auch dafür gibt es keine Bestätigung. „Auf jeden Fall wurden da in den letzten Tagen viele Millionen verballert“, sagt ein Insider.
Carlo Masala: „In Deutschland stünden wir dumm da“
Das System Iron Dome ist nicht perfekt. Dass es nicht wirklich alles restlos vom Himmel holen kann, was Gefahren bringt, betont stets auch das israelische Militär.
Einige Hamas-Raketen schafften es immer wieder auf israelisches Gebiet, schlugen in zivile Wohnhäuser ein und töteten Anwohner. Dennoch bedeutet die jedenfalls relativ geringe Zahl von Todesopfern nach einem Beschuss mit einer so großen Zahl an Raketen nach Einschätzung von Militärexperten eine mehr als beeindruckende Bilanz der Luftverteidigung.
„Wenn wir in Deutschland vergleichbare Raketenattacken erleben würden, stünden wir dumm da“, sagt Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Hochschule der Bundeswehr in München. Schon seit Langem sieht Masala, wie er dem RND sagte, bei der Raketenabwehr der Bundeswehr, gestützt auf das im Kern mehr als 30 Jahre alte „Patriot“-System, erheblichen Modernisierungsbedarf: „Deutschland braucht eine seriöse Debatte über seine künftige Luftverteidigung.“
Masala wirbt mit Blick auf Israels Iron Dome für ein generelles Umdenken bei der Bewertung autonomer militärischer Systeme. Oft sei in politischen Debatten deren eigenständiges Walten als Eskalationsrisiko empfunden worden. Tatsächlich aber gelte dies nicht für Defensivsysteme.
Masala gehört neben Ulrike Franke, Thomas Wiegold und Frank Sauer zu einem Kreis von Verteidigungsexperten, die im Podcast „Sicherheitshalber“ regelmäßig über Militärthemen diskutieren. Nach seiner Ansicht muss in eine Modernisierung der Luftverteidigung in Deutschland dringend auch die Drohnenabwehr einbezogen werden.
Jetzt kommen auch Raketen aus dem Jemen
In Israel warnen Experten unterdessen, Land und Leute sollten sich nicht allzu sehr auf den Iron Dome verlassen: Israels Flugabwehr könne überfordert werden, wenn auch die pro-iranische Hisbollah-Miliz im Libanon in den Konflikt eingreife und binnen kurzer Zeit Tausende Raketen auf Israel abfeuere.
Angeblich verfügt die Hisbollah über 100.000 Geschosse. Sollten die Raketen in engem Takt auf eine immer gleiche Zone zielen, könnten dort auch die schnellsten Iron-Dome-Versionen an technische Grenzen geraten. Im Ernstfall müsste die Hisbollah ihrerseits mit einem schnellen und massiven Bombardement ihrer Stellungen und Abschussrampen durch israelische Kampfflugzeuge rechnen.